Ich bin ich
Carl Peters
Kolonialherren, treue Askaris und die jüdisch unterwanderte SPD im NS-Film
Das Dritte Reich im Selbstversuch (16): Carl Peters - Teil 1
What do I fear? myself? There’s none else by: Richard loves Richard; that is, I am I.
William Shakespeare, Richard III.
Ob wohl noch jemand von den werten Lesern weiß, wer Kai-Uwe von Hassel war? Falls nicht: Der aus einer Offiziersfamilie stammende von Hassel (CDU) war von 1954 bis 1963 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, ehe er 1963, im Gefolge der Spiegel-Affäre, Verteidigungsminister im Kabinett von Konrad Adenauer wurde und in dieser Funktion den Kopf für den von seinem Amtsvorgänger Franz Josef Strauß angerichteten Starfighter-Skandal hinhalten musste. Nach der Bildung der ersten Großen Koalition auf den Chefposten im Vertriebenenministerium abgeschoben, wurde er schließlich Bundestagspräsident (1969 bis 1972) und Abgeordneter im Europaparlament. Sein Vater war Hauptmann der "Schutztruppe" für Deutsch-Ostafrika, wo von Hassel vor etwas mehr als hundert Jahren, im April 1913, geboren wurde. Darum kommt er jetzt in einer Artikelreihe über NS-Propagandafilme vor, die der Autor lieber in einer EU schreiben würde, zu deren "Flüchtlingspolitik" einem nicht zuerst Frontex, Dublin-II und ertrunkene Afrikaner einfallen.
Tradition ist eine schöne Sache. Darum gibt es eine Vielzahl von Vereinen, die versuchen, die Erinnerung an die Vergangenheit zu bewahren und die alten Bräuche in die neue Zeit zu retten. Der Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen hat sich Aufgaben ausgesucht, die von der "Korrektur wahrheitswidriger Darstellungen" bis zum "Einsatz für die Pflege von Denkmälern" reichen. Im Internet-Shop kann man zwar keinen Schutztruppenhut kaufen, oder nur als Abzeichen, wohl aber - für Euro 23,50 und zu 100% aus Polyester - die Flagge der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, auch als "Petersflagge" bekannt, die heute als offizielle Verbandsflagge genutzt wird, wie ich dem Begleittext zum "Warenangebot" entnehme.
Denkmalschutz
Dazu eine Erläuterung des NS-Historikers Walter Frank (Fußnote in Band I der von ihm herausgegebenen Gesammelten Schriften von Carl Peters, erschienen 1943): "Die sogenannte ‚Petersflagge’ wurde 1933 zur offiziellen Kolonialflagge erklärt. Sie dient jetzt auch als Traditionsabzeichen der Polizeiverbände, die zum Traditionsträger der ehemaligen Polizeitruppen in den Kolonien bestimmt worden sind, der ehemaligen Kolonialkrieger und der Kolonialscharen der HJ und des BDM." Selbstverständlich kommt die beim Traditionsverband zu erwerbende Flagge ohne das von den Nazis hinzugefügte Hakenkreuz ins Haus, denn dieser Verband "bekennt sich zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und zum Selbstbestimmungsrecht der Völker". Eben. Was kann der Traditionsverband dafür, wenn die Nazis die schöne Flagge missbraucht haben? Hier soll es auch nicht um alte Fahnen oder gar um wahrheitswidrige Darstellungen der alten (oder der neuen) Zeit gehen, sondern um die Pflege alter Denkmäler. Denn in den frühen 1960ern machte sich der Traditionsverband für die Wiedererrichtung einer ziemlich ramponierten, 2 Meter 30 hohen und Carl Peters darstellenden Bronzestatue stark. Arne Perras hat ein gut recherchiertes Buch über Peters geschrieben und herausgefunden, dass von Hassel der prominenteste Unterstützer der Verbandsforderung war.
Für die einen ist Carl Peters der Begründer von Deutsch-Ostafrika und ein Kolonialheld. Für andere war er ein sadistischer Psychopath. In den 1890ern stand er im Mittelpunkt eines Skandals, bei dem es um sexuell motivierte Morde und einen Rückfall des vermeintlichen Zivilisationsbringers in die Barbarei ging. Hannah Arendt (The Origins of Totalitarianism, 1951) nimmt an, dass Peters eines der Vorbilder für Kurtz in Joseph Conrads Heart of Darkness war. Die Nazis verklärten ihn zur patriotischen Führerfigur und zum Opfer fieser Sozis, noch fieserer Juden sowie des Parlamentarismus. Ob von Hassel Arendts 1955 auch in deutscher Übersetzung erschienenes Buch gelesen oder sich durch andere Quellen informiert hatte, ob er aus Nostalgie handelte, aus politischer Überzeugung oder wider besseres Wissen, ist mir nicht bekannt. In seinem späteren Leben war er ein allgemein geachteter Parlamentspräsident, der (mit mäßigem Erfolg) versuchte, einen Ehrenkodex für Abgeordnete durchzusetzen und sagte, dass schlechte Charaktere die Politik verdorben hätten, nicht die Politik den Charakter der Volksvertreter. Wir wollen also annehmen, dass er nicht wusste, vor welchen Karren er sich da spannen ließ.
Der bronzene Carl Peters hatte schon einiges mitgemacht, als es mit der Hilfe von Hassels gelang, Helgoland erneut mit ihm zu beglücken. 1913 rief eine Gruppe von Peters-Freunden und Kolonialenthusiasten dazu auf, Geld für ein Monument zu spenden, das im Hafen der Stadt Daressalam (im heutigen Tansania) errichtet werden sollte, damals Sitz der Kolonialverwaltung von Deutsch-Ostafrika. Im Sommer 1914 traf die vom auf koloniale Motive spezialisierten Bildhauer Karl Möbius geschaffene Statue, in mehrere Kisten verpackt, dort ein. Aufstellen konnte man sie nicht mehr, weil bereits gekämpft wurde. Arbeiter brachten die Kisten in eine Lagerhalle, als die Briten den Hafen beschossen. In dieser Halle waren sie noch, als die Deutschen den Weltkrieg und ihre Kolonien verloren hatten. Für koloniale Kreise war es eine patriotische Pflicht, die Statue heimzuholen. Nach langwierigen Verhandlungen waren die Briten bereit, die Kisten herauszugeben.
Vielen schien die Hafenstadt Hamburg, Sitz des 1908 eröffneten Kolonialinstituts (eine der Vorgängerinstitutionen der heutigen Universität), der geeignete Platz für die Monumente der Kolonialzeit zu sein. Der Senat der Hansestadt hatte grundsätzlich nichts dagegen, solche Denkmäler aufzustellen. Nur Carl Peters bereitete Schwierigkeiten, weil er eine so kontrovers diskutierte Figur gewesen war. Als die Deutsche Kolonialgesellschaft den Hamburger Bürgermeister aufforderte, den Bronze-Peters endlich auf ein Podest zu stellen, war die Antwort sehr ausweichend (geschäftsführender Vizepräsident der DKG von 1931 bis 1933 war übrigens Konrad Adenauer). Das Zögern der Hamburger hatte mit dem politischen Agitator Carl Peters zu tun, nicht mit dem Kolonialismus als solchem. Eine heimgeholte Statue Hermann von Wissmanns, des ehemaligen Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, war bereits 1922 vor der Universität aufgestellt worden, nach einstimmigem Beschluss des Senats dieser Bildungseinrichtung.
Von Sansibar nach Helgoland
Die Nazis spielten bei solchen Aktivitäten zunächst kaum eine Rolle, weil sich Hitler mehr für die Unterwerfung der europäischen Nachbarn als für den Einmarsch in Afrika interessierte. Das änderte sich, als 1928 Franz Xaver Ritter von Epp, ein Protagonist der Kolonialbewegung, in die NSDAP eintrat. Von Epp nahm sich des bronzenen Peters an und war der Ansicht, dass Helgoland ein guter Platz für ihn wäre (wegen des "Helgoland-Sansibar-Vertrags" von 1890). 1931 war es soweit. Im Rahmen einer "Kolonial-Werbewoche" wurde das Standbild - Peters visionär in die Ferne blickend, mit Tropenhelm und auf ein Schwert gestützt - auf einen steinernen Sockel an der Kurpromenade gestellt. Eine Gedenktafel informierte darüber, dass es den Großtaten des Begründers von Deutsch-Ostafrika zu verdanken sei, dass Helgoland 1890 Teil des Deutschen Reichs wurde. Das war eine äußerst gewagte Interpretation, kam beim Publikum aber bestimmt gut an.
Zur Hauptstadt des Peters-Kults hatte sich da längst Hannover aufgeschwungen, das gern so tat, als sei der wackere Kolonialheld ein Sohn der Stadt, obwohl er nur einige Monate dort gewohnt hatte. 1916 wurde ein bis dahin namenloser Platz nach ihm benannt. 1918 spendierten die Hannoveraner ein Ehrengrab und 1928 eine repräsentative Ausgestaltung. Da versammelten sich nun regelmäßig die Anhänger der Kolonialbewegung. 1935 erhielt auch Hannover sein Monument, das im Beisein von Epps (seit 1934 Reichsleiter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP und von 1936 bis 1943 Bundesführer des Reichskolonialbundes) feierlich enthüllt wurde. 1988 wurde das dem "großen Niedersachsen" gewidmete Denkmal durch eine "Mahntafel gegen den Kolonialismus" ergänzt.
Weniger haltbar als in Hannover war das Peters-Gedenken auf der Kurpromenade von Helgoland. Dazu gibt es zwei Versionen. Die Statue wurde 1945 bei einem Luftangriff beschädigt und von einem Fischer auf das Festland verkauft. Oder sie wurde schon vorher von der Insel geholt, um eingeschmolzen zu werden, was dann aber nicht geschah. Ende der 1940er tauchte sie auf einem Schrottplatz in Bremen wieder auf, von wo sie nach Pinneberg gebracht wurde. Dort lagerte man die in Kisten verpackten Einzelteile in mehreren Kellern ein. Nach dem Abriss eines der Gebäude verkauften Arbeiter den Inhalt der Kisten an einen Schrotthändler, der den Peters-Torso für den Rest einer Göring-Statue hielt und zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, als der Handel aufflog.
Als der Traditionsverband für eine Wiedererrichtung der Statue auf Helgoland warb war sie schon so beschädigt, dass sich eine komplette Restaurierung nicht mehr finanzieren ließ. Also wurde der ursprüngliche Bronzekopf in eine Büste umgewandelt. 1966 fand die Büste auf einem Podest vor der Jugendherberge von Helgoland ihre neue Heimat. Dort blieb sie, bis die Verantwortlichen böse Briefe erhielten, weil im Januar 1989 in der Zeit ein Artikel von Eckhard Groth erschienen war. Groth berichtete über Gräueltaten in Afrika und klärte darüber auf, was das eigentlich für ein Mann war, der da vor der Jugendherberge geehrt wurde und warum Dr. Carl Peters bis heute der Held vieler Rechtsradikaler ist. Der örtliche Ausschuss für Schule, Kultur und Soziales war auch deshalb alarmiert, weil der Botschafter von Tansania anlässlich des hundertsten Jahrestags des "Helgoland-Sansibar-Vertrages" seinen Besuch angekündigt hatte. Im September 1989 wurde beschlossen, den Kopf mit dem Tropenhelm wegzuräumen. Seit 1996 verwahrt ihn das Museum Helgoland. Der Direktor, Jörg Andres, hat mir geschrieben, dass geplant sei, die Büste auf dem Freigelände auszustellen. Wer schon vorher hinkommt und den Kopf nicht findet: stattdessen die Ausstellung zu Leben und Werk von James Krüss besichtigen, dem Autor von Der Sängerkrieg der Heidehasen und von Timm Thaler. Da hat man gleich ein schönes Kontrastprogramm.
In den 1980ern begann in einer ganzen Reihe von deutschen Städten die Diskussion darüber, ob man wirklich einen Carl-Peters-Platz, eine Carl-Peters-Straße oder eine Carl-Peters-Allee haben sollte ("Carl" seit den 1920ern auch öfter mit "K" geschrieben). Manche trennten sich von ihm (aus dem Karl-Peters-Platz in Hannover wurde 1994 der Bertha-von-Suttner-Platz), andere entdeckten einen Alternativ-Peters ohne Kolonialvergangenheit, den sie nun offiziell mit dem Straßennamen ehrten, damit die Anwohner keine neuen Briefköpfe drucken lassen mussten, wieder andere behielten ihn. Meistens war das ein schmerzlicher Prozess. Gut informiert war die Mehrzahl der Diskutanten nicht. Für viele (bis zu den Recherchen für diesen Artikel gehörte ich auch dazu) war Dr. Carl Peters eine Art Kara Ben Nemsi, ein schneidiger Abenteurer, den es wirklich gegeben hatte, nicht nur in der Phantasie von Karl May. Die tragikomische Geschichte vom Zurechtstutzen des in Bronze gegossenen, 2 Meter 30 hohen Helden und die weiter andauernden Auseinandersetzungen um die nach ihm benannten Straßen haben einen ernsten Kern. Sie zeigen, wie lange Propaganda nachwirkt, wenn man sich ihr nicht stellt, sondern sie in den Archiven vergräbt, um uns vor ihr zu schützen. Die Feinde der NS-Propaganda heißen Aufklärung und aktive Auseinandersetzung. Man macht sie nicht dadurch unschädlich, dass man sie verdrängt und in den Giftschrank sperrt.
Bücher über Figuren aus der deutschen Kolonialvergangenheit hatten im Dritten Reich Hochkonjunktur. Der Lieblingsimperialist der Nazis war Carl Peters. Es gab Bücher für die deutsche Jugend mit Auszügen aus seinen Schriften, populärwissenschaftliche und romanhafte Darstellungen, ein Theaterstück (Weg in die Welt. Ein Schauspiel um den deutschen Mann Karl Peters von J. Buchholz). Peters-Enthusiasten erklärten ihn zum Vorläufer Adolf Hitlers. Seine vollständige, von Innenminister Wilhelm Frick betriebene Rehabilitierung scheiterte an formalrechtlichen Regelungen und am Widerstand des Außenministeriums, das die Reaktionen in anderen Ländern im Blick hatte. Als Kompromisslösung unterzeichnete Hitler 1937 einen Gnadenerlass, worauf Peters’ Witwe offenbar eine Einmalzahlung in Höhe von 50.000 (oder 80.000) Mark erhielt und eine monatliche Rente von 336,09 Mark. Walter Frank, Herausgeber der Zeitschrift Forschungen zur Judenfrage, brachte drei Bände mit gesammelten Schriften des von ihm verehrten Peters auf den Markt und arbeitete an einer Hagiographie, die unvollendet blieb, weil Frank sich im Mai 1945 umbrachte. Ein Leben ohne den Führer erschien ihm sinnlos.
Volk ohne Raum
Carl Peters’ Denken war durch die Reichsgründung von 1871 geprägt. Aus ihr leitete er die moralische Verpflichtung ab, das Deutschtum nun auch hinaus in die Welt zu tragen. 1884 hielt er seine erste Rede zur Kolonialpolitik. Er beklagte, dass Deutschland jedes Jahr 200.000 (vorwiegend junge) Menschen durch Auswanderung verlor. Peters hatte nichts gegen die Auswanderung an sich, sah aber eine Gefahr darin, dass sich die Deutschen in der Fremde - seiner Meinung nach - zu stark assimilierten und damit die angelsächsische Konkurrenz stärkten, in deren Gebieten sie sich vorwiegend niederließen. Darum mussten Kolonien her, in denen der Deutsche ein Deutscher bleiben und - ganz wichtig - weiter seine Sprache sprechen konnte, wenn er sie besiedelte. Eile war geboten, weil sich die Briten sonst auch noch die letzten in Frage kommenden Teile Afrikas unter den Nagel reißen würden.
Die auf Nationalismus gegründete Kolonialanstrengung war man der (indogermanischen) "Weltkultur" schuldig, weil diese nur gedeihen und sich fortentwickeln würde, wenn es einen Ausgleich zwischen dem Pragmatismus der Engländer und dem Idealismus der Deutschen gab. Die Leute, die schon in den zukünftigen Kolonien wohnten, spielten in diesem Konzept nur eine untergeordnete Rolle. Ihnen wollte Peters bestimmte (unfruchtbare) Bereiche des ihnen weggenommenen Landes zuweisen, in denen sie von den Deutschen lernen konnten, wie man richtig arbeitet. Und weil die Verbreitung des Deutschtums eine moralische Verpflichtung war, musste man dabei nicht zimperlich sein. Peters’ Überlegungen zu Deutschtum und Lebensraum passten gut zur NS-Ideologie, nur eben mit Afrika statt Osteuropa, das Hitler erobern und "arisieren" wollte.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass der von Herbert Selpin von September 1940 bis Januar 1941 auf Rügen und in den Barrandov-Studios bei Prag gedrehte Propagandafilm Carl Peters damit beginnt, dass der frisch promovierte Held just in dem Moment in seinen Heimatort Neuhaus an der Elbe zurückkehrt, in dem dort ein Sonderzug mit Auswanderern verabschiedet wird, die sich in Hamburg nach Amerika einschiffen wollen, weil es in Neuhaus nicht genug Ackerland für sie gibt. Das sind die Deutschen, die dem Deutschtum nun verloren gehen, weil sie von der angelsächsischen Kultur geschluckt und zu Amerikanern werden. Mit deutschen Kolonien in Afrika wäre das nicht passiert. "Warum muss Deutschland Kolonien haben?" wird Dr. Peters später fragen. Seine Antwort: "Weil Deutschlands Grund und Boden in keinem Verhältnis zu der ständig anwachsenden Größe seines Volkes steht." Bei ihm klingt das so, als wäre der Rest der Welt schuld daran, dass die Deutschen ein "Volk ohne Raum" sind. Darum, soll sich der Zuschauer denken, hat Deutschland das Recht, sich zu nehmen, was ihm aus purer Gemeinheit vorenthalten wird.
Die im Staatsauftrag entstandene Bavaria-Produktion Carl Peters gehört zur NS-Variante der Biopics, mit denen der Emigrant Wilhelm (William) Dieterle in Hollywood erfolgreich war (The Story of Louis Pasteur, The Life of Emile Zola, Dr. Ehrlich’s Magic Bullet). Die "Persönlichkeitsfilme", wie Goebbels sie nannte, waren immer nach demselben Muster gestrickt: Genialer Forscher und Erfinder (Diesel; Geheimakte WB I; Robert Koch, Bekämpfer des Todes), genialer Politiker (Bismarck; Die Entlassung), genialer Künstler (Friedrich Schiller, Andreas Schlüter, Friedemann Bach, Wen die Götter lieben) geht unbeirrbar seinen Weg, weil er weiß, dass er im Recht ist und Land, Leuten und Kultur gegenüber eine höhere Verpflichtung hat, weshalb jede kleinkarierte Bedenkenträgerei hintan stehen muss. Parallelen zwischen den Führerfiguren dieser Filme und Adolf Hitler waren erwünscht und beabsichtigt, wurden jedoch nicht breitgetreten. Goebbels’ Überzeugung nach steigerte es die Wirkung der Propagandabotschaft, wenn der (möglichst geschickt gelenkte) Zuschauer solche Verbindungen zwischen den Heroen der Vergangenheit und dem Führer des Dritten Reichs selber herstellte, statt im Dialog direkt gesagt zu kriegen, was er denken sollte.
Für den Minister war der "Persönlichkeitsfilm […] zu Beginn des Krieges ein Notbehelf, um die deutsche Filmproduktion überhaupt einmal auf den richtigen Weg zu führen" (Tagebuch, 16.8.1942). Auf dem "richtigen Weg" war der Film, wenn er aktuelle Geschehnisse propagandistisch begleitete. Am 11. Februar 1941 trafen die ersten deutschen Truppenverbände in Tripolis ein, um die italienischen Verbündeten im Kampf gegen die Briten zu unterstützen. Zum Befehlshaber der deutschen Truppen in Nordafrika wurde der damalige Generalleutnant Erwin Rommel ernannt. Am 20. März 1941, während eines Deutschland-Besuchs, erhielt Rommel von Hitler das "Eichenlaub zum Ritterkreuz" überreicht. Begleitet wurde dieses Propagandaereignis durch Medienberichte, aus denen die deutsche Öffentlichkeit von der Bildung des "Deutschen Afrikakorps" erfuhr. Die Hamburger Uraufführung von Carl Peters fand einen Tag später statt, am 21. März. Rommel sollte nicht die Wüste kolonisieren, sondern eine Invasion der Briten von Nordafrika aus verhindern. Trotzdem liegt es nahe, da einen Zusammenhang zu sehen.
Der von Goebbels’ Ministerium herausgegebene Zeitschriftendienst, dem die Redakteure einer gleichgeschalteten Presselandschaft entnehmen konnten, was ihr Blatt zu schreiben hatte, stellte denn auch fest, dass der Film "außerordentlich gut in unsere Zeit" passe (28.3.1941). Die Begeisterung des Ministers hatte da schon stark nachgelassen. Am 8. November 1940, anlässlich einer Prag-Reise, hatte er noch anerkennende Worte in sein Tagebuch geschrieben: "Besuch auf dem Barrandow. Filmateliers besichtigt. Groß, modern und weitsichtig angelegt. Sie gehören zu 51% uns. Aufnahmen zum Carl Peters Film. Mit Albers. Daraus wird etwas. 100 Neger aus der Gefangenschaft wirken da mit. Die armen Teufel stehen angetreten und zittern vor Angst und Kälte. Ich sehe Muster zum Peters-Film. Selpin macht da gute Arbeit." Es gibt einen Wochenschau-Bericht, in dem Hans Albers als Carl Peters den Minister und seinen Stab herumführt. Goebbels beobachtet, wie die Szene gedreht wird, in der Peters nach seiner Rückkehr aus Afrika mit Bismarck spricht. Dann spricht Albers alias Peters wieder mit Goebbels. Im Kopf des Zuschauers sollte sich auf diese Weise eine assoziative Verbindung zwischen den Führungsfiguren des Dritten Reichs mit dem Gründer des "zweiten Reichs" (Bismarck) und dem Gründer von Deutsch-Ostafrika herstellen, der für ein Großdeutschland mit Weltmacht-Ambitionen steht (Peters). Albers ließ sich mit Goebbels abfilmen und war damit Teil der Propaganda, wie der Minister sie haben wollte. So schnell ist man vereinnahmt.
Die schwarzen Komparsen waren überwiegend Kriegsgefangene aus den französischen Kolonien. Goebbels sah wilde Krieger, ein mit viel Geld nachgestelltes Afrika und ein Gespräch des Helden mit dem Reichskanzler. Das weckte wohl falsche Erwartungen und ließ ihn auf eine politische Botschaft hoffen, die in einer spannenden Abenteuerhandlung versteckt ist. Nachdem man ihm das fertige Werk präsentiert hatte war er nicht mehr so angetan (Tagebuch, 15. März 1941): "Der Film ist nicht gemeistert. Zuviel Leitartikel und zu wenig Handlung. Die Tendenz ist zu dick aufgetragen, die Passagen gegen das damalige Regime zünden nicht. Ich bin sehr unbefriedigt davon."
Das Drehbuch verfasste Selpin zusammen mit Walter Zerlett-Olfenius und Ernst von Salomon, der nach 1945 als geläuterter Ex-Nazi reüssierte und den Afrikafilm des Dritten Reichs in Adenauers Kino überführte, indem er uns das Skript zu Liane, das Mädchen aus dem Urwald (1956) schenkte. Man kann den drei Herren nicht vorwerfen, dass sie sich unvorbereitet ans Werk machten. Das Leinwandepos kombiniert den Antisemitismus in einschlägigen Peters-Büchern der NS-Zeit mit Episoden aus Peters’ autobiographischen Schriften, von den Lebenserinnerungen über Die Gründung von Deutsch-Ostafrika bis zu Die deutsche Emin-Pascha-Expedition, in denen sich der Autor nicht nur als Mann der Tat, sondern auch des Wortes präsentiert. Peters war Abenteurer, Redner, Agitator und Schriftsteller in Personalunion. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der Film mitunter arg dialoglastig geworden ist.
Brot für die Volkskraft
Dr. phil. Carl Peters, 1856 als Sohn eines evangelischen Pastors geboren, war examinierter Oberlehrer für Geographie und Geschichte, hatte aber nie die Absicht, diesen Beruf auszuüben. Vielmehr nahm er wenige Wochen nach dem Examen, im Dezember 1880, die Einladung seines kinderlosen und verwitweten Onkels Karl Engel an, zu ihm nach London zu kommen. Der Onkel, ein Komponist und Musikwissenschaftler, hatte es zu einigem Wohlstand gebracht. Der Neffe blieb knapp anderthalb Jahre. In dieser Zeit gewöhnte sich der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Peters an das Leben eines gut situierten Gentlemans und begann, sich für Kolonialpolitik zu interessieren. Im Film, der aus sechzehn Monaten in London drei Jahre macht, wird das in einer Szene im Piccadilly Club zusammengefasst. Peters ist mit Freunden da, spricht über seine Begeisterung für den Kolonialismus, und ein schwarzes Paar führt dazu eine Tanznummer auf. Ob damit gesagt werden soll, dass auch die Berliner Etablissements solche Darbietungen haben könnten, wenn die Deutschen Kolonien erwerben würden, oder ob das ein Beweis für die Dekadenz der Engländer sein soll, bleibt unklar.
Peters jedenfalls, zu einem Mann von Welt gereift, fühlt sich erkennbar wohl im Piccadilly Club. 1941 war das problematisch, weil Deutschland Krieg gegen Großbritannien führte. Also muss Peters im Dialog betonen, dass er ein Deutscher ist und bleibt, obwohl er gelernt hat, Whisky ohne Wasser zu trinken (eine Anspielung auf den Albers-Selpin-Erfolgsfilm Wasser für Canitoga), und dann steht noch ein beschwipster Engländer an der Bar, der Beleidigendes über die Deutschen sagt. Peters quittiert das mit einer Ohrfeige, was für einen Skandal sorgt. Das ist die erste von mehreren Szenen mit einer unangenehmen deutschen Renommiersucht, die dem echten Peters auch nicht fremd war. Mag sein, dass so etwas beim damaligen Publikum gut ankam. Inzwischen ist aber die Frage, ob dieser Film verboten bleiben muss, weil er gefährliche Nazipropaganda enthält oder warum auch immer (auf eine vernünftige, für einen halbwegs intelligenten Menschen nachvollziehbare Begründung für solche Verbote warte ich bis heute vergeblich). Meine persönliche Seherfahrung ist diese: Dem oft selbstironischen Individualismus von Hans Albers kann ich durchaus etwas abgewinnen, weil er sich schlecht mit der faschistischen Marschformation verträgt. In Carl Peters wird aber ein blödes Ich-bin-ich-Gehabe daraus, das mir gewaltig auf die Nerven ging.
Karl Engel schlug seinem Neffen vor, ganz bei ihm zu bleiben und britischer Staatsbürger zu werden wie er. Peters lehnte ab. In den Lebenserinnerungen begründet er seine Entscheidung mit Heimweh und der Liebe zum deutschen Vaterland. Im Film wird das mit einer guten Portion Sendungsbewusstsein angereichert. Der Onkel will ihm einen Posten im britischen Kolonialamt verschaffen. Peters aber möchte "den Deutschen die Welt öffnen" und ihnen zu eigenen Kolonien verhelfen, von denen die Engländer schon mehr als genug haben. Sein Jugendfreund Carl Jühlke hat ihm geschrieben, dass in Deutschland ein Kolonialverein gegründet wurde. Darum reist er nach Berlin, um sich der Bewegung anzuschließen. Doch in Berlin erlebt er eine bittere Enttäuschung.
Bei einer Versammlung des Kolonialvereins hält Peters eine Rede, in der er darauf hinweist, dass jährlich Hunderttausende von gesunden Frauen und Männern "unserer natürlichen Volkskraft verloren" gehen, "weil ihnen unser vorhandener Boden leider nicht das notwendige Brot geben kann". Zum "Volk ohne Raum" kommt das Rohstoff-Argument. Die Industrialisierung Deutschlands, sagt Peters, schreite rapide voran: "Aber gerade auch deswegen müssen wir Kolonien haben. Wir müssen uns für die Zukunft ein für allemal freimachen von der Gnade oder Ungnade anderer Länder - Länder, die unsere Rohstoffversorgung kontrollieren und nach Belieben einschränken können." Es sind Momente wie diese, in denen der Film sehr aktuell ist. Man kann da an den Zynismus gewisser Staaten denken, die vorzugsweise dort "aus humanitären Gründen" eingreifen, wo es große Vorräte an Erdöl und Erdgas gibt, während in afrikanischen Ländern, die nicht über solche Rohstoffe verfügen, weiter gemordet werden darf. Peters allerdings will die Rohstoffversorgung nicht dadurch sichern, dass er ein ihm genehmes Regime installiert. "Wir müssen uns die verschiedenartigsten Rohartikel unabhängig vom Ausland sichern", fährt er fort. Anders formuliert: Man sucht sich Kolonien, die man dem eigenen Staatsgebiet angliedert. Dann hat man die begehrten Rohstoffe im "Inland".
In dieser Situation stößt der NS-Held traditionell auf Repräsentanten des alten Systems, die seine Ideen ablehnen, weil es ihnen egal ist, ob das Volk Brot hat oder nicht. Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, der Präsident des Deutschen Kolonialvereins, verweist auf Paragraph 2 der Satzung, dem zufolge es Zweck und Ziel des Vereins sei, "den Kolonialgedanken in Deutschland heimisch zu machen". Das Erwerben von Kolonien sei die Aufgabe kommender Generationen. Peters, der Mann der Tat, kann jetzt nicht mehr an sich halten. Durch die Geschäftsordnung lässt er sich das Wort nicht verbieten. In seiner Empörung fängt er vielmehr an zu brüllen. Wenn Deutschland nicht sofort handle, schreit er, werde bald nichts mehr übrig sein, weil sich die Engländer seit Generationen Kolonien einverleiben: "Die sind einfach hingegangen und haben sich das geholt, was sie brauchten, und über das hinaus noch mehr, ohne jede Rücksicht." Den Kolonialverein erklärt er zum "Kaffeekränzchen" und zum Handlanger der Engländer, die der Verein auf die Pläne der Deutschen hinweise, damit die Briten ihnen zuvorkommen können. Der Film bestätigt das, indem er einen englischen Spion im Publikum platziert. Der Mann berichtet dem Botschafter, dass der Kolonialverein keine Gefahr für die britischen Interessen darstelle, Peters hingegen schon.
Den echten Carl Peters verband seit seinem Londonaufenthalt eine Hassliebe mit den Engländern. Neben dem Eintreten für den Kolonialismus war das deutsch-britische Verhältnis sein Lieblingsthema. Das Buch (England und die Engländer, 1904) und die Aufsätze, die er darüber veröffentlichte, füllen einen der drei Bände der von Walter Frank herausgegebenen Gesammelten Schriften. Gleich im ersten Zeitschriftenartikel, der je von ihm erschien ("Deutschtum und Engländertum", 1883), zeigt sich die widersprüchliche Haltung den Engländern gegenüber, die ihn ein Leben lang begleitete. Auf mehreren Seiten gibt er sich optimistisch, dass es eine harmonische Koexistenz beider Länder geben kann, um schließlich festzustellen, dass den Deutschen auch dann nicht bange sein muss, wenn aus der sich andeutenden Verbesserung der Beziehungen nichts werden sollte: "Sollte indes die Entwicklung trotzdem den entgegengesetzten Gang einschlagen, sollte die Zukunft zu einer Verschärfung des Verhältnisses zwischen den beiden germanischen Großmächten führen - nun, so dürfen wir uns auf alle Fälle damit trösten, daß es nicht das erstemal in der Geschichte wäre, wo eine ärmere, aber kriegsstarke Landmacht einen reichen und handelblühenden Seestaat zu Boden geworfen."
Peters’ Haltung den Engländern gegenüber radikalisierte sich in den folgenden Jahren. Zugleich erschien ihm ihr Pragmatismus als vorbildhaft für ihn und seine Landsleute. Das Zwiespältige blieb bestehen. Im Film sind die Engländer nur heimtückisch und raffgierig. Deutschland muss darben und verliert seine "natürliche Volkskraft", weil sich England mehr nimmt, als es braucht. Carl Peters ist mehr Traktat gegen ein perfides Albion (und andere Schufte) als Kolonial- und Abenteuerfilm. Darum war Goebbels so unzufrieden. Er wollte in die Handlung integrierte Botschaften, die sich dem Zuschauer von selbst erschlossen, weil er das für wirkungsvoller hielt als solche, die direkt ausgesprochen wurden. Das Anti-Britische in Carl Peters wirkt meistens aufgesetzt.
Ironischerweise prädestiniert das Selpins Werk für einen Platz auf der Liste mit den Vorbehaltsfilmen. Faustregel: Holzhammer-Propaganda mit Krieg, Uniformen und ressentimentgeladenen Dialogen - ab in den Giftschrank damit. Subtilere (und damit wirksamere), durch "harmlose Unterhaltung" getarnte Propaganda - Freigabe mit dem Segen von Murnau-Stiftung und FSK. Diesen traurigen Befund wiederhole ich hier zum x-ten Mal, weil mir bestimmt jemand zum x-ten Mal vorwirft, dass ich die Deutschen schutzlos der Nazipropaganda aussetzen will. Das will ich nicht. Ich hätte nur gern eine Strategie, wie man mit solchen Filmen umgeht. Fast 70 Jahre nach dem Krieg ist das nicht zuviel verlangt. Im Moment haben wir nur die Überreste einer Verbotsliste von 1945, von der keiner genau weiß, wie sie zustande kam. Das ist die Propaganda, vor der man uns schützt, indem man uns bevormundet. Meiner Meinung nach erreicht man damit das genaue Gegenteil, weil man durch Verbote die Diskussion darüber behindert, was Nazipropaganda war (und ist) und wie sie funktioniert. Ein Verbot, das 1945 vielleicht gut begründet war, kann heute der blanke Unsinn sein.