Ideologie in der Hungerkrise

Seite 2: Ressourcenverbrauch und Bevölkerungswachstum

Doch wie sieht es mit den Zusammenhang zwischen dem steigenden Ressourcenverbrauch und Bevölkerungswachstum aus? Werden gerade dort, wo die Bevölkerung besonders schnell wächst, besonders viele Ressourcen verbraucht? Ist doch etwas dran an dem Geraune der Malthus-Anhänger?

Schon ein erstes Beispiel macht die Absurdität dieser Argumentation offenbar: Der Energieverbrauch im gesamten Afrika, das ein rasantes Bevölkerungswachstum aufweist, hat sich seit 1990 auf 19,87 Exajoule rund verdoppelt. Das von einer rasanten kapitalistischen Modernisierung erfasste China - dessen Bevölkerung in denselben Zeitraum stagnierte - konnte seinen Energieverbrauch hingegen vervielfachen: auf 141,7 Exajoule. Bei vergleichbarer Bevölkerungszahl verbraucht China, wo jahrelang die Ein-Kind-Politik galt, nun rund die achtfache Energiemenge Afrikas.

Da der Klimawandel künftig die Welternährung bedrohen könnte, ließe sich auch fragen, inwiefern die CO2-Emissionen der rasch wachsenden Bevölkerung Afrikas zur Destabilisierung des Weltklimas beitrugen: Vor rund einer Dekade lagen die Emissionen des gesamten afrikanischen Kontinents unter denen der Bundesrepublik, die insbesondere im Osten des Landes inzwischen Räume ohne Volk ausbildet. Derzeit ist der gesamte Kontinent für gerade mal für zwei bis drei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich.

Weitere Daten machen das Bild noch klarer: Der regelmäßig publizierte ökologische Fußabdruck bemisst die Nachhaltigkeit des Ressourcenverbrauchs, indem er die Differenz zwischen der ökologischen Kapazität und der ökonomischen Ressourcenentnahme in Ländern oder Regionen angibt. Demnach ist beispielsweise die Ressourcenextraktion in der EU - wo das Bevölkerungswachstum stagniert - eindeutig nicht nachhaltig, da sie die Biokapazität Europas um den Faktor 2,1 überschreitet.

Rund zwei Erden wären somit notwendig, um den Ressourcenverbrauch Europas global aufrechterhalten zu können. Ähnliches gilt für Nordamerika, das einen Faktor von 1,7 aufweist. Afrika weist hingegen einen Wert von nur 1,1 auf - der Kontinent verbraucht kaum mehr Ressourcen, als im selben Zeitraum regeneriert werden können. Nicht Afrika, wo die Bevölkerung rasch wächst, lebt auf Kosten künftiger Generationen, sondern Europa als ein kapitalistisches Zentrum des Weltsystems, wo es seit Jahrzehnten kein nennenswertes Bevölkerungswachstum mehr gibt.

Ähnliche Ergebnisse hat eine ältere Studie des Umweltbundesamtes zum weltweiten Ressourcenverbrauch zutage gefördert. Der Verbrauch liegt in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems bei vielen Rohstoffen um bis zu 1000 Prozent über dem in der afrikanischen Peripherie. Insgesamt verbrauchten die Bewohner der USA im Schnitt 90 Kilogramm Ressourcen pro Tag, in der EU waren es 45 Kilo - in Afrika hingegen im Schnitt nur 10 Kilo.

Pikanterweise liegt laut der Studie die tägliche Ressourcenentnahme in Afrika bei rund 15 Kilo pro Einwohner. Wo geht dieser Förderüberschuss hin? Mit rund drei Tonnen pro Einwohner und Jahr sei Europa laut der Studie der "Kontinent mit den größten Netto-Importen an Ressourcen", der von einem "bedeutenden Transfer von Ressourcen aus armen Ländern mit geringem Konsum in Reiche Länder mit hohem Konsum" profitiere.

Malthus steht plötzlich Kopf: Anstatt sie selber zu konsumieren, führen die Regionen mit dem höchsten Bevölkerungswachstum (arme Länder) rund ein Drittel ihrer geförderten Ressourcen in die Regionen aus, in denen kein Bevölkerungswachstum vonstattengeht (reiche Länder).

Absurdität mit System

Soviel zur faktischen Absurdität der Überbevölkerungsideologie, die sich allein schon an der Bevölkerungsdichte blamiert, die in Afrika rund 43 Einwohner pro Quadratkilometer beträgt, während es in der Bundesrepublik, wo ganze Regionen unter Bevölkerungsschwund leiden, 233 Einwohner sind.

Das Geraune von der Überbevölkerung Afrikas, dessen Träger zumeist rechte Weiße Männer sind, die ein Vielfaches an Ressourcen verbrauchen wie die Afrikaner, deren ihre bloße Existenz zum Vorwurf gemacht wird, stellt somit eindeutig Ideologie, also Rechtfertigung des Bestehenden dar. Implizit wird dabei angenommen, dass eine Entwicklung Afrikas nur im Rahmen einer nachholenden kapitalistischen Modernisierung stattfinden könnte, was tatsächlich aufgrund der damit einhergehenden Verbrennung von Rohstoffen und Energieträgern ökologisch unmöglich wäre.

Anstatt über alternative Entwicklungswege für die Peripherie nachzudenken und den Beitrag der Zentren an der "Unterentwicklung" der Peripherie zu reflektieren, wird das Wachstum der Bevölkerung - ohnehin eine Folge der Unterentwicklung - zum verdinglichten Hauptproblem erklärt.

Damit sind die Opfer der globalen Hungerkrise zu den Verursachern gestempelt worden, ihre bloße Existenz wird zum Problem erklärt, was der Barbarei im weiteren Krisenverlauf Tür und Tor öffnet - während die ursächlichen Widersprüche des kapitalistischen Systems ausgeblendet werden.

Als abschließendes Fazit, somit ein Vorschlag zur Güte: Jeder faktenresistente Malthusianer, der die rasche "Vermehrung" von Menschen für den Quell aller ökologischen und ökonomischen Probleme hält, kann ja mit gutem Beispiel vorangehen.