Hyperkonservatismus: Frei, sich seine eigene Hölle zu schaffen
- Hyperkonservatismus: Frei, sich seine eigene Hölle zu schaffen
- Frauenhass ist keine Fußnote in der Ideologie
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USA nach dem Urteil zur Abtreibung: Die neurechte Kulturevolution hat Fahrt aufgenommen. Sie hat ihre Risiken.
Wir werden so oft gewinnen, dass Sie das Gewinnen bald satt haben werden.
Donald J Trump
Mit diesem Wahlversprechen hatte der Präsidentschaftskandidat 2016 wohl nur etwas übertreiben wollen, doch ist der Siegeszug der "Neuen Rechten" trotz verlorener Präsidentschaftswahl nicht von der Hand zu weisen. Dennoch: Vielleicht werden einige Konservative bald wirklich des Gewinnens müde.
Es ging dann doch alles sehr rasch vom ersten Leak des Supreme Courts bis zum tatsächlichen Urteil am vergangenen Freitag, welches das Recht auf Abtreibung offiziell zur bundesstaatlichen Angelegenheit erklärte.
Eric Schmitt kündigte schon am selben Tag an, er würde kraft seines Amtes als Generalstaatsanwalt Missouris Abtreibungen illegalisieren. Damit ist Missouri der erste Bundestaat, der von der neugewonnen "Freiheit" Gebrauch macht, über die Rechtmäßigkeit von Abtreibungen zu entscheiden. Insgesamt geht man davon aus, dass mindestens 22 der 50 US-Bundesstaaten darauf aus sind, Abtreibungen sobald wie möglich zu verbieten, ihnen könnten dann vielleicht noch einmal vier nachfolgen.
Konservative am Ziel angekommen
Die Konservativen sind also am Ziel angekommen, die Kulturevolution hat Fahrt aufgenommen und der Widerstand der Demokraten hält sich stark in Grenzen. Wahrscheinlich sind einige der Mitglieder der konservativen Eliten fast überrascht, wie leicht es war, den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten zu übernehmen und ihre sozialpolitische Agenda durchzusetzen.
Vielleicht wurde Richter Alitos Entwurf auch absichtlich geleakt, um zu testen, ob die Demokraten nicht vielleicht doch einen Plan zur Gegenwehr in petto hätten. Als Biden und seine Partei nichts Besseres einfiel, als schockiert ihre potenziellen Wähler um Geld für Wahlkämpfe und Gegenkampagnen zu bitten, muss den Republikanern relativ schnell klar geworden sein, dass sie hier gefahrlos einen politischen Sieg einfahren könnten. Man kann sich allerdings auch "totsiegen".
Hyperkonservatismus und seine Risiken
Die Frage ist, ob die Intensität, mit der die Konservativen derzeit ihren Willen über die Gerichte durchsetzen, auf lange Sicht von der Mehrheit der US-Bevölkerung geduldet werden wird. Bisher scheint sich dieser "Hyperkonservatismus" in seiner Grausamkeit immer weiter zu steigern und sein Wirkungsfeld immer weiter auszudehnen.
Wenn rassistische, sexistische oder andere menschenverachtende Gesetzgebungen kleinere marginalisierte Gruppen und Minderheiten angreifen, kommen konservative Machthaber oft damit davon. Eine Tendenz, die durch die sehr identitätsbezogenen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit dieser Gruppen noch verstärkt werden kann.
Wenn sich jedoch solche durch Ideologie motivierte und gerade deshalb oft grausame Maßnahmen gegen Großteile der Bevölkerung wenden, gehen sie das Risiko eines gesamtgesellschaftlichen politischen Backslashs ein, der ihre politische Macht gefährden könnte, – zumindest auf lange Sicht.
Von der Gesetzesänderung bezüglich Abtreibungen sind mehrere zehn Millionen Frauen betroffen, darunter auch Schwangere, deren körperliche Gesundheit und Freiheit eventuell bedroht ist, darunter sind auch viele konservative Frauen.
Beruhigung der besser situierten Frauen
Vielleicht um die besser situierten Frauen der religiösen Rechten zu beruhigen, ließ Richter Brett Kavanaugh am vergangenen Freitag verlauten, kein Staat dürfe es Frauen verbieten, in andere Staaten zu reisen, um eine Abtreibung vornehmen zulassen, auf der Basis, dass "seines Wissens nach das Reisen zwischen Staaten von der Verfassung garantiert sei".
Auch zeigt sich der Supreme Court insofern großzügig, als wohl keine retrospektive Bestrafung für Abtreibungen vor dem Urteil am 24.06. 2022 zu erwarten ist. Es wäre aber falsch zu glauben, dass die Hyper-Konservativen bezüglich der Entrechtung und Verfolgung von Frauen auf Basis der neuen Abtreibungsgesetze irgendwelche "moralischen" Grenzen kennen.
In Indiana wurde 2011 eine, in der 33-Woche schwangere, Frau nach einem Selbstmordversuch für den Mord an ihrer Tochter angeklagt. Damals kommentierte die American Civil Liberties Union nach der Auslegung des Gesetzes in Indiana könne "jede schwangere Frau strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie etwas tut [oder versucht], das ihre Gesundheit gefährden könnte, auch unabhängig vom Ausgang der Schwangerschaft".
Man möchte sich nicht vorstellen, was solche Autoritäten und Gerichte mit ihrer neuen rechtlichen Handhabe anfangen werden.