"I'm not a pirate - I'm a fisherman"
Zehn Jungen und Männern aus Somalia soll wegen Angriffs auf den Seeverkehr sowie versuchten erpresserischen Menschenraubs vor dem Landgericht Hamburg der erste Piratenprozess seit 400 Jahren gemacht werden
Zehn Somalis wurden am 5. April 2010 von niederländischen Spezialeinheiten bei dem Versuch festgenommen, das Containerschiff "Taipan" der Hamburger Reederei Komrowski in ihre Gewalt zu bringen. Die Afrikaner wurden zunächst in Amsterdam inhaftiert und von dort aus aufgrund eines internationalen Haftbefehls an die Bundesrepublik ausgeliefert. Nun soll ihnen in Hamburg der Prozess gemacht werden. Der erste Piratenprozess seit 400 Jahren in der Hansestadt.
Als Piraten sehen die Beschuldigten sich indes nicht, sondern als Fischer. De facto sind sie Fischer in einer Region mit einem Meer ohne Fische – und "fischten" am Ostermontag definitiv zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Reeder fordern harte Strafen für die Somalis, und militärische Begleitung für ihre Handelsschiffe am Horn von Afrika – andernfalls wollen sie private Sicherheitsdienste mit ihrem Schutz betrauen.
90 % der Stückgüter des Welthandels werden mit Containerschiffen transportiert. Knapp 5.000 Containerfrachter befahren die Weltmeere, Tendenz steigend. Und Hamburg ist die Hauptstadt dieses boomenden weltumspannenden Geschäfts: Jedes dritte Containerschiff hat deutsche Eigner, und sie werden von Hamburg aus gemanagt. Dort ist der Internationale Seegerichtshof angesiedelt und die Hansestadt ist der Standort für die bundesdeutsche Seegerichtsbarkeit.
Deshalb wurden die somalischen Piraten nach Hamburg gebracht. Zwei von ihnen sitzen in der Jugendvollzugsanstalt (JVA) Hahnöfersand ein, ihren Angaben zufolge sind sie 13 und 16 Jahre alt. Die anderen acht sind in drei verschiedenen Knästen untergebracht, im Durchschnitt zehn Jahre älter als die Jugendlichen. Für die erwachsenen Gefangenen gilt: Einzelhaft, 23h pro Tag in der Zelle, eine Stunde Umschluss, der Kontakt untereinander ist streng verboten, in der einen Stunde Umschluss ist Kontakt zu anderen Gefangenen indes erlaubt Sie alle werden sich wegen des gescheiterten Versuchs, die "Taipan" zu kapern, vor dem Landgericht Hamburg verantworten müssen, ihnen drohen bis zu 15 Jahren Haft. Die Medien freuen sich schon auf diesen ersten Piratenprozess nach 400 Jahren in der Hansestadt.
Somalia ist ein verlorenes Land, das als Atommülldeponie fungiert
"Wenn ich meinem Mandanten sage, dass er hier als Pirat gilt, antwortet er ganz entschieden: 'I'm not a pirate, I'm a fisherman'", erläutert die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke, die einen der Somalis vertritt. "Das Problem ist nur, dass es in Somalia nichts mehr zu fischen gibt. Manche Länder werden schlicht fallen gelassen, und ich glaube, Somalia ist ein verlorenes Land, die Armut dort ist kaum vorstellbar."
Seit 1991 ist das Land im Bürgerkrieg, seit 2000 gibt es die international anerkannte Föderale Übergangsregierung (TFG), mit Regierungstruppen, die von den USA mit Waffen und Munition beliefert werden, und deren Soldaten u. a. von Frankreich ausgebildet wurden. Ende 2005 schickte die Friedensmission der afrikanischen Union für Somalia (AMISOM) 5.200 Soldaten aus Burundi und Uganda. Seit Januar 2009 ist Sheikh Sharif Ahmed Präsident der Übergangsregierung (Somalia: Vom Terroristen zum Retter der Nation). Aufgrund des Bürgerkriegs und der Einführung der Scharia im April 2009 sind unzählige Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen (Somalia: Zivilisten in der Falle zwischen allen kämpfenden Parteien).
Inzwischen wurde bekannt, dass die Bundeswehr an der jüngsten sicherheitspolitischen Mission der EU beteiligt ist und auch deutsche private Militärdienstleistungsunternehmen dort einen Markt sehen (Ehemalige Bundeswehrsoldaten als Söldner in Krisengebieten).
Doch nicht nur die instabilen politischen Verhältnisse und der Bürgerkrieg entziehen den Menschen die Lebensgrundlage, sondern auch die Überfischung des Meeres: Fischfangflotten aus den USA, der EU und Japan fischen die Gewässer leer, so dass den somalischen Fischern nichts mehr bleibt. Greenpeace nennt das "Fischpiraterie". Hinzu kommt, dass u. a. Somalia seit Jahrzehnten als internationale Atommüll-Deponie genutzt wird (s.a. den neuen Greenpeace-Bericht The Toxic Ships). Nach dem Tsunami in Dezember 2004 wurde an der Küste Somalias nuklearer Abfall angeschwemmt. Auf Seite 134 des Berichts des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) ist zu lesen, dass Somalia eines von vielen unterentwickelten Ländern ist, das seit den achtzigen Jahren unzählige Schiffsladungen von Atommüll und anderen schädlichen Abfällen bekam und sie entlang der Küste lagerte.
Die Firma ODM aus Lugano benannte Mitte der 90er Jahre im Internet das durch Bürgerkrieg zerfallene Somalia als bevorzugte Stelle für die Lagerung nuklearer Abfälle. Ilaria Alpi und Miran Hrovatin, zwei italienische Fernsehjournalisten, recherchierten vor Ort über die iatlienisch-somalischen Atommüll-Geschäfte. Am 20. März 1994, nur einige Stunden, bevor sie ihren telefonisch angekündigten Bericht an den italienischen Sender RAI überspielen konnten, wurden sie in Mogadischu auf offener Straße erschossen. Massimo Scalia, der Vorsitzende einer Untersuchungskommission des italienischen Parlaments, sagte der Agentur Inter Press Service, dass Italien allein am Handel mit Atommüll jährlich sieben Milliarden US-Dollar verdient.
Söldner im Dienst von Banden?
Trotz – oder gerade wegen – der Armut erschließt sich nicht, wieso ausgerechnet unter den Ärmsten der Armen sich hochgerüstete Piratenbanden entwickeln, die sich bewaffnen, mit Schnellbooten ausrüsten und Containerschiffe überfallen, auch wenn die Taipan ein vergleichsweise kleiner Frachter ist. Auch Anwältin Heinecke hat so ihre Zweifel: "Es ist offensichtlich, dass die Festgenommenen nicht selbst über Waffen, Schnellboote und Logistik verfügt haben. Es muss Auftraggeber geben und die müssen Geld haben. Aber wer hat schon Geld in Somalia?"
Die zehn Somalis sind sicherlich keine maritimen Kämpfer für eine gerechtere Welt, sondern eine spezielle Form von Söldnern, die sich in den Dienst der Banden gestellt haben, um das Überleben für sich und ihre Familien zu sichern. Der Sold für diese Aktion wird das Überleben vermutlich einige Wochen sichern, wäre sie gelungen, vielleicht sogar einige Monate. Von bundesdeutschen Medien bis zur Friedensbewegung besteht Einigkeit darin, dass hinter der Piraterie organisierte Kriminalität steckt.
Doch die Reeder scheinen nicht so sehr an den Hintermännern interessiert zu sein, als an harten Strafen für die Somalis. So forderte der Geschäftsführer der Reederei Komrowski, Roland Höger, im Hamburger Abendblatt die "härtesten Methoden".
Die hanseatischen "Pfeffersäcke" blicken auf keine ruhmreiche Tradition zurück
Die Wurzeln der Hamburger Reeder liegen im Dreieckshandel, den über den Atlantischen Ozean betriebenen Warenhandel zwischen Europa, Afrika und Amerika. Im Klartext heißt das, dass aus Afrika Sklaven in die USA verbracht wurden, aus den USA kam die Baumwolle, die die Sklaven auf den Cottonfields pflücken mussten, nach Europa, um hier verarbeitet zu werden. Die Produkte daraus wurden mitverschifft, und so ganz nebenbei noch munter Waffenhandel betrieben. Der ehrenwerte Kaufmann Heinrich Carl von Schimmelmann begründete damit sein Vermögen.
Von den heutigen Hamburger Reedern sind lediglich die Deutsch-Afrika-Linien (DAL) mit dieser unseligen Tradition in Verbindung zu bringen. Deren Gründer John T. Essberger kaufte 1941 den Zigarettenfabrikant Reemtsma die Aktien der Woermann-Reederei ab. Adolph Woermann gilt als maßgeblich an der Einrichtung der deutschen Kolonien in Afrika beteiligt.
Nach Kriegsende wurde die Woermann-Linie nicht wieder betrieben, und die Familie Essberger fühlte sich offenbar somit aus der Verantwortung für die Verbrechen Woermanns entlassen. Allerdings sah die Herero People's Reparation Corporation das anders: Sie reichte 2002 unter anderem Klage gegen die Deutsche Afrika-Linien als Nachfolger der Woerman-Linie ein, die wesentlich an Enteignung, Ausbeutung und dem Mord an Hereros und Namas 1904 beteiligt gewesen sein soll (Das verdrängte Massaker).
In diese Tradition ist die 1923 gegründete Reederei Komrowski indes nicht zu stellen. Allerdings fällt auf, dass das Unternehmen während der Zeit des deutschen Faschismus stark expandierte: von 1934 bis 1940 wurde die Flotte von fünf auf zwölf Schiffe erhöht – und damit mehr als verdoppelt. Seit 1972 flaggt Komrowski aus. Dazu wurden in Curacao auf den Niederländischen Antillen eigens zwei Tochterfirmen gegründet, dadurch erhielten einige Schiffe niederländische Flaggen. Andere wurden nach Liberia ausgeflaggt. Niederländische Anwälte fanden im Zusammenhang mit den somalischen Gefangenen heraus, dass den Angaben im Internet zufolge die "Taipan" mal als deutsches Schiff auftaucht, dann wieder unter der Flagge Liberias oder Bahamas geführt wird. In jedem Fall wurde die "Taipan" der israelischen Reederei ZIM verchartet und war zwischen Haifa, Dschibouti, Mombasa, Daressalam und Durban im Einsatz. Die 13köpfige Besatzung bestand den Angaben der Hamburger Reederei zufolge aus zwei deutschen und drei russischen Seeleuten sowie 8 Männern aus Sri Lanka.
Ausflaggen ist bei deutschen Reedern sehr beliebt. So kann die Heuer der Seeleute den Standards des Landes angepasst werden, unter dessen Flagge das Schiff fährt. Da zum Bau der Riesenpötte häufig Subventionen beansprucht werden, wurde zwischenzeitig die deutsche Flagge wieder interessant, denn nur dann werden die staatlichen Zuwendungen bewilligt. Doch auch hier wurde eine für die Reeder günstige Lösung gefunden: Seit 1989 gibt es das Zweitregister, das die deutsche Flagge und eine Bezahlung der ausländischen Seeleute nach dem Recht des Landes ihrer Herkunft ermöglicht. Lediglich deutsche Seeleute müssen auf diesen Schiffen nach deutschen Tarifen entlohnt werden.
Reeder fordern Soldaten auf den Schiffen
Der Verband Deutscher Reeder (VDR) fordert unterdessen nachdrücklich militärischen Schutz: VDR- Hauptgeschäftsführer Hans Heinrich Nöll brachte im NDR den Einsatz von Soldaten auf Handelsschiffen ins Gespräch, denn die: "hätten eine noch größere Abschreckungswirkung als Marineschiffe allein, die in der Piratenregion patrouillieren". So "sechs bis maximal zehn Soldaten pro Schiff" schweben ihm dabei vor. VDR-Sprecher Max Johns würden auch entsprechend ausgebildete und ausgerüstete Bundespolizisten reichen. Im Gegensatz zur Bundesmarine wäre der Bundespolizei ein solcher Einsatz erlaubt.
Höger kann sich auch andere Lösungen vorstellen. Seit der Attacke stehe die Firma Sicherheitsfirmen an Bord aufgeschlossen gegenüber, erläuterte der Komrowski-Geschäftsführer dem Hamburger Abendblatt: "Schließlich geht es nicht um irgendwelche dahergelaufenen Fischer."