How to get rich quick
oder: Die etwas andere Nigeria-Connection
Hollywood ist von gestern. Bollywood hat auch nicht viel Neues zu bieten. Aber Nollywood, den Namen sollte man sich merken. Allein die Zahlen sind unfassbar: schätzungsweise 1200 Filme pro Jahr werden in Nigeria produziert. Schätzungsweise, denn es gibt kein nationales Filmarchiv, das das bunte Treiben dokumentiert und für die Nachwelt aufbewahrt. Produziert wird ohne jede staatliche Subvention, gedreht wird ausschließlich auf Video, der Vertrieb erfolgt über die so genannten 'Marketers', auf Video-Filme spezialisierte Händler, die nicht nur den Vertrieb organisieren, sondern auch die von ihnen vertriebenen Filme -zumindest teilweise - vorfinanzieren. Der Etat einer Nollywood-Produktion liegt im Schnitt bei 10.000 Euro, die Drehzeit bei einer Woche, die Zahl der Kopien hängt ab vom Erfolg. Ziel der unabhängigen Produzenten von Nigeria für 2004: einen Film zu produzieren, der über eine Million Kopien verkauft. Ganz offiziell, ohne die gigantische Zahl der Raubkopien weltweit.
Nigeria ist mit seinen 130 Millionen Einwohnern nicht nur das bevölkerungsreichste Land Afrikas, sondern auch das Land mit der vitalsten Film-Industrie der Welt. Herz des nigerianischen Video-Handels ist der Filmmarkt Idumota in der ehemaligen Hauptstadt Lagos. In unzähligen Shops lagern abertausende Filme, fast alles nigerianische Produktionen mit knallbunten Covern und Titeln wie 'Outkast', 'Holygans', 'Living in Bondage' oder 'Bastard'. Es geht um Liebe, Verrat, Betrug, Intrigen, Prostitution, Mord, Totschlag, Reue und Bekehrung. Jeden Montag werden an die 50 neue Titel ausgeliefert, und wenn es gut läuft, dann wechseln in drei Stunden über 200.000 Videokassetten den Besitzer. In einem einzigen Laden, wohlgemerkt.
Die Kunden kommen nicht nur aus ganz Nigeria, auch aus den umliegenden Staaten strömen Fans und Händler herbei und stopfen sich die Taschen voll. Die überwiegend englischsprachigen Nollywood-Filme sind in ganz Westafrika heiß begehrt - und nicht nur dort. Über Nacht tauchen die aktuellen Produktionen in Video-Shops in Europa, Asien und Amerika auf, sehnsüchtig erwartet von den Fans, Auswanderern meist, die sich nach einem Stück Heimat sehnen. Natürlich gibt es in Idumota auch Filme aus dem Ausland, verlangt werden sie aber nur selten. Populärer sind Thriller wie 419 - Stalk Exchange, in dem dumme, geldgierige Ausländer übers Ohr gehauen werden. Die Nigeria-Connection (vgl. Spam, Betrug und Drogen) lässt grüßen.
Kino spielt schon seit Jahren keine Rolle mehr in Nigeria, und Hollywood-Filme schon gar nicht. "Terminator interessiert uns nicht," verkündete die Produzentin Peace Anyiam-Fiberesima dem staunenden Publikum der Podiumsdiskussion 'Hollywood in Nigeria or: How to get rich quick, die am Rande der Berlinale stattfand. "Wir haben unsere eigenen Geschichten und unsere eigenen Stars", sagt Fiberesima. Ob Nicole Kidman die Berlinale beehrt, kümmert in Nigeria keinen. Dort heißen die Superstars Genevieve Nnaji, Olu Jacobs und Fred Amata. Nicht ohne Stolz berichtet Peace Anyiam-Fiberesima davon, wie der Besuch der Nollywood-Stars in Sierra Leone zum Staatsereignis wurde. Oder dass die Gefechte in Liberia stoppten, als eine Nollywood-VHS gefunden wurde. Freund und Feind sahen den Film gemeinsam an, danach gingen die Kämpfe weiter.
Dass es in Nigeria so gut wie keine Kinos gibt, liegt erstens daran, dass Nigeria von 1966 bis 1998 eine Militärdiktatur war und dass es während der abendlichen Ausgangssperren schlichtweg zu gefährlich war, das Haus zu verlassen. Zweitens brach die Wirtschaft Anfang der 90er Jahre zusammen, niemand konnte sich mehr Kinotickets leisten, die Leute blieben zuhause. Die einzige Form der Unterhaltung, die sich viele Familien leisten konnten, waren Videos. Fernsehen hätte es zwar gegeben, allerdings sind Satelliten-Schüsseln sehr viel teurer als Videorekorder. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Der Eintritt für semi-öffentliche Vorführungen kostet aktuell rund 30 Cent, eine Kauf-Kassette zwischen 2 und 4 Euro. Preise, die sich fast jeder leisten kann. Zumal Videokucken noch immer Familiensache ist. Man trifft sich zum gemeinsamen Filmerlebnis oder kauft unterschiedliche Filme und verleiht sie im Familienkreis.
Ausschlaggebend für den Erfolg sind die Schauspieler. Je mehr bekannte Gesichter auf dem Cover abgebildet sind, desto mehr Kopien werden verkauft. Die Story ist zweitrangig. Gedreht wird in den wichtigsten Landessprachen Nigerias: Englisch, Hausa, Yoruba oder Igbo. Manchmal gibt es Untertitel, manchmal nicht. Sprachbarrieren sind kein Problem, weil man die turbulenten Bilder auch ohne Text versteht. Außerdem sind die meisten Geschichten vorher bekannt. Das Publikum scheint es zu genießen, immer wieder dieselben Dramen zu durchleben. Wobei der Filmwissenschaftler Onookome Okome vier Genres unterscheidet: Halleluja-Filme, epische Filme, City-Filme und Komödien.
Halleluja-Filme kamen während der Wirtschaftskrise in den frühen 90ern auf, im Zentrum des Interesses steht die Läuterung des Helden oder der Heldin, die ganz wörtlich mit einem schallenden Halleluja in der Kirche endet. Epische Filme zeigen Afrika aus der Perspektive der früheren Kolonialherren, haben außer Klischees - üppige Landschaften, prächtige Kostüme und schöne Frauen - jedoch wenig zu bieten und gelten als Ladenhüter. City-Filme zeigen die Probleme der Gegenwart: Prostitution, Betrügereien, Schattenwirtschaft, Mord und Totschlag. Thematisiert wird der Überlebenskampf in der postkolonialen Stadt, wobei die How-to-get-rich-quickly-Filme ein eigenes Sub-Genre bilden. Komödien sind ebenfalls gegenwartsbezogen und nicht selten gesellschaftskritisch.
Einer der Urväter der nigerianischen Comedy war der Nobelpreisträger Ken Saro-Wiwa, der 1995 hingerichtet wurde, weil er die Umweltsünden und Menschenrechtsverletzungen des Shell-Konzerns und der nigerianischen Militärregierung im Ogoni-Land angeprangert hat. In der von Saro-Wiwa produzierten Seifenoper Mr. Basi & Company kämpft Underdog Mr. Basi unermüdlich gegen die Korruption im eigenen Land - mit Tricks, deren subversiver Charme umso mehr beeindruckt, als die Sendung zu Zeiten der Militärdiktatur entstand.
Zensur gab es nicht nur damals, auch heute noch müssen alle Videoproduktionen der nationalen Zensurbehörde (Nigerian Film and Video Censor Board (NFVCB)) vorgelegt werden. Ein einträgliches Geschäft für die Regierung, denn für die Zensurtätigkeit lässt sich die Behörde von den Filmemachern bezahlen. Wer seinen Film ohne Freigabe auf den Markt bringt, muss 2000 Euro Strafe zahlen. Die aktuelle Leiterin der Behörde ist laut Peace Anyiam-Fiberesima eine 'Halleluja-Dame', die von Filmen nichts versteht. Wenn es nach ihr ginge, stünden Händchenhalten und Küssen fortan auf dem Index. Deshalb sei es durchaus möglich, sagt Fiberesima, dass erfolgreiche Filmemacher in Zukunft lieber die 2000 Euro Strafe zahlen als die Zensur-Auflagen in Kauf zu nehmen. Der Betrag sei schon nach wenigen Tagen wieder eingespielt. Unabhängigkeit zahlt sich eben aus.
Längst haben internationale Filmfestivals das Wunder von Nollywood entdeckt, nach dem Gastspiel auf der Berlinale sind nigerianische Produktionen demnächst auf Festivals in London und New York zu sehen. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis ausländische Produzenten versuchen, den lukrativen nigerianischen Markt zu erobern. Dass dies nicht ganz einfach sein dürfte, zeigt ein Experiment der BBC: Um dem Publikum zuhause einen Eindruck von der nigerianischen Filmindustrie zu vermitteln, schickte die BBC einen aufstrebenden Jung-Regisseur nach Lagos, um vor Ort einen Nollywood-Film zu produzieren. Frei nach dem Motto: Wie man in einer Woche einen Film dreht.
Am Ende war der Auserwählte Nick Moran gelinde gesagt frustriert. Davon zeugen die BBC-Doku Nick goes to Nollywood sowie Morans Bericht für den Guardian. Erst hielten die Nigerianer nichts von seinem Drehbuch, dann wurde er von den Produzenten und Darstellern sitzen gelassen, als nächstes bekam er Probleme mit den Behörden vor Ort, und zu guter Letzt wurde er von Jugendgangs abgezockt. "Vorbereitung ist alles," kommentierten die Nollywood-Experten in Berlin das Desaster. Bloß weil gestandene Regisseure wie Jeta Amata einen Film in fünf Tagen abdrehen, heißt das noch lange nicht, dass sie den Dreh nicht Monate im Voraus planen und vorbereiten. Insofern sei das superbillig-superschnell-Image von Nollywood nicht ganz korrekt. Ein bisschen was muss dennoch dran sein. Immerhin umfasst die Filmographie des 29-jährigen Amata, Spross des Film- und Theater-Clans Amata bereits 40 Titel.