Home grown plot
Der norwegische Attentäter Breivik soll seine Taten zugegeben haben. Im Netz kursiert ein Manifest und ein Video, in dem er angeblich Motive offenlegt
Norwegen versucht mit dem entsetzlichen Massaker, das Anders Behring Breivik angerichtet hat, fertigzuwerden. Laut norwegischen Medienberichten hat Breivik mittlerweile den Bombenanschlag in Oslo und die Schießerei auf der Insel Utøya zugegeben. "Er hat die Fakten bestätigt", wird sein Anwalt von VG Nett zitiert. Breivik habe darüber hinaus erklärt, dass die Aktion grausam, aber "in seinem Kopf notwendig" gewesen sei.
Sein Verteidiger, der in dem Bericht als deutlich gezeichnet geschildert wird, kommentierte, dass es schwierig sei, eine vernünftige Erklärung dafür zu finden, warum jemand fast hundert unschuldige Menschen getötet habe. Zwischenzeitlich ist ein 1.500 Seiten starkes Manifest aufgetaucht und ein You-Tube-Video, die beide mit Andrew Berwik unterzeichnet sind.
Erste Medienreaktionen, wie sie etwa im New York Times Blog "The Lede" zu verfolgen sind, gehen davon aus, dass es sich dabei ganz offensichtlich um die Anglisierung des Namens Anders Breivik handelt, zumal auf den letzten Seiten des Manuskripts mehrere Fotos von Breivik auftauchen.
Ob das Manifest mit dem Titel "2083 - A European Declaration of Independence", in voller Länge zu finden hier und hier, tatsächlich von Breivik stammt, ist augenblicklich noch nicht verifiziert: eine Fälschung ist also nicht ausgeschlossen.
Der Tenor der ersten Reaktionen geht davon aus, dass die Schrift, die mit Fotos von Breivik endet, ihm zugeschrieben wird. Erste Lektüren, etwa vom kanadischen Journalisten Doug Saunders, bestätigen Einzelheiten, die Breiviks Autorenschaft nahelegen: "the day-by-day diary of bomb-building and shooting-plotting toward the end makes it almost certain that it is his work (the document is a very precise description of his crime)."
Beide Dokumente, das Video wie das Manifest sollen kurz vor den beiden Anschlägen ins Netz gestellt worden sein, auf die norwegische Seite Freak.no und auf You Tube, wird ein norwegischer TV-Sender zitiert, der sich auf polizeiliche Quellen stützt.
Klare Feindbilder
Die Irrsinns-Tat erklären, kann das Manuskript und das Video nicht. Es erklärt ideologische Hintergründe. Breivik hat, was auch andere Quellen bestätigen (siehe Utøya gunman boasted of links to UK far right), klare Feindbilder: den "kulturellen Marxismus", die "islamische Kolonisierung" und "multikulturelle Eliten", welche konservative, nationalistische Kräfte dämonisiert hätten.
Konservative werden zu Märtyrertum aufgerufen, beklagt wird, dass Europa nie einen Politiker des Kalibers von McCarthy hatte. Und dass Europa, sollte es sich weiterhin weigern, politische und militärische Macht an die "konservativen revolutionären Kräfte" abzugeben, einem Blutbad zustrebe, gegenüber dem sich der Zweite Weltkrieg wie ein Picknick ausnehme.
Ob sich aus den Inhalten der eigenbrötlerischen und kindlichen Geschichtsschnitzerei eines fanatischen Irrläufers wichtige Erkenntnisse ergeben, ist sehr zweifelhaft - zumal wie gesagt, noch überhaupt nicht sicher ist, ob er der Autor ist. Die Frage, wie verbreitet solche zurechtgeschneiderten Auffassungen sind und wie stark die Netzwerke sind, in denen solche rauschigen Weltbilder mit Wahrheitspathos gefüllt werden, stellt sich nicht zum ersten Mal.
Politisch brisant wird es aber auch da, wo sich Anknüpfungspunkte zum gängigen politischen Diskurs ergeben, der nicht in der Abgeschiedenheit, sondern öffentlich in zig Talkshows und Mediensites geführt wird. So heißt es in einem Artikel der Welt, der sich mit dem "Sonderling Anders Behring B." befasst:
In seinen Schriften offenbart Anders B. ein geschlossenes Weltbild, in dem der Islam Europa bedroht und die Linke, der Multikulturalismus und die politische Korrektheit den Kampf gegen diese Gefahr behindern.
Das ließe sich auch von vielen Autoren behaupten, die damit hierzulande zu einiger Popularität gelangt sind. Und man muss dazu nicht in die Niederlande fahren, um die Buzzwords "Islam Europa, Linke, Multikulti, politische Korrektheit" in der Wilders-Mischung zu hören, die mit etwas Argument anreichert, was vor allem aus dem Gefühl, Ressentiments und Ängsten, lebt, das mit Feindbildern wächst. Dass Protagonisten dieser Feindbilder, die polemisch aus diesem Topf schöpfen, riskieren, damit seltsame Verbindungen einzugehen, ist nach der Tat von Norwegen in einen neuen Blickwinkel gerückt. Nicht zuletzt deswegen, weil sie immer wieder auf ideologische Hintergründe von Attentaten hingewiesen haben. Das könnte man Ironie nennen, wäre das Attentat (wie die anderen auch) nicht ein solches unbegreifliches Monster, das sich solches verbietet.