ICANN wird die Zukunft des Internet gestalten
Ein Gespräch mit dem Rechtsprofessor und Mitbegründer der ICANN Watch David Post
David Post, Rechtsprofessor an der Temple-University, ist einer der provokantesten Kritiker von ICANN. Der Jurist gründete 1997 zusammen mit David Jonson das Cyberspace Law Institute. Selbstorganisation und Selbstregulierung des Internet sind die Thesen, die er immer wieder vertritt, da er der Meinung ist, dass Regierungen dem Wachstum des Internet nur schaden können.
Mit ICANN Watch, das er gemeinsam mit David J. Farber und Michael Froomkin betreibt, will David Post der Organisation auf die Finger schauen, um zu verhindern, daß sie zu einer übermächtigen Netzregierung wird. Im Interview erklärt er, was die Wurzeln der Macht über das Internet sind und was man mit dieser Macht machen kann.
Im Internet selbst liest man immer wieder: "Das Internet regiert sich selbst." Das Netz aber ist als Kommunikationsmedium von der US-Regierung entwickelt worden und hat lange Zeit unter der Aufsicht des US-Verteidigungsministeriums gestanden. Dass die Amerikaner möglichst wenig Staat gut finden und die Internetgemeinschaft von Regierungen generell wenig hält, ist allgemein bekannt. Wie kann man beim Internet von Selbstregierung sprechen?
David Post: Es ist schon korrekt, wenn man das Internet als selbstregulierendes oder selbstorganisierendes Netzwerk versteht. Natürlich hängt es immer davon ab, was man unter Selbstregulierung versteht. Niemand hat jemals bestimmt, welche Gestalt das Internet haben soll oder wie es operieren wird. Und trotzdem haben wir jetzt dieses globale Computernetzwerk. Ich kann Emails nach China oder Mozambique verschicken. Bemerkenswert ist vor allem, dass das Netz funktioniert, ohne dass es jemals eine zentrale, mit Sanktionsmacht ausgestattete Regierung für das Internet gegeben hätte. Es gab keine Organisation, die genügend Macht oder die Autorität gehabt hätte, Regeln aufzustellen, die die Existenz des Netzes ermöglichen. In diesem sehr starken Sinne ist das Netz ein selbstregierendes und selbstorganisierendes Gebilde. Schauen Sie sich das System zur Namensvergabe im Internet an.....
Das ändert doch nichts daran, dass das Netz von der US-Regierung gegründet worden ist?
David Post: Wenn man sagt, dass etwas sich selbst organisiert oder regiert, dann heißt dies nicht, dass niemand irgendwelche Entscheidungen treffen. Ganz klar hat die US-Regierung eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Finanzierung der Gruppen gespielt, die Regeln für das Netz entworfen haben, beispielsweise wie die Gruppen die Kommunikationsprotokolle für das Internet entwickeln. Der Unterschied zu traditionellen Kommunikationsmedien und Organisationsformen aber ist, dass niemand jemals gesagt hat: Ihr müßt jetzt genau diese Kommunikationsprotokolle benutzen. Irgendwie hat man sich immer freiwillig und ohne Regierungseinmischung geeinigt, bestimmte technische Strukturen zu benutzen.
Auf einer rein technischen Ebene hat sich das Internet also immer selbst verwaltet?
David Post: Das ist korrekt. Dem Netz lagen immer Konsensentscheidungen zugrunde. Dieser Konsens wurde zwischen den beteiligten Technikern ausgehandelt, die diese Art von Regieren bevorzugen. Das Gegenbeispiel ist: Die US-Regierung, genauer: das Verteidigungsminiserium, kontrolliert den A-Root-Server. Dieser Computer steht an der Spitze der technischen Pyramide des Internets.
Ohne diesen Computer würde das Internet, wie wir es kennen, nicht funktionieren?
David Post: Stimmt. Um zu verstehen, was der A-Root-Server ist, muss man wissen, dass es nur einen geben kann. Der Root-Server stellt die Wurzel der Kommunikationsinfrastruktur des Netzes dar. Dieser Computer enthält Tausende von sogenannten "Pointers". Mein Computer fragt dort also an, wo er die Datenbank für .de oder .com finden kann. Der Root-Server verweist dann auf eine bestimmte Adresse. Es ist also nicht einmal eine sehr große Datenbank. Ich könnte diese Daten auch auf meinem Computer speichern. Was den Root-Server zum Root-Server macht, ist, dass Millionen von Internet-Service-Providern rund um die Welt auf ihn verweisen. Der Provider, bei dem Sie angemeldet sind, verweist in seinen Computern immer auf den A-Root-Server. Das ist für alle der Anfangspunkt jeglicher Kommunikation im Netz. Das passiert millionenfach pro Stunde.
Wenn ich dazu Lust hätte, könnte ich ein Zeichen an meinem Computer anbringen, das sagt: Ich bin der neue Root-Server. Das einzige Problem ist dann, dass ich nur der Root-Server sein kann, wenn andere ihn auch benutzen. Irgendwann hat es also einen weltweiten Konsens gegeben, diesen Computer zu benutzen. Niemand weiß genau warum und wie dieser Konsens zustande kam, den Computer zu benutzen, der unter Kontrolle der US-Regierung ist. Ich denke, man kann das Selbstregulation nennen.
Und dieser Root-Server wird ab jetzt von ICANN kontrolliert?
David Post: In zwei Stufen wird die Kontrolle des Computers von Network Solutions, der Firma, die einen Monopolvertrag für die Namensvergabe der Internetadressen mit der US-Regierung hatte, an ICANN übergehen. Die Operation des Computers wird aber immer noch unter Kontrolle des US-Regierung verbleiben. Nächstes Jahr dann wird ICANN auch das Management des Computers übernehmen.
Was kann man denn machen, wenn man den Root-Server kontrolliert?
David Post: (lacht) Ich denke, man könnte zumindest zeitweise das gesamte Internet lahm legen, indem man einfach die Dateien in diesem Computer willkürlich verändert. Alle Emails würden ziellos im Netz herumirren, und auch alle Webseiten könnten nicht mehr aufgerufen werden. Nichts würde mehr funktionieren, wenn die Dateien gelöscht würden.
Interessanter und realistischer ist jedoch sich vorzustellen, dass mir nun der Root-Server gehört. Ich lege dann die Daten fest, die alle Internet-Service-Provider in der ganzen Welt benötigen, um die .com oder .de Adressen zu finden. Ich habe also ein mächtiges Sanktionsmittel, denn alle Macht über das Internet kommt von seiner Wurzel: dem Root-Server.
Man wäre also in der Lage, Gesetze und Regeln für das gesamte Internet zu machen?
David Post: Diese Machtquelle kann man dafür benutzen. Der Besitzer des Root-Server könnte sagen: Mein Root-Server wird nicht auf eure Internetadressen verweisen, wenn ihr nicht bestimmten Regeln gehorcht. Das können Prinzipien aus dem Bereich des Copyright, des Markenschutzes oder der Meinungsfreiheit sein. Wer diesen Prinzipien nicht zustimmt, ist auf dem Netz nicht mehr auffindbar.
Wer die Kontrolle über den Root-Server hat, kann also das Problem effektiver Gesetzgebung für das Medium lösen. Die Staaten, die immer an der globalen Struktur des Netzes scheiterten, da sie nur nationale Gesetze erlassen und durchsetzen können, hätten also ein Problem weniger?
David Post: Genau das ist der Grund, warum die Entstehung von ICANN soviel Angst und Streit hervorruft. ICANN hat das Potential, ein gewaltiges Problem zu lösen, das vielleicht auf keinem anderen Wege gelöst werden könnte. Beim globalen Medium Internet gab es immer das Problem, unterschiedliche Regeln in unterschiedlichen Ländern zu haben. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob es wirklich eine so großartige Idee ist, dieses Problem überhaupt lösen zu wollen. Ich weiß nicht, ob die Welt dafür reif ist, dass es weltweit eine einzige Quelle für Copyright- und Markenschutzgesetze, Datensicherheit oder was immer man sich auch vorstellen mag, geben soll. Das ist die potentielle Gefahr, die von ICANN ausgeht - die Organisation könnte beginnen, einheitliche Regeln für alle Internetbenutzer aufzustellen.
War nach Ihrer Meinung dies ein Motiv, ICANN zu gründen? Wenn man sich die Erklärungen der Clinton-Regierung anschaut - das White-Paper oder das Green-Paper -, dann versteht man nicht, warum wir heute unbedingt eine Organisation wie ICANN benötigen?
David Post: Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt jemand in der Lage ist, diese Frage zufriedenstellend zu beantworten. Es gibt eine vereinfachende und naive Erklärung: Der Monopolvertrag zwischen NSI und der US-Regierung war am Auslaufen. Die US-Regierung hatte das Gefühl, unbedingt etwas tun zu müssen und den Dingen nicht einfach ihren Lauf zu lassen. Normalerweise läßt die US-Regierung, wenn ein Regierungsvertrag mit einem Unternehmen ans Ende kommt, diesen Vertrag einfach auslaufen. Nichts passiert. Man schüttelt sich die Hände, und läßt das System seinen Weg nehmen. Die Regierung hat sich gefragt: Was sollen wir nun machen? Sollen wir nun eine Regierungsinstitution gründen, die das Netz verwaltet?
Ich denke, dass wäre zum jetzigen Zeitpunkt keine gute Idee gewesen. Das Netz ist kein amerikanisches sondern ein globales Phänomen geworden.
David Post: Genau. Es ist eine Sache, die Macht über den A-Root-Server zu haben, wenn sich keiner dafür interessiert. Die US-Regierung hat sich natürlich gefragt, was passieren würde, wenn sie formell das Management des Netzes übernehmen würde. Was hätten die Japaner, die Europäer oder die Afrikaner wohl dazu gesagt? Sie hätten gefragt: Wer gibt euch das Recht dazu? Das ist der Hauptgrund, warum sie das nicht machen konnten. Aber gleichzeitig wollten sie nicht einfach die gesamte Kontrolle aus der Hand geben. Wenn sie das gemacht hätten, wäre es im Netz für einige Zeit sicherlich etwas chaotisch zugegangen. Das wäre vielleicht nicht schlecht gewesen. Aber das Internet ist mittlerweile kommerziell einfach zu wichtig. Besonders im US-Wirtschaftsministerium war man sehr besorgt darüber, was passieren könnte, wenn man das Netz nicht kontrollieren würde.
Denken Sie, dass die Europäische Kommission oder die Bundesregierung sich verstärkt in diesen Prozess einschalten sollten?
David Post: Da bin ich mir ganz sicher. Je mehr Stimmen aus unterschiedlichen Ländern diesen Prozess begleiten, desto besser ist es. Ich bin aber auch nicht sicher, was die beste Vorgehensweise bei der Bildung einer solchen Organisation ist. So etwas ist noch nie versucht worden. Es gibt kein Modell dafür. Aus meiner Sicht sind aber Regierungen nicht die besten Organisationen dafür. Sie haben immer ihre eigenen Interessen, die mit den Interessen der Internetbenutzer nicht immer übereinstimmen müssen. Wir müssen verstehen, dass ICANN die Zukunft des Internet gestalten wird. Sie wird maßgeblich bestimmen, wie diese internationale Resource in Zukunft verteilt wird. Die Internetgemeinschaft muss deshalb eine wichtige Stimme dabei haben, wie ICANN ihre Macht ausübt.
Wenn ICANN erfolgreich sein wird und im nächsten Jahr damit anfängt, wichtige Funktionen des Internet zu kontrollieren, wird sie dann eine ganz neue Art internationaler Organisation sein, die als Blaupause für einen neuen Typus internationaler Organsiationen dienen könnte?
David Post: Ja, das sehe ich auch so, es ist ein neuer Typ internationaler Organisation. Für mich ist es deshalb wichtig, Wege zu entwickeln, damit sie nicht zuviel macht ...
Ist das der Grund, warum Sie in Ihrem einleitenden Artikel auf ICANN Watch fragen, wo James Madison ist, wenn man ihn braucht?
David Post: Das ist einer der Gründe. Das Risiko ist groß, dass kommerzielle Gruppen ICANN für ihre Zwecke missbrauchen. Das Internet ist Milliarden von Dollar wert. Niemand weiß, wieviel es wirklich wert ist. Es ist wie ein neuer Planet mit unermeßlichen Mineralienvorkommen, der unvorstellbaren Reichtum verspricht und dessen Claims gerade abgesteckt werden. Diese Tatsache wird zu einem enormen Druck auf ICANN führen. Und dies ist auch das große Risiko für die Zukunft des Netzes. Wenn ICANN wirklich nur die technische Infrastruktur des Netzes verwaltet, werden wir nicht viel davon mitbekommen. Wenn nur die Internetadressen in einer gerechten und transparenten Art und Weise vergeben werden, dann wird ICANN erfolgreich sein.
Also wird ICANN doch nicht die Regierung für das Netz und für alle Netzbürger der Gesetzgeber sein?
David Post: Das hoffe ich. Aber wenn ICANN versucht, Markenschutz- oder Copyright-Gesetze zu machen, wird es ein Chaos geben. Die Welt ist noch nicht so weit. Es kann noch keinen Weltgesetzgeber geben. ICANN sollte einfach eine technische Organisation sein.