Im Namen der freien Rede: Elon Musk kauft Twitter

Bernd Müller

Elon Musk liebt das Gigantische: Deshalb lässt er nicht nur "Gigafactories" bauen, nun kämpft er für nichts Geringeres als die "Zukunft der Zivilisation". Ein Kommentar.

Elon Musk hat eine Mission: Er will die Welt mit dem Recht auf freie Rede beglücken. Sein Werkzeug dafür soll der Kurznachrichtendienst Twitter sein, dem er das "Potenzial als Plattform für die freie Meinungsäußerung auf der ganzen Welt" zuschreibt.

Das lässt sich Musk rund 44 Milliarden US-Dollar kosten und dafür nimmt er auch in Kauf, dass es auf absehbare Zeit ein Zuschussgeschäft bleibt; denn es geht ihm bei dem Geschäft nicht ums Geld, sondern um nicht weniger als die "Zukunft der Zivilisation". Die freie Meinungsäußerung sei schließlich Grundlage für "eine funktionierende Demokratie".

Ein schönes Bekenntnis – das aber niemand Musk wirklich abnimmt. Dem selbsternannten "Absolutisten der Meinungsfreiheit" wird durchaus ein gespaltenes Verhältnis zur selbigen nachgesagt. Kritiker hat er jahrelang versucht, zum Schweigen zu bringen, heißt es bei Bloomberg. Andere habe er öffentlich an den Pranger gestellt.

Eine Reihe solcher Vorfälle hat Joshua Potash auf Twitter aufgelistet. So wurde ein Beschäftigter von Tesla entlassen, weil er einen Unfall mit einem E-Auto der gleichnamigen Marke im Internet veröffentlicht hatte. Einem anderen soll Musk Leute auf den Hals gehetzt haben, die ihn ausspionieren sollten, nur weil er Zweifel an Teslas Umweltfreundlichkeit geäußert hatte. Er soll sogar die chinesische Regierung aufgefordert haben, Verbraucherbeschwerden in sozialen Netzwerken zu zensieren.

Beim Stern macht man sich Sorgen, dass Musk seine Rolle als Eigentümer von Twitter nun dazu nutzen könnte, seine libertären Ansichten noch stärker zu verbreiten. Dieser Einwurf verwundert etwas, gehören Grundelemente der libertären Lehre heute doch zum ökonomischen Mainstream.

Dem Staat kommt demnach im Wesentlichen nur eine Aufgabe zu: Die bürgerliche Eigentumsordnung schützen, wenn nötig mit Gewalt. Die Meinungsfreiheit zu schützen, gehört ausdrücklich nicht zu den staatlichen Aufgaben, vor allem dann nicht, wenn bestimmte Kräfte danach streben sollten, die bürgerliche Eigentumsordnung umstoßen zu wollen. Libertäre Vordenker wie zum Beispiel Ludwig von Mises plädierten in einen solchen Fall für Gewalt, priesen sogar den Faschismus – und der hat nun überhaupt nichts mit Meinungsfreiheit zu tun.

Böhmermann und die "reichen Wichser"

Von derartigen Äußerungen ist Musk bislang nicht aufgefallen. Aber EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat in einem aktuellen Interview mit Die Zeit den moralischen Zeigefinger gehoben. Sie warnte vor einer zu weiten Auslegung der Meinungsfreiheit.

"Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut – genau wie die Demokratie", sagte sie. Doch sei es in Europa verboten, zu Gewalt und Terrorismus aufzurufen. Dies schränke zwar die Meinungsfreiheit ein, "aber es ist im Sinne der Demokratie". Mit seinem Anspruch einer absoluten Meinungsfreiheit wird es Musk also nicht so einfach haben.

Als Musk die Übernahme von Twitter ankündigte, segelte in seinem Windschatten Jan Böhmermann vom ZDF und versuchte, auch ein wenig Aufmerksamkeit zu erheischen. Auf Twitter fragte er: "Hä? Wieso gehört am Ende alles immer reichen Wichsern, die machen können was sie wollen?".

Die Antwort könnte lauten: "Weil wir im Kapitalismus leben und nur derjenige sich ein milliardenschweres Unternehmen kaufen kann, der entweder reich geerbt hat oder eine Vielzahl von Menschen ausbeutet oder auf den beides zutrifft." Durch fleißige Lohnarbeit, in zwei oder drei Jobs, hat es sich noch niemand leisten können, ein solches Unternehmen erwerben zu können.

Eine solche Antwort hat aber niemand dem Böhmermann gegeben; stattdessen erntete der einen Shitstorm. "Niederträchtig" und "ekelhaft" sei er und seine "Armseligkeit" sei bemerkenswert. Nun, beim Niveau der Kritik ist noch viel Luft nach oben.

Hätte Böhmermann seine Kritik ernst meinen wollen, so hätte er erklären sollen, ab wann man zu den "reichen Wichsern" zählt. Ihm selbst wird auch ein Vermögen von fünf Millionen Euro nachgesagt. Im Vergleich mit Musk besteht da zwar ein erheblicher Unterschied; aber im Vergleich mit einem durchschnittlichen Deutschen könnte Böhmermann auch schon zu den "reichen Wichsern" zählen.

Die meisten Verlage und Unternehmen gehören Leuten, die man "reiche Wichser" nennen könnte. Und im Kapitalismus ist es nicht ungewöhnlich, dass die Masse der Menschen diese Leute – ohne Absicht – noch reicher machen. Und dann kaufen sie sich eben ein soziales Netzwerk oder eine Zeitung und spielen sich als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit auf. Böhmermanns gespielte Empörung ändert daran überhaupt nichts.