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Im Blindflug hoch über den Wolken

Auch die Verlags- und Bewusstseinsindustrie muss einsehen, dass die digitale Revolution die Karten neu mischt und verteilt

Seit seiner Zivilisierung vor knapp fünfzehn Jahren hat sich das Internet zum einflussreichsten und folgenreichsten Medium der letzten Jahrhunderte entwickelt. Binnen eines Jahrzehnts hat es Arbeitsverhältnisse, Kommunikationsbeziehungen und symbolische Ausdrucksformen revolutioniert und sich zum Betriebssystem moderner Gesellschaften gemausert. Das Internet vernetzt nicht nur alles mit allem und alle mit allen, es macht auch Menschen, Maschinen und Gegenstände eindeutig und jederzeit adressierbar. Überspitzt könnte man sagen: Wer sich abschottet und nicht im Netz präsent ist, der ist nicht.

Gewiss haben sich nicht alle hochfliegenden Erwartungen, Hoffnungen und Träume erfüllt, die in den letzten Jahren daran geknüpft worden sind. Vor allem politische. Das Internet ist zwar ein gigantischer Kommunikationsapparat, ein soziales Medium, das massenhaft genutzt wird und genutzt werden kann, aber eben auch ein ebenso perfekter Distributionsapparat für Waren, Marken und Daten, die in Echtzeit von hier nach dort transportiert werden können.

Neben dem sogenannten Web 2.0, das den Usern eine interaktive, kollaborative und partizipative Nutzung ermöglicht, hat sich das Netz vor allem als technische Plattform für neue Vertriebsformen und Kundenverhältnisse durchgesetzt, die eben nicht bloß dem Öffnen von Zugängen, der Verbreiterung des Wissens und der demokratischen Teilhabe dienen, sondern auch der Erschließung und Ausdehnung neuer Absatzmärkte.

Der Adressat bestimmt

Bemerkenswert ist, dass der Sender in dieser neuen Art zu kommunizieren seine uneingeschränkte Dominanz und Souveränität verloren hat. Zwar kann er immer noch darüber befinden, was er wann, wo und wie in die Kanäle einspeist. Doch ob die Botschaft, die er absetzen will, jemals in der erhofften Form den Empfänger erreichen wird, bleibt höchst ungewiss. Da der Adressat eine Nachricht immer auch anders lesen kann als vom Sender intendiert und er dank globaler Vernetzung und Verdichtung jederzeit auf andere Medien umschalten kann, bleiben Zustellung wie Ankommen der Botschaft immer kontingent.

Zu Jubelstürmen besteht auf Empfängerseite freilich kein Anlass. Jeder Klick, den der User im Netz macht, hinterlässt Spuren, die von intelligenten Maschinen und Programmen gesammelt, abgeglichen und mit anderen Daten koordiniert werden können. In der Datenwolke, wo komplexe Softwareanwendungen, die bisher ausschließlich auf privaten Computersystemen liefen, durch zentralisierte, vernetzte Dienste ersetzt werden, fertigen intelligente Bots aus den Anfragen und Einträgen, die sie erreichen, mittels Abgleich und Verknüpfung längst "virtuelle" Datenkörper und Kundenprofile an. Und das selbst noch bei ihrer Anonymisierung.

Gewinn und Verlust

Wollte man das Ganze in Gewinnen und Verlusten verrechnen, dann könnte man vielleicht resümieren: Der Preis des Users für seine neu gewonnene Souveränität sind seine Gläsernheit und seine erkennungsdienstliche Behandlung durch Unbekannte. Der Verlust, den der Sender hingegen erleidet, wird kompensiert mit dem Besitz von Kundenadressen und Kreditkartennummern und dem Wissen über Vorlieben, Interessen und Neigungen des Users, die er beim Downloaden von Programmen, Musikstücken oder Filmen den Anbietern offenbart.

Diese Umkehrung des ursprünglichen unidirektionalen Sender-Empfänger Modells in ein bidirektionales kann man mittlerweile auf allen Ebenen der modernen Gesellschaft, in der Wirtschaft, der Politik, der Kunst usw. beobachten. Ebenso die Sammelwut der Unternehmen, deren Gier nach personenbezogenen Daten und Adressen unerschöpflich scheint.

Wer etwa bei Amazon einkauft, sollte sich stets bewusst sein, dass die Firma immer auch weiß, was gut für ihn ist. Ihre Programme merken sich nicht nur, was er gelesen oder gekauft hat, sie setzen ihn auch in Kenntnis, was andere Kunden dazu vermerkt haben. Hat er der Firma auch noch seine Kreditkartennummer anvertraut, dann stehen ihm Bücher und Texte, Filme und Popsongs rund um die Uhr zur Verfügung, deren Bezahlung ihm durch die 1-Click Payment Methode leicht von der Hand geht.

Command und Control

Es ist unstrittig, dass horizontale Strukturen andere Fähigkeiten und Kompetenzen erfordern als traditionelle Geschäftsmodelle sie bislang den Anbietern boten. In P2P- oder B2B-Programmen sind die hierarchischen Rollen von Server und Client, von Anbieter und Nutzer aufgehoben. Aus einer einstmals vertikalen Welt, die auf Befehl und Kontrolle gehorcht hat, ist eine flache und horizontale Welt entstanden, die auf Verknüpfung und Kooperation beruht.

Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass Command und Control verschwinden werden. Es ist offensichtlich, dass die Kommunikation zu einer der Steuerung, der beidseitigen Verfolgung und Kontrolle gerät, und zwar unabhängig davon, ob es sich beim Zielobjekt um einen Menschen oder eine Maschine handelt. Zieht man dazu nämlich den Turing-Test zu Rate, dann ist es unter digitalen Bedingungen vollkommen einerlei, wer am Endgerät sitzt, weil die Sprache sowieso in C3 erfolgt.

Diese Kommunikationsstrukturen und -verhältnisse werden auch die nächste oder kommende Gesellschaft bestimmen. Und sie werden die Karten zwischen Autoren, Verlegern und Buchhändlern, Kritikern und Lesern neu mischen, aushandeln und verteilen (Publish Or Perish [1]). Die Verlags- und Bewusstseinsindustrie wäre daher gut beraten, wenn sie möglichst bald von dem Glauben Abschied nähme, dass Bücher in absehbarer Zeit noch genau so geschrieben und gedruckt, rezensiert und verkauft werden wie bisher. Wer diesem Glauben weiter nachhängt, ist nicht nur naiv, sondern wird auch bald vom Markt gefegt werden.

Im Blindflug

Die Zeit drängt, für die Verlage ebenso wie für die Buchhändler. Darüber sind sich alle einig (Die permanente Revolution ist fatal [2]). Anders als Revolutionen der Vergangenheit, als die Erfindung der beweglichen Letter durch Gutenberg der bürgerlichen Gesellschaft Jahrhunderte Zeit ließ, mit den Folgen der Buchkultur, den literarischen Salons und der freien Presse umzugehen und darauf eine passende Antwort zu finden, lässt die digitale Revolution den betroffenen Akteuren weder Zeit zum Abwarten noch hinreichend Raum zur Orientierung. Sie entwickelt längst eine Geschwindigkeit, die sie gewissermaßen zu einer permanenten macht und alle Beteiligten unter einen enormen Handlungsdruck setzt.

Die Schwierigkeit besteht einfach darin, dass die Branche die Probleme unter Bedingungen des Blindflugs lösen muss. Für sie gilt, was Niklas Luhmann seiner Systemtheorie ins Kontor geschrieben hat:

Der Flug muss über den Wolken stattfinden, und es ist mit einer ziemlich geschlossenen Wolkendecke zu rechnen. Man muss sich auf die eigenen Instrumente verlassen. Gelegentlich sind Durchblicke nach unten möglich – ein Blick auf Gelände mit Wegen und Siedlungen, Flüssen und Küstenstreifen, die an Vertrautes erinnern; oder auch ein Blick auf ein größeres Stück Landschaft mit den erloschenen Vulkanen des Marxismus. Aber niemand sollte der Illusion zum Opfer fallen, dass diese wenigen Anhaltspunkte genügen, um den Flug zu steuern.

Niklas Luhmann

Lernfähig sein

Unstrittig dürfte sein, dass das alte Geschäftsmodell, das die Verlage bislang stark und die Autoren extrem schwach gemacht hat, der Vergangenheit angehört. E-Books stellen nicht nur diese Positionen in Frage, sie zerstören auch das ganze traditionelle System, nicht nur die Buchhandlungen und den Verkauf dort, sondern auch den Verbund aus Werbung und Vertrieb, Papier und Einband, Honorar und Urheberrecht. Der eigentliche Wettbewerb, meint Tim O'Reilly, der Geschäftsführer von O'Reilly Media, findet aber nicht nur zwischen E-Books und Hardcover statt, sondern auch mit allen Produkten, die um die kostbare Zeit des Users ringen, mit TV und Film, Video und Computerspielen.

Die Frage ist darum, ob die Verlagsbranche anders als die Musik- und Filmindustrie bereit und willens ist, rechtzeitig auf den neuen Zug aufzuspringen und sich mit den Anbietern technischer Geräte so zu arrangieren, dass sich ihr eine Win-Chance eröffnet. Gewiss sind die beiden Geschäftsfelder nicht unbedingt vergleichbar. Texte sind immer auch an eine bestimmte Sprache gebunden und daher in einem gewissen Maß lokal verankert. In Deutschland kommt auch noch die Buchpreisbindung hinzu. Trotzdem kann die Verlagsindustrie aus dem Schicksal der Musik- und Filmindustrie doch eine Menge lernen.

Das Ende der Majors im Musikbusiness markierte bekanntlich weder das Ende von Rock und Pop noch das von R & B. Neue Nischen der Produktion haben sich sogar für wendige und innovative Produzenten aufgetan. Ohne die "großen Vier" (EMI, Universal, Sony, Time Warner) und die von ihr aufgebauten hohen Hürden ist das Popgenre mittlerweile sogar lebendiger denn je. Mehr als jemals zuvor wird Musik von einem stetig wachsenden Massenpublikum gehört, nur eben anders, zu anderen Zeiten und an anderen Örtlichkeiten.

Nicht jammern

Außer den Preisen und Zugängen, den Abspielstationen und Hörgewohnheiten haben sich vor allem die Vertriebswege geändert. Die Verwertungsketten sind nicht nur andere und vielfältiger geworden, auch der Zuschnitt ist personaler und direkter. Der Fan wird jetzt direkt angesprochen und bedient. Wobei Kunden- und Nutzerfreundlichkeit einen hohen Stellenwert bekommen.

Ähnliches gilt für den Journalismus. Auch ihm geht es erstaunlich gut. Aller Unkenrufe zum Trotz ist er lebendiger denn je (Dem Journalismus geht es erstaunlich gut [3]). Nie zuvor standen Lesern so viele Angebote zur Verfügung, um sich ein eigenes Bild von der Welt da draußen zu machen. Jenseits der alten journalistischen Monopole sind Online-Portale entstanden, die sich, was Qualität, und Professionalität, Sorgfalt und Redlichkeit der Sprache und der Recherchen angeht, durchaus mit den "Platzhirschen" der Branche messen kann. Wehklagen hört man nur von Zeitungs- und Medienverlage, die über fallende Renditen und den Verlust der Exklusivität jammern, Fantasielosigkeit zeigen und nicht so recht wissen, auf welches Geschäftsmodell sie in der Zukunft setzen sollen.

Ideen suchen nach Wirten

Natürlich ist auch Skepsis geboten. Zumal sich die Lage der Musik- und Filmindustrie nicht umstandslos mit der des Verlagsbusiness vergleichen oder eins zu eins auf sie übertragen lässt. Die Vielzahl der Stimmen, der Experten und Expertisen, die zu wissen vorgeben, wie es möglicherweise funktionieren könnte, fördert die allgemeine Unsicherheit. Und die Gratis- und Raubkopiementalität, die sich im Netz eingenistet hat und die auch die Verlagsbranche weder abschaffen noch besiegen wird, verunsichert die Akteure zusätzlich.

Sicher ist nur, dass das Urheberrecht in seiner traditionellen Form nicht zu halten sein wird. Verlage tun daher gut daran, sich darauf rechtzeitig einzustellen. Mit Netzsperren, mit Beschimpfung oder gar Kriminalisierung der Kundschaft, auch da liefert das Musikbusiness einen Fingerzeig, gewinnt man jedenfalls keine neuen Kunden hinzu.

Für Firmen, die Millionen und Milliarden in Patente investieren, muss das Urheberrecht auch weiter mit allen Mitteln geschützt werden. Da sind Politik und Staat gefragt. Für das geistige Eigentum gilt dies gewiss nicht im selben Maße. Informationen wollen frei sein. Damit sie die Köpfe erreichen können, müssen Ideen frei zugänglich bleiben. Sie müssen sich folglich unlimitiert verbreiten und auch von Gehirn zu Gehirn springen können.

Darum brauchen Autoren auch die Unterstützung von Agenten, die ihnen bei der raschen Verbreitung ihrer Ideen helfen. Das kann, wenn Texte dazu nicht ausreichen, möglicherweise auch mit T-Shirts, Buttons oder Schokoriegeln passieren, auf denen mit Sprüchen, geflügelten Worten oder dem Konterfei des Autors geworben wird. Bei Dietmar Dath, Rainald Goetz und ein paar anderen Autoren funktioniert eine solche Mehrfachverwertung ja auch schon zum Teil ganz prächtig. Sie haben sich längst zur Marke weiterentwickelt. Wo das nicht gelingt, muss ein Autor sich eben dann um einen Zweitberuf bemühen, der ihn in Brot und ihm Unterhalt bringt. Neu ist das nicht. Auch Kafka, Benn und andere prominente Köpfe und Autoren haben meist immer oder teilweise so gelebt.

Raub mich!

Ähnliches gilt für die Diskussion um die Raubkopie. Auch die wird hierzulande reichlich übertrieben geführt. Ideen funktionieren nun mal wie Meme. Um zu einer erinnerbaren Einheit zu werden, brauchen sie einen Wirt, der sie aufnimmt und repliziert, weiterdenkt und weitergibt. Nur wenn das geschieht, Ideen Aufmerksamkeit erzielen, verschwinden sie nicht in den Papierkörben der Welt. Netzwerke und Blogs, Mails und Tweets, Chats und Trackbacks bieten für dafür einen idealen Nährboden.

Es mag sein, dass die Plagiatkultur dadurch zunimmt. Auch da hängt man das Problem allzu hoch. Allein durch sein Plagiieren bekommt das Plagiat eine neue Handschrift, einen neuen Stil. Dies verändert nicht nur seine ursprüngliche Textstruktur, im neuen Kontext wird es auch ein neuer Text. Als Beispiel mag Niklas Luhmann gelten. Von ihm ist bekannt, dass er ein Manuskript, nachdem er es fertig gestellt hatte, seiner Sekretärin mit den Worten aushändigte, sie möge es an interessierte Studenten, sollten sie danach fragen, umgehend weiterreichen. Die Gefahr, dass sich jemand daran unerlaubt vergreifen würde, sah er nicht. Längst war immer bereits irgendein neuer Text in Produktion.

So gesehen ist die Verlagsbranche derzeit mit drei Problemen konfrontiert, die sie möglichst rasch und erfolgreich bewältigen muss. Sie muss a) versuchen zu verstehen, wie das Internet funktioniert; sie muss b) versuchen, ihr Geschäftsfeld und ihr Wissen um den Buchhandel, das andere wiederum nicht haben. mit diesen neuen Strukturen, die das Netz schafft, abzustimmen; und sie muss c) die Kunst entwickeln, das Netz und das Verlagswesen miteinander so zu verquicken, dass sie danach nicht vom Markt gedrängt wird.

Rettung naht

Natürlich muss all das nicht heißen, dass das Verlagswesen oder der Buchmarkt vom Markt verschwinden. Der Niedergang einiger Verlage und Medienhäuser muss beileibe nicht das Ende des Buches oder des gedrucktes Wortes bedeuten – auch wenn Jeff Bezos da längst anderer Meinung ist. Auch in absehbarer Zukunft werden noch Bücher, Zeitungen und Zeitschriften ver- und gekauft werden. Für gedruckte Erzeugnisse wird es auch weiter einen Markt geben und ein Publikum, das bereit ist, dafür zu zahlen. Aber eben nur in abgespeckter und abgewandelter Form.

Zeitungsverlage waren die ersten, die den Strukturwandel mit Vehemenz zu spüren bekamen. Sie traf die Krise als erste. Auf den Einbruch der Auflage, den Rückgang der Abonnentenzahlen und das Abwandern der Anzeigenkundschaft ins Fernsehen und ins Netz, reagierte sie panikartig mit der Entlassung von Personal, der Straffung der Produktionsweise und der Reduzierung des Umfangs (US-Journalisten fürchten den Untergang [4]).

Mittlerweile stehen einige "Leuchttürme" der Publizistik und des Journalismus zum Verkauf (Deadline für einen Mythos [5]), während andere, die Washington Post oder die New York Times etwa, fieberhaft nach neuen Einnahme- und Verdienstquellen suchen. Besonders von der neuen Generation der Tablet-Computer, die dieses Jahr mit Vehemenz auf den Markt drängen und neue Kommunikationsbedürfnisse wecken (Die Politik des iPad [6]), erhoffen sich viele Verleger die Rettung und Lösung ihrer Probleme, weil sie neben dem Text neben viel Buntem auch Audio und Video zulassen. So auch die eine oder andere Trutzburg der Gutenberg-Galaxis [7], die gerade dabei ist, ihr Programm zu digitalisieren und erste Apps für das iPhone der Leserschaft zur Verfügung zu stellen.

Für die mobile Kundschaft

Während in den USA fünf der sechs größten Verlagshäuser bereits eine Partnerschaft mit Apple eingegangen sind und E-Books beim Verkaufsstart des iPad bereits erhältlich waren, zeigt sich der deutsche Buchhandel bislang eher abwartend (Heftige Verhandlungen [8]). Er zögert und weiß noch nicht, mit wem er kooperieren und eine Partnerschaft eingehen will, wenn Ende Mai das iPad auch in Deutschland erhältlich sein wird.

Offenbar fürchten einige Verlage, in eine zu hohe Abhängigkeit von nur einem Anbieter zu geraten, der dann schnell in der Lage wäre, ihnen die Preise zu diktieren und damit ihre Profite zu schmälern. Stattdessen streben viele Verlage eher eine geräteunabhängige Lösung an, auch, um weiterhin die Oberhoheit über ihre Kundenbeziehungen zu haben, was wiederum ein wichtiges Signal an die Werbekundschaft ist.

Auch wenn der Handel mit E-Books, wie man hören oder lesen kann, zu florieren scheint, ob es für all diese Angebote und Programme jedoch jemals eine bereitwillig zahlende Kundschaft geben wird, die den hohen technischen Aufwand von Herstellung und Betrieb (Digitalisierung, Online-Wartung, Betreuung usw.) rechtfertigt, ihn refinanziert und auch zu Erlösen führt, bleibt abzuwarten.

Zwar sind mittlerweile über fünfzig Millionen iPhones weltweit in Betrieb. Und die Verkaufszahlen des iPad geben auch Anlass zu manch kühnen Erwartungen, Hoffnungen und Träumen. Nachdem am ersten Tag an die dreihunderttausend Stück über den Ladentisch gegangen waren, rechnen Marktbeobachter damit, dass allein dieses Jahr zwischen drei und fünf Millionen davon verkauft werden.

Aber ob deren Besitzer dann ausgerechnet auf Bücher zugreifen, sie auf ihre Speicher laden und damit das Verlagsgeschäft und den Buchhandel vor dem Niedergang bewahren, muss sich erst noch zeigen. Die Krise, die das Netz im Verlagsbusiness ausgelöst hat, ist bekanntlich keine des Angebots und der Qualität, sondern ein Finanzierungsproblem. Es gibt einfach zu wenige Kunden, die bereits sind, dafür zu zahlen. Und auch manch andere Zahlen schüren nicht gerade die Euphorie. Umfragen und Erhebungen in den USA zeigen, dass nur noch etwa zwei von fünf Amerikanern ein Buch pro Jahr lesen.

Intelligentere Lösungen sind gefragt

Die ersten Versuche, die man mittlerweile auf dem iPhone erhalten kann, schauen jedenfalls nicht gerade vielversprechend aus. Solange das gedruckte Buch nur eins zu eins in digitalisierte Form gebracht wird und zündende Ideen fehlen, wie man den Text "vitaler" macht, wird man kaum Käufer finden, die darauf zugreifen werden. Reichert man das E-Book dagegen mit allerlei Schnickschnack an, mit Audio, Video und anderen Bonusmaterial, dann steigt nicht nur der finanzielle Aufwand in exorbitant hohe Größen, es ist auch kaum mehr einzusehen, warum man nicht gleich auf Multimedia umsteigen sollte.

Intelligente und kreative Lösungen und Anwendungen sind daher gefragt, solche, die sich von Video- oder Computerspielen unterscheiden. Die Umsetzung, so steht zu befürchten, wird aber nicht aus der Portokasse zu bezahlen sein. Ob mittelständische Verlage dazu in der Lage sind, solche finanziellen Abenteuer zu stemmen, scheint zumindest fraglich.


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https://www.heise.de/-3385647

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.newyorker.com/reporting/2010/04/26/100426fa_fact_auletta?printable=true
[2] http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article7313219/Die-permanente-Revolution-ist-fatal-Die-permanente-Revolution-ist-fatal.html
[3] http://www.sueddeutsche.de/medien/887/511000/text/
[4] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,688473,00.html
[5] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,694444,00.html
[6] http://www.faz.net/s/RubCEB3712D41B64C3094E31BDC1446D18E/Doc~E4C9B52F05C0C4D6AA6E031D952812B10~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Trutzburg-der-Gutenberg-Galaxis-3450120.html
[8] http://www.sueddeutsche.de/kultur/823/510937/text/