"Ich bin sehr froh, dass es WikiLeaks gibt. Wer sonst zeigt den Mut?"
Der Fall Johannes Stefansson - kein gewöhnlicher Whistleblower. Rainer Winters über die Aufdeckung von Korruption und Geldwäsche
Geht es um Whistleblower, wird es etwas unheimlich. Man könnte ein Verlustkonto aufmachen. Erinnern wir uns daran, mit welchen Hoffnungen vor Jahren die Plattform WikiLeaks verknüpft wurde und wie dann später mit Julian Assange umgegangen wird. Der Prozess, den man ihm macht, ist ein politischer. Er hat mit dem Material auf WikiLeaks der Macht USA vor den Kopf gestoßen. Der Journalismus und die Demokratie haben solche Enthüllungen nötig.
Es gab schon vor den Leaks von Edward Snowden skeptische oder besonders wachsame Zeitgenossen, die den Überwachungsmöglichkeiten der staatlichen Geheimdienste viel mehr zutrauten, als es der brave "gesunde Verstand" der Mehrheit unter uns Normalbürgern für möglich hielt und glauben wollte. Seit Snowden sein Insider-Material an die Öffentlichkeit übermittelte, hat sich unser Verständnis dessen, was tatsächlich möglich ist und praktiziert wird, verändert.
Der Preis dafür ist hoch. Mit "Verlustkonto" ist gemeint, dass die öffentliche Begeisterung für Whistleblower dem Anschein nach abgenommen hat, der Rückhalt für sie ist nicht besonders groß. Zu sehen ist das beispielsweise an den Ausweichmanövern, die europäische Regierungen veranstalten, um sich davor zu drücken, den beiden berühmten US-Whistleblowern Asyl zu gewähren. Der öffentliche Druck hält sich in Grenzen, weswegen die Regierungen hier mit ihrer Staatsvernunft leichtes Spiel haben.
"Es war nie vorgesehen, dass ich überlebe"
Wie hoch der Preis für Whistleblower ist, zeigt der Fall des isländischen Whistleblowers Johannes Stefansson, der die "Fishrot"-Affäre ins Rollen gebracht hat und unter schweren Vergiftungserscheinungen leidet. Nach seinen Angaben wurde er von politischen Gegnern vergiftet, die ihm das Handwerk legen wollten. "Es war nie vorgesehen, dass ich überlebe."
Stefansson war bis 2016 mehrere Jahre lang Betriebsführer beim isländischen Fischereiunternehmen Samherji in Namibia und erhielt bei seiner Tätigkeit Einblick in die korrupten Machenschaften beim Kauf von Fischereirechten. Aus Gewissensgründen gab er Material, das er dazu gesammelt hat, an WikiLeaks weiter. Auf seinem Laptop hatte er mehr als 30.000 Dokumente gesammelt: "E-Mails, Memos, Präsentationen, Fotos und Videos", die er an WikiLeaks weitergab. Daraus wurden die "Fishrot-Files".
Der Fall Stefansson/Samherji ist gut dokumentiert. Al-Jazeera unternahm eine eigene Investigation, um die Angaben nachzuprüfen. Das Ergebnis dieser Recherche bestätigte die Angaben Stefanssons und zeigt zugleich auf, welche Dimensionen der Fall hat: Verstrickt sind Politiker in Namibia und viele Banken im Zusammenhang mit Geldwäsche. Der Al-Jazeera-Artikel dazu: Anatomy of a Bribe: A deep dive into an underworld of corruption wurde von der taz auf Deutsch übersetzt.
Er schildert ausführlich, in Details und im Hergang der Geschichte, mit Nennung von Namen der "Haifisch-Clique" und anderen Netzwerken, was den Whistleblower dazu brachte, seine Dokumente zu veröffentlichen:
Er (Johannes Stefansson, Einf. d. A.) sprach von einem großen kriminellen Unternehmen, das Namibias Bevölkerung den Profit an ihren natürlichen Ressourcen raubt. Er betonte seine Entschlossenheit, seine ehemaligen Kollegen und Geschäftspartner vor Gericht zu stellen: eine gewaltige Riege von politischen Akteuren und Finanzgiganten in enger Zusammenarbeit mit der trüben Unterwelt der südafrikanischen Mafia.
taz, So wird Afrikas Fisch geplündert
In Deutschland ist Rainer Winters (vgl. das Telepolis-Gespräch Was nützt alles Whistleblowing, wenn es auf Kosten des Whistleblowers geht?) der Vertrauensmann des isländischen Whistleblowers. Johannes Stefansson soll im April eine Aussage machen, die einen Gerichtsprozess vorbereitet.
Für Winters und internationale Verbündete wie z.B. Whistleblowing International oder Whistleblower Network News ist dies ein Anlass, um auf den Fall Stefansson aufmerksam zu machen und eine GoFundMe-Rettungskampagne zu lancieren. Telepolis sprach mit ihm.
"Demokratie ist nicht nur sehr viel Arbeit, sondern kann weh tun"
Herr Winters, Sie engagieren sich sehr in der Sache Stefansson und sind der deutsche Vertrauensmann des isländischen Whistleblowers. Was macht für Sie die Besonderheit des Falles aus? Worauf sollte die deutsche Öffentlichkeit besonders achten?
Rainer Winters: Herr Stefansson glaubt, vergiftet worden zu sein. Korruption und Geldwäsche sind ja weit verbreitete Straftaten, vor allem auch in Afrika. Dass aber jemand, der hierzu an die Öffentlichkeit geht, vergiftet wird, scheint mir eine Kategorie zu sein, von der wir noch viel zu befürchten haben. Es liegen Hinweise vor, dass das verwendete Gift aus Nordkorea stammt, mithin ein Land, mit dem Namibia spätestens seit Präsident Sam Nujoma enge Kontakte pflegt. Es gibt unaufgeklärte Fälle, in denen nicht nur eine Vergiftung im Raum steht, sondern auch ungeklärte "Selbstmorde" und mehr.
Weiter erscheint mir der moralische Anspruch, den Herr Stefansson an sich selber hat, wie eine Triebfeder für sein Engagement zu sein. Dass er sich trotz aller Gefahren für sein Leben jetzt dem Kampf gegen Korruption verschreibt, macht ihn zu einem höchst wertvollen Menschen für alle demokratischen Gesellschaften und zu einer Respektsperson für Kriminelle. Aufgrund seines großen Wissens und der guten Vernetztheit ist er jedenfalls kein gewöhnlicher Whistleblower mehr.
Namibia hat ja einen besonderen geschichtlichen Bezug zu Deutschland. Wie auch immer man diesen einordnet, durch die deutsch-sprachige Bevölkerung in diesem Land gibt es allerhand Anknüpfungspunkte. Nehmen Sie etwa den aus Namibia stammenden Bundestagsabgeordneten der Grünen, Ottmar von Holtz. Die Deutsche Welle portraitierte ihn neulich.
Als ich ihn zur Unterstützung für Herr Stefansson bat, traf ich auf eine Mauer des Schweigens. Wenn sein Motto "Verantwortung für eine gerechte Welt" lautet, dann müssen solche Leute unter uns aufstehen und reden.
Eine weitere Frage ist, inwieweit auch deutsche Fischereifirmen solche Korruptionsmethoden anwenden. Ob hier ein Blick auf die deutschen Töchter von Samherji, die Deutsche Fischfang Union in Cuxhaven und Groß-Gerau lohnt, kann ich derzeit noch nicht abschätzen.
Im April soll Stefansson als Zeuge aussagen: Was steht auf dem Spiel? Wer muss sich vor seinen Aussagen fürchten?
Rainer Winters: Die Vorverhandlungen beginnen am 22. April. Herr Stefansson wird zur Hauptverhandlung vor Ort sein, das wird aber sicher nicht vor Frühsommer. Derzeit sitzen eine Menge Beteiligte in Haft.
Hervorzuheben sind Ex-Fischereiminister Bernhard Esau, Ex-Justizminister Sakeus Shanghala, James Hatuikulipi als Ex-Chef der staatlich betriebenen Fishcor-Fischfanggesellschaft, Herrn Esaus Schwiegersohn Tamson Hatuikulipi, Namgomar-Chef Ricardo Gustavo, Herrn Hatuikulipis Cousin Pius Mwatelula und Ex-Fishcor Chef Mike Nghipunya.
Durch die großartige Undercover-Recherche von al-Jazeera und die Eidesstattliche Erklärung von Herrn Stefansson in der Namibischen Botschaft in Berlin stehen diese Personen schon seit einer Zeit im Rampenlicht. Doch nun sieht es so aus, als ob auch Namibias Präsident involviert ist.
Derweil geht es mit der Korruption in Namibia (und übrigens auch im mitverwickelten Angola) munter weiter. Jetzt wird sich zeigen, ob das Land demokratisch genug ist, um gemäß der Ziele der Gründerväter Namibias im Jahre 1990 zu leben. Was für ein Signal es am 09. Februar 1990 war, als die Verfassung einstimmig angenommen wurde und Südafrika ihre de-facto Kolonie ziehen lassen musste.
Konkret ist die Fischerei ja nur ein Gebiet, wo viel auf dem Spiel steht. Zusätzlich werden die Fischgründe durch mögliche Phosphat-Gewinnung bedroht. Das ökologische Gleichgewicht des Okavango-Deltas ist in Gefahr, weil man hier durch Fracking Öl bzw. Gas fördern will. Die wenigen Urwälder, die das Land noch hat, werden immer habgieriger abgeholzt. Bei allen diesen Fällen befürchten wir, dass Korruption und Geldwäsche im Spiel sind. Dieselbe Korruption, die im Kontext Uran- und Diamantenabbau schon seit Jahren vorherrscht.
Zu welchen Konsequenzen haben die Dokumente, die Johánnes Stefansson WikiLeaks zur Verfügung gestellt hat, bisher geführt? Welche weiteren Konsequenzen könnte die Gerichtsverhandlung nach sich ziehen?
Rainer Winters: Ich bin sehr froh, dass es WikiLeaks gibt. Wer sonst zeigt den Mut, solche heißen Dokumente in erster Instanz einmal offenzulegen? Nachdem Al-Jazeera die Dokumente recherchiert hat, fühlte sich der Sender animiert, eine große Story zu machen. Das macht und kann nicht jeder, auch weil es viel Geld kostet. Hier freue ich mich, dass das durch Saudi-Arabien derzeit so unter Druck gesetzte Katar diesen Sender am Leben hält.
Als Al-Jazeera das große Video herausbrachte, schlug es ein wie eine Bombe. Zum ersten Mal seit 30 Jahren erlitt die große Regierungspartei SWAPO bei den Präsidentschafts- und Nationalversammlungswahlen herbe Rückschläge. Bei den Regionalrats- und Stadtratswahlen mussten sie landesweit sogar die gewohnte Mehrheit in vielen Wahlkreisen an die Oppositionsparteien abgeben. Den Enthüllungen sei Dank.
Demokratie ist nicht nur sehr viel Arbeit, sondern kann weh tun. Nun werden wir sehen, ob am Ende sogar Präsident Hage Geingob seinen Hut nehmen muss. Solange aber die beiden großen Zeitungen Namibias weiter berichten dürfen, mache ich mir um das Land wenig Sorgen.
Es geht nicht nur um Korruption bei der Vergabe von Fischereirechten, sondern auch um Geldwäsche im großen Stil, was an frühere Skandale anschließt, die sich mit Steueroasen befassen. Fügen die Enthüllungen Stefansson neue Dimensionen hinzu?
Rainer Winters: Nein. Wo Geld gewaschen wird, sind Banken präsent. Nicht umsonst zahlen Banken weltweit jährlich Milliardenbeträge an Strafen. Unsere Deutsche Bank ist eine der ganz schlimmen. Was allerdings immer besser wird, ist die Transparenz zum Thema. Die US-Regierung stattet sich mit immer mehr Werkzeugen aus, um Licht ins Dunkel zu bringen und veruntreute Gelder ans Volk zurückauszuschütten.
Nehmen Sie zum Beispiel den Foreign Corrupt Practices Act, den Sarbanes-Oxley Act oder den Dodd-Frank Act. Seit Bradley Birkenfeld ist auch endlich das Schweizer Bankgeheimnis Geschichte. Die kriminellen Black Boxes im Bankengewerbe erfahren gerade weltweit eine Art Erleuchtung.
Glauben Sie an eine Signalwirkung des Falles auch in Deutschland? Wie könnte sie im besten Fall aussehen?
Rainer Winters: Schon jetzt lautet das Signal: Tut was für eure Gesellschaft und sichert euch dadurch Demokratie und Wohlstand. Bleibt ehrlich, auch gegenüber eurem Gewissen. Unsere Banken verdienen an Korruption. Und nehmt es den korrupten Reichen, weil die Armen es bitter benötigen.