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"Im Prinzip heben wir Löcher aus und schütten sie wieder zu"

Christian Kreiß über die künstlich verringerte Haltbarkeit von Produkten

Das Phänomen, dass Elektrogeräte kurz nach dem Ablauf der Garantiefrist ihren Geist aufgeben (und dann entweder irreparabel sind oder die Reparatur sich kostspieliger als eine Neuerwerbung gestaltet) ist mittlerweile Alltag geworden und breitet sich auf immer mehr Bereiche aus. Telepolis befragte dazu Christian Kreiß, der das Buch Geplanter Verschleiss [1] geschrieben hat.

Der Stand technologischer Entwicklung ist so hoch wie nie zuvor. Warum halten heutzutage Gebrauchsgegenstände des Alltagslebens wesentlich weniger lang als früher?
Christian Kreiß: Gerade der hohe technologische Stand bringt es mit sich, dass die Produkte immer komplizierter werden. Wer heute unter die Kühlerhaube von seinem Wagen blickt, wird sich mit einer Reparatur sicherlich nicht mehr so leicht tun wie noch vor 20 Jahren. Mit der Komplexität der Gegenstände nimmt auch die Vielzahl der Komponenten zu, die in solche Systeme hineingebaut werden und insofern sind sie auch anfälliger: Wenn ein Teilchen nicht mehr funktioniert, läuft das ganze System nicht mehr. Die Materialien sind heutzutage auch anders: Ein Bügeleisen aus den Zwanziger Jahren war aus Schmiedeeisen mit einem Holzgriff, heutzutage sind sehr viel Plastik und neue Materialien dabei, die mitunter viel schlechter halten als Holz und Schmiedeeisen.
Hängt diese Entwicklung auch damit zusammen, dass die Produkte aufgrund des Preisdrucks immer billiger produziert werden?
Christian Kreiß: Das auch. Der technologische Fortschritt bewirkt, dass die Sachen im Prinzip immer billiger werden. Aber wir haben eben diesen wahnsinnigen Kostendruck von der Industrie in den Weltmärkten und die Ingeneure sind ständig unter Druck, das Hipste und Neuste unter strikter Einhaltung der Budgets zu entwickeln. Das heißt, man muss häufig billige Materialien verwenden und manchmal auch nicht ganz ausgereifte Produkte auf den Markt werfen. Dann bleibt es nicht aus, dass die Produkte nicht mehr so gut sind.

"Phoebus-Kartell"

Über einen anderen Grund für diesen Missstand haben Sie ein Buch geschrieben: Die bewusst gering gestaltete Haltbarkeit der Artikel. Seit wann wird der geplante Verschleiß wirtschaftlich genutzt und wie hat sich dies bis in die Gegenwart entwickelt?
Christian Kreiß: Die ersten Beispiele kommen aus den USA, seit den Zwanziger Jahren auch aus Europa. Bekannt geworden ist das Phoebus-Kartell, wo sich die führenden Produzenten aus Deutschland, Holland, den USA, England, Frankreich zusammenschließen und die Laufzeit der Glühbirnen von circa 1800 Stunden auf 1000 Stunden verkürzen. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Zu dieser Zeit wurde der geplante Verschleiß aus offenkundigen Gründen wieder zurückgefahren. Danach allerdings fing es zuerst in den USA wieder damit an, wo das Produktions- und Konsumniveau ungebrochen hoch und der Markt gesättigt war.
In Europa sah es ein wenig anders aus: Hier hielten in den 50er und frühen 60er Jahren die französischen Autos drei mal so lange wie die amerikanischen. Spätestens aber in den 80er und 90er Jahren beobachten wir eine grundlegende Sättigung der Märkte auch in Europa, wodurch die Firmen getrieben werden, auf andere Art und Weise Umsätze zu generieren und durch die Hintertür, durch die Verkürzung der Funktionsdauer, die Produktpreise zu erhöhen, um die Gewinnmargen zu steigern.
In welchen Maßen wird derlei in der Gegenwart praktiziert?
Christian Kreiß: Bei Elektroartikeln ist dies mittlerweile ein Massenphänomen: Verklebte Akkus, verklebte Gehäuse etcetera. Die Ersatzteile sind nicht lieferbar oder nur zu einem erhöhten Preis zu erstehen. Aber auch auf Textilien trifft dies zu: Zum Beispiel gibt es immer öfter Schuhe mit verklebten Schuhsohlen , die man nicht reparieren kann.
Hat diese Entwicklung etwas mit der Wirtschaftsordnung zu tun?
Christian Kreiß: Ganz klar. Durch den Kapitaldruck, der von den Weltmärkten ausgeht, werden die großen Unternehmen dazu getrieben. Wenn jemand wie Ackermann fünfundzwanzig Prozent Eigenkapitalrendite anstrebt, wo sollen die denn bei gesättigten Märkten herkommen?

"Allgemein sinkt damit die Produktivität"

Was sind die kurz- und langfristigen Auswirkungen auf Ökonomie und Umwelt?
Christian Kreiß: Für die Umwelt ist diese Entwicklung kurz- und langfristig eine Katastrophe: Wir verbrauchen mehr Ressourcen und produzieren mehr Müll. Im Prinzip heben wir Löcher aus und schütten sie wieder zu. Wenn man Glühbirnen herstellt, die nicht 1800 Stunden, sondern nur 1000 Stunden halten, dann ist das offenkundig ein Unsinn. Wir verbrauchen Energien, Ressourcen und produzieren Müll für nichts. Denn wir könnten mit halb so viel produzierten Glühbirnen, die dafür doppelt so lange halten, problemlos leben.
Für die Ökonomie muss man danach fragen, welche Auswirkungen sich für wen einstellen. Gesamtwirtschaftlich schafft dies kurzfristig Arbeitsplätze, aber allgemein sinkt damit die Produktivität und wir fahren alle langfristig schlechter als vorher. Anstatt die steigende Produktivität dahingehend auszunutzen, dass weniger gearbeitet werden muss und mehr in Urlaub gefahren wird, produziert man diesen offensichtlichen Unsinn. Die Konsumenten kommt dies ohnehin teuer zu stehen, weil sich die Produkte verschlechtern und damit die Nutzung teurer wird. Aber es gibt auch Gewinner: Die großen Unternehmen und ihre Aktionäre. In Deutschland besitzen übrigens nach wie vor nur zehn Prozent der Bevölkerung Aktien.
Was würde ökonomisch passieren, wenn man die geplante Obsoleszenz politisch unterbinden würde?
Christian Kreiß: Grundsätzlich würde das bedeuten, dass der Unsinns des Löcheraushebens und Löcherzuschüttens aufhört und es uns genauso gut geht wie vorher. Real hätten wir keine Einbußen. Also vom volkswirtschaftlichen Standpunkt her wäre dies ein Segen für alle. - Aber die Menschen in den betroffenen Branchen hätten Nachteile, weil sie viel weniger absetzen könnten. Andererseits ist dies eben der Strukturwandel seit Beginn der industriellen Revolution: Wir haben ja auch keine Handwebstühle mehr, obwohl dies für die Weber in Schlesien grausam war und es deswegen Hungeraufstände gab. Kutschen gibt es auch nicht mehr. Das bedeutet, wir haben seit 150 Jahren einen permanenten Strukturwandel, der aber von der Politik sozialverträglich gestaltet werden müsste.

"Lobbyarbeit im Bundestag"

Christian Kreiß: Warum hat die Politik noch nicht reagiert?
Zwei Gründe: Zum einen behauptet die gängige ökonomische Theorie, dass es zu geplantem Verschleiß nicht kommt, wenn es funktionierende Wettbewerbsmärkte gibt. Ich halte diese Theorie für falsch, weil sie auf gewissen Annahmen aufbaut, die völlig weltfern sind: Zum Beispiel, dass die Konsumenten über die Produkte vollständig informiert sind, dass keine Oligopole etc. existieren. Meiner Meinung nach bedarf diese Theorie einer grundlegenden Korrektur.
Zum anderen gibt es Lobbyarbeit im Bundestag und in den Ministerien, eine Verquickung von Bundestag und Industrie, Lobbyisten, die im Bundestag sitzen und bei der Gestaltung der Gesetze mitwirken und Politiker, die in die Industrie wechseln et cetera. Die Politik ist also sehr stark von der Industrie beeinflusst, die gerne von Hunderttausenden Arbeitslosen spricht, die es ja auch zumindest kurzfristig geben könnte, wenn man den Prozess wirtschaftspolitisch schlecht begleitet. Langfristig würden aber - wie gesagt - solche Maßnahmen allen nützen.
Was kann der Konsument tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Christian Kreiß: Natürlich können wir uns selbst an die Nase fassen und sagen: Weniger Geiz ist geil, es muss nicht immer das Billigste sein. Oft sind die teureren, qualitativ hochwertigen Produkte eine gute Investition, weil sie viel länger halten. Man darf nicht nur auf den Preis schauen, sondern muss auch auf Qualität achten. Das aber ist nicht einfach, weil wir über die Produkte schlecht informiert werden.
Zum Beispiel weiß man beim Kauf praktisch nie, wie lange das Gerät halten wird, ob es in ein paar Jahren noch Ersatzteile gibt, wenn ja, zu welchem Preis, ob das Gerät überhaupt reparierbar ist und so weiter. Man könnte sich aber an Stiftung Warentest et cetera wenden. Dann sollten Sachen ruhig einmal repariert werden, bevor man sie wegschmeißt und man könnte versuchen, achtsamer mit den Produkten umgehen.
Ist derlei auch in einem Land mit massiven Verarmungstendenzen ohne Weiteres machbar?
Christian Kreiß: Das ist natürlich schwierig. Das Prekariat und der Niedriglohnsektor nehmen in Deutschland seit 20 Jahren zu. Tatsächlich sind Menschen mit wenig Geld in der Tasche mehr oder weniger gezwungen, das billigste Produkt zu nehmen, obwohl es umgelegt auf die Nutzung teurer ist, als ein gutes. Der einzelne Konsument stößt in der Tat auf Grenzen, weil wir die Informationen und bisweilen die Kaufkraft nicht haben. Da ist die Politik gefragt, um für Transparenz und eine gerechtere Einkommensverteilung zu sorgen.

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[1] http://www.europa-verlag.com/Buecher/19/Geplanter-Verschlei%C3%9F.html