"Ich mache mir große Sorgen um unsere Demokratie"
Der Klimaforscher und Nobelpreisträger Klaus Hasselmann über den Wert der Demokratie, Corona und die Klimakrise
Prof. Dr. Klaus Hasselmann ist Klimaforscher und Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Bereits Ende der 70-Jahre entwickelte er das statistische Modell, mit dem sich die Erderwärmung dem Anstieg der CO₂-Konzentration in der Atmosphäre zuschreiben lässt. Damit trug der heute 90-jährige "Klimapionier" maßgeblich dazu bei, dass Gesellschaft und Politik den Klimawandel mittlerweile als eines der drängendsten Probleme der Menschheit anerkennen. Für seine Verdienste rund um die Klimaforschung wurde er im Jahr 2021 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Hasselmann über Demokratie, Klimawandel und die zugegeben hypothetische Frage, wie unsere Welt in 90 Jahren aussehen könnte.
Herr Prof. Dr. Hasselmann, Sie sind in der Weimarer Republik geboren und haben als Kind die Übernahme und das Ende der NS-Diktatur miterlebt. Was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Klaus Hasselmann: Ich war drei Jahre alt, als meine Eltern nach England emigrierten. Mein Vater war aktiver Sozialdemokrat und hatte seine Stelle bei der Polizeigewerkschaft verloren. So wuchs ich in einer wunderschönen Gartenstadt, 30 Kilometer nördlich von London auf. Ich hatte eine wunderbare Kindheit ohne Kriegswirren.
1949 kam ich nach Deutschland zurück. Wir wohnten in einem Vier-Etagenhaus in Hamburg, das einzig stehengebliebene. Rundherum waren nur Trümmer. Das war ein großer Schock für mich. Das Bild, das Hamburg damals bot, kann sich heute wohl keiner mehr vorstellen.
Mit dem NS-Regime habe ich mich dann natürlich erst als Erwachsener auseinandergesetzt und somit mit den verschiedenen Staatsformen. Aus heutiger Sicht möchte ich sagen, dass Winston Churchill wohl recht hatte: "Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen." Das Zitat sagt sinngemäß, dass die Demokratie viele Mängel und Schwächen habe, aber von allen Staatsformen immer noch die Beste sei. Demokratie ist mir natürlich sehr wichtig. Ich habe sie damals in England als sehr flexibel und effektiv erlebt.
Das Vertrauen in die Parlamente hat während der Corona-Pandemie gelitten – fast ein Viertel der Bundesbürger hegt mittlerweile Zweifel an der Demokratie in Deutschland. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge?
Klaus Hasselmann: Ja, die Entwicklung bereitet mir Sorgen; aber weniger wegen der Corona-Maßnahmen als wegen unserer Außenpolitik. Leben wir wirklich in einer Demokratie? Laut Wikipedia kommt das Wort aus dem Altgriechischen: Demos bedeutet "Staatsvolk" und Kratos "Gewalt, Herrschaft".
Das würde doch heißen, dass das Volk weiß, wofür unsere Regierung steht – das wird uns schließlich durch Medien vermittelt. Viele Entscheidungen der Regierung hängen von der Wirtschaft ab – die Medien, die eigentlich dem Volk das nötige Wissen für ihre Wahlentscheidungen vermitteln sollten, zu einem Teil von ihren Geldgebern. Dies kann zu Interessenkonflikten führen.
Frau Merkel besuchte schon 1998 als Umweltministerin unser Institut. Sie wusste als Physikerin alles über die Gefahren des Klimawandels. Warum ist während ihrer Regierungszeit kaum etwas geschehen?
Man muss sich vielseitig informieren, wie beispielsweise durch Bücher von Peter Scholl-Latour oder Gabriele Krone-Schmalz – nicht nur durch die Medien. Insofern mache ich mir große Sorgen um unsere Demokratie.
Stichwort Klimawandel: Sie sind nicht nur ein brillanter Klimaforscher, sondern gelten zu Recht auch als "Klimapionier". Können wir den Klimawandel noch aufhalten oder zumindest verlangsamen? Was muss geschehen?
Klaus Hasselmann: Im Prinzip können wir den Klimawandel noch aufhalten. Wir haben den Grundstock der Technik, wenngleich noch eine erhebliche Entwicklung vor uns liegt. Nehmen Sie nur die Herstellung des CO₂-freien Wasserstoffes. Wenn man diesen mitten in Afrika herstellt, produziert man beim Transport wiederum so viel CO₂, dass man es gleich lassen kann.
Auch gibt es noch viele Probleme zu lösen bezüglich der sonstigen Umweltschäden, beispielsweise Orte, die geeignet sind, um Windkraftwerke zu bauen. Außerdem müssen wir den sich entwickelnden Ländern unbedingt in ihrer Entwicklung mit regenerativer Energie helfen und auch bei den für sie jetzt schon sichtbaren Umweltschäden in ihrem Land. An dieser Frage ist doch die Glasgow-Konferenz gescheitert.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagten Sie, Klimawandelleugner hätten in der Gesellschaft nie einen großen Rückhalt gehabt. Dennoch gibt es sie. Was sagen Sie denen, die behaupten, der Klimawandel sei nicht menschengemacht?
Klaus Hasselmann: Ich habe diese Menschen weitgehend ignoriert, da sie weder Macht noch Argumente hatten. Wir haben einen prominenten Klimaleugner einmal zu einem Vortrag ins Institut eingeladen. Nach Beendigung seines Vortrags zogen meine jungen Kolleginnen und Kollegen sofort ihre Folien hervor, liefen nach vorne und widerlegten ihn so, dass er kleinlaut davonschlich.
Anders war das in den USA. Dort gab es von der Wirtschaft unterstützt große Institute, die versuchten Argumente zu sammeln, die uns widerlegten. Die wurden auch militant. Ein Kollege aus San Francisco, der am IPCC beteiligt war, wurde mit Mord bedroht, sodass er nur unter Polizeischutz zu einer Tagung fahren konnte.
Der Klimawandel ist ein – wenn nicht gar das wichtigste – Thema der Generation Z. Auch meine siebenjährige Nichte möchte später "Wissenschaftlerin und Umweltschützerin" werden. Ist Klimaschutz Generationssache?
Klaus Hasselmann: Nein. Ihre Nichte soll ein Fach studieren, das sie interessiert und ihr Freude bereitet.
Wir können nur sagen, dass es allerhöchste Zeit wird, etwas zu tun. Die Klimaforscher heute gehen davon aus, dass ein 1,5-Grad-Temperaturanstieg nicht mehr zu erreichen ist. Sie gehen von mindestens zwei Grad aus.
Wir sehen heute, dass der Klimawandel uns erreicht hat. Die Extremereignisse nehmen zu und somit auch die Kosten, die diese Schäden verursachen. Hiervor haben wir bereits vor 40 Jahren gewarnt. Das wird alles nicht besser, sondern zunehmen!
Für Ihre Klima-Modellierung haben Sie 2021 den Nobelpreis für Physik erhalten. Doch wie war das in den 70er-Jahren? Sind Sie mit Ihren Erkenntnissen zum menschengemachten Klimawandel ernst genommen worden?
Wir Wissenschaftler warnen seit 40 Jahren. Der Club of Rome veröffentlichte 1972 das Buch "Die Grenzen des Wachstums" und mein Kollege Syukuro Manabe hat bereits in den 60er-Jahren bewiesen, dass ein erhöhter CO₂-Ausstoß zu einer Erwärmung der Erde führt.
Herr Prof. Dr. Hasselmann, im letzten Jahr hatten Sie gleich doppelt Grund zum Feiern: Die Verleihung des Physik-Nobelpreises und Ihren 90. Geburtstag. Wie sieht die Welt in 90 Jahren – also im Jahr 2112 – aus?
Klaus Hasselmann: Darüber zu spekulieren, ist müßig. Wir haben neun Enkelkinder und elf Urenkel. Ich kann nur hoffen und beten, dass diese Generation es endlich schafft, das Schlimmste zu verhindern. Dazu gehört nicht nur CO₂ einzusparen, sondern auch Frieden in der Welt zu schaffen, den Entwicklungsländern bei der Umstellung auf regenerative Energien zu helfen und – nicht zuletzt – mit den Folgen des Klimawandels umzugehen.
Das ist Interview ist zuerst bei "Initiative Gesichter der Demokratie" erschienen.
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