"Ich will alles. Hildegard Knef": Rote Rosen und klare Gedanken
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Zu wild für das Wirtschaftswunder: Luzia Schmids Dokumentarfilm zeigt eine seltsame, einmalige und polarisierende Erscheinung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ich habe Ehrgeiz und werde ihn behalten. Er begleitet mich wie eine Liebe die gute und schlechte Tage hat.
Hildegard Knef
Hildegard Knef ist eine seltsame und einmalige Erscheinung: Eine intelligente Frau im nicht immer intelligenten Showbusiness; eine Frau, die sehr deutlich ein Kind ihrer Zeit war, der in den 1920er-Jahren geborenen, in der Nazizeit erwachsen gewordenen jungen Trümmermädchen und Jungen, die für den frühen Aufbruch der ersten Nachtkriegsjahre in Westdeutschland standen, für Befreiung und Amerikanisierung, mondän und weltgewandt, zugleich sehr deutsch in ihrer Wirkung im Ausland.
Aber eben "eine Erscheinung". "Die" Knef. Das "die" macht den Unterschied. Ein Glücksfall für den deutschen Pop bis hin zur Extrabreit-Version von Rote Rosen.
"Eine auf Keuschheit bedachte Betulichkeit"
Sie war in ihrer öffentlichen Persona sperrig, und ähnlich wie Marlene Dietrich – der sie in vielem ähnelt, weit mehr als Romy Schneider, denen beiden sie aber in ihrem dauerhaften Ruhm um einiges nachsteht – hat sie auch unangenehmste Themen angesprochen, hat öffentlich Auschwitz und Treblinka früh mit Namen genannt: "Es schien eine bemerkenswerte Vergesslichkeit zu herrschen, was einigermaßen erstaunte, waren doch kaum fünf Jahre seit Majdanek, Auschwitz und Treblinka vergangen."
Sie hat den Deutschen den Spiegel vorgehalten. In ihrer ersten großen Filmrolle, in Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" spielt sie eine KZ-Überlebende, die ins Trümmerberlin zurückkehrt.
Doch dann kam Willy Forsts "Die Sünderin". Ein Film mit Folgen:
Ich begriff nicht. Hatte die Jahre der sittlichen Aufrichtung, der ersten Zeichen eines Wirtschaftswunders und der Instandsetzung einer nach Ordnung und Moral strebenden Gesellschaft verpasst. Verstand nicht, das mit Währungsreform, regelmäßiger Nahrung und warmer Heizung eine auf Keuschheit bedachte Betulichkeit Einzug gehalten hatte.
Hildegard Knef
Angesichts des mediengemachten "Skandals" um "Die Sünderin", in der ihr Körper sechs Sekunden lang nackt zu sehen ist, sprach sie später von "hysterisch hemmungslosen Protesten".
Sie hat polarisiert.
"Es ist nun mal ein unordentliches Leben"
Die Knef war eine Frau, die so gar nicht in unsere Zeiten zu passen scheint, die puritanisch und feige sind, in denen zwar Sadomaso und andere sexuelle Praktiken wie fluide Geschlechteridentitäten in jeder Talkshow ausgebreitet werden, die aber zugleich sexuelle Exzesse weder bei Männern noch bei Frauen dulden, jedenfalls nicht, wenn sie öffentlich werden.
Aber es ist eben auch ein Klischee, dieses "Ich will alles", das sich schon im Titel findet. Knefs Leben kann man als eine lange Kette von Tabubrüchen beschreiben, die der Knef aber wiederfahren sind, die sie nicht gesucht hat.
Leicht übersehen wird in der Erinnerung an Hildegard Knef, dass sie eben keine durchgehende Karriere machte, sondern immer wieder lange Phasen von Misserfolg hatte. Ende der 1950er-Jahre etwa, sagt sie selbst, hatte sie "überhaupt kein Geld".
Hildegard Knef hatte viele Begabungen, und sie war darauf stolz:
Denn die Veränderungen, die Veränderlichkeit ist ja wohl das Beständigste in unserem Leben. Es ist nun mal ein unordentliches Leben. Jedes Leben. Selbst wenn sie versuchen, es sehr ordentlich zu gestalten. Es ist unordentlich, weil die Veränderlichkeit meiner Ansicht nach für mich besonders zutrifft, das beständigste ist.
Und vielleicht war die Knef sogar als Schauspielerin am Uninteressantesten, als Sängerin und Autorin jedenfalls viel interessanter. Ihr Gesang ist sehr besonders, aber nicht perfekt. Sondern er funktioniert vor allem als Marke und Unverwechselbares, als Marke der Unverwechselbarkeit. Ihre Texte aber sind von erstaunlicher Qualität, viel besser als ihre Schauspielkunst.
Etwa in dieser Passage:
Sie brummen am blitzblauen Herbsthimmel. Sauberes Dreieck zu sauberem Dreieck. Kurz fliegen sie sehr hoch, fast unerreichbar. Sie machen Kleckse, kleine schwarze Kleckse, die größer werden, ich schlag hin auf Kies, schlag Ohr auf Kies, hab Sand, hab Blut in Mund in Nase. Kralle versengte Hände in Boden.
Oben fliegen die Dreiecke, machen neue Kleckse. Als meine Mutter, Halbbruder auf dem Arm und ich nach diesem Angriff auf die Straße wateten, sahen wir, dass unser Dach brannte. Da merkte ich, das Krieg war und das es so bleiben würde für lange Zeit und ich fing an zu weinen.
"Wenn du Fehler machst, mach große!"
Am besten ist der Film da, wo sich Knef über ihre Arbeit äußert, ihre Konzerte als eine Art Koitus mit dem Publikum beschreibt und Sätze sagt wie: "Nach dem dritten Lied musst du sie haben."
Sie beschreibt, dass man Spannung aufbauen muss: "Wenn Sie entspannt auf eine Bühne gehen, überträgt sich gar nichts."
Manchmal alleine auf eine Bühne zu gehen und zu singen, zwei Stunden lang: das ist Löwenmut. Oder allein ein Buch zu schreiben, zwei Jahre hinter dem Schreibtisch... ich habe ja doch zwei Berufe, der eine sehr introvertiert, der andere sehr extrovertiert. Beide überfordern mich manchmal. Dennoch ist es offenbar mein Schicksal oder mein Trauma oder meine Neurose, dass ich mich überfordern möchte.
Sie beschreibt auch sehr gut, wie es ist zu schreiben: Dass man erstmal auf seine "Schreib-Frequenz" kommen muss, und dabei vielleicht Unsinn macht und blöd vor sich hinstarrt, dass man einfach wartet, bis man fertig ist für den Auftritt am Schreibtisch, der eben auch ein Auftritt ist.
Sie beschreibt sich selbst auf der Schauspielschule im Rückblick, als "Die Eitle, deren Eitelkeit es war, die Beste zu werden". Und ihrer Tochter rät sie etwa zur gleichen Zeit öffentlich: "Wenn du Fehler machst, mach große!"
"Vorsicht vor der Heiligsprechung!"
Pünktlich zum hundertsten Geburtstag rekonstruiert Luzia Schmid in ihrem sehr gelungenen Dokumentarfilm Knefs Leben anhand ihrer bemerkenswerten Texte und vielen Interviews, vor allem aber anhand vieler ungemein sehenswerter Film- und Fernsehaufnahmen aus den Bildarchiven.
Sehr, vielleicht ein bisschen zu zeitgemäß wird Hildegard Knef neu interpretiert als sensible und "verletzliche" – das Burschikose, das sie besonders machte, wird zur Maske degradiert.
Regisseurin Schmid sagt das selbst:
Ich finde die Art und Weise total heutig, wie Hildegard Knef in einer völligen und erkämpften Selbstverständlichkeit ihr Ding macht. Da kann man sich viel abgucken von ihr. So wie sie diesen schnöseligen Journalisten freundlich, aber bestimmt in den Senkel stellt, wenn der nach dem Altern fragt, und sie antwortet: "Was ist denn die Alternative?" Das ist einfach großartig.
Ihre Stimme war unverwechselbar und die Auftritte in der Mischung aus Selbstbewusstsein und Zerbrechlichkeit auch. Aber vielleicht ist es doch ein Klischee, wenn dieser Film suggeriert, dass Hildegard Knef mit jedem Auftritt alles in die Waagschale warf, ihre ganze Seele, als stünde mit jedem Auftritt ihr Leben auf dem Spiel.
Manchmal nur möchte man diesem Film zurufen: "Vorsicht vor der Heiligsprechung!"