Im Transitland des Flughafens
Spielbergs Film "The Terminal" zeigt den Flughafen durch die Augen eines dort festsitzenden Einwanderers als globale Schnittstelle
In Spielbergs neuem Film "The Terminal" strandet der osteuropäische Einwanderer Viktor Navorski in einem Terminal des New Yorker Flughafens. Während seiner Reise in die USA hat ein Krieg sein Heimatland von der Landkarte wegradiert. Sein Pass ist plötzlich ungültig und Viktor kann weder irgendwohin ausreisen, noch wird er in die Vereinigten Staaten gelassen.
Spielbergs Film hat einen realen Hintergrund: Seit Jahrzehnten sitzt Merhan Karimi Nassiris auf seiner roten Bank auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle und kann nicht ausreisen, weil er auf einen neuen Pass wartet. Er besitzt lediglich einen Flüchtlingsausweis. 1977 musste der gebürtige Iraner sein Heimatland verlassen. Vier Jahre reiste er um Welt, bis ihn Belgien 1981 als Flüchtling anerkannte. Sieben Jahre später versuchte er nach England zu emigrieren, allerdings wurden seine Papiere in Paris gestohlen und kein Staat wollte ihn einreisen lassen. Seither wohnt der Flüchtling im Flughafen.
Ein ähnliches Schicksal erleidet Spielbergs Viktor Navorski. Weil die Bürokratie immer länger braucht und keine Lösung findet, wird das Terminal zu Viktors neuem Zuhause. Er freundet sich mit dem Flughafenpersonal an, verliebt sich in eine Flugbegleiterin und entdeckt, dass der Flughafen einen eigenen skurrilen Mikrokosmos darstellt. Ähnlich wie auf zentralen Plätzen oder Brücken, die Menschenmassen kanalisieren, jedoch auch klassifizieren, filtern, ordnen und ausstellen, wird das Terminal durch die Augen des Einwanderers zu einem paradigmatischen Ort: eine Schnittstelle, ein Kristallisationspunkt, ein Spiegel der Gesellschaft.
Ich wollte diesen Film machen, weil er von einer universellen Immigrantenerfahrung erzählt. Millionen von Einwanderern kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Amerika, auch meine eigenen Großeltern. Diese Generation landete in Ellis Island. Heute übernimmt ein Flughafen wie der von New York die Funktion von Ellis Island. Auf allen internationalen Flughäfen, ob in Dubai, Frankfurt, Tokio oder Los Angeles, gibt es diese kulturelle Mischung, die Mikrokosmen all dieser Wanderer zwischen den Welten mit ihren Hautfarben, Religionen, Sprachen. In einer Welt, in der die Kulturen immer mehr auseinander driften, sind die Flughäfen die einzigen Orte, an denen für einen Augenblick alles zusammengeworfen wird. Die Menschen, die in Lobbys nebeneinander schlafen oder auf Rollbändern aneinander vorbei gleiten, sind die moderne Entsprechung des amerikanischen melting pot. Wenn auch nur für einen utopischen Augenblick.
Steven Spielberg
Spielbergs Hafen erinnert jedoch auch an einen anderen Hafen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und zwar an Eminönü, den Fährhafen von Istanbul, wo die angrenzende Galata-Brücke so unterschiedliche Funktionen hatte wie Anlegestelle, Einkaufs- und Flaniermeile, jedoch auch schlichtweg die Verbindung zwischen der muslimischen Alt- und der europäischen Neustadt gewesen ist. Michelangelo sowie Leonardo da Vinci hatten visionäre Entwürfe eingereicht, doch sollte die Brücke erst Mitte des 19. Jahrhunderts realisiert werden - damals als Holzkonstruktion. Die vierte und vorläufig vorletzte Ausführung wurde zwischen 1910 und 1912 von der deutschen Firma MAN konstruiert.
Sie war für den neu entstandenen Straßenbahn-Verkehr geeignet, der den Zusammenschluss von Galata mit der heutigen Altstadt vollenden sollte. Doch war der Verkehr auf der Brücke mit steuernden Elementen versehen worden. Bis 1930 wurde Passagegebühr erhoben, die nicht jeder zahlen konnte oder aufzubringen gewillt war. Es soll tatsächlich Bewohner Istanbuls gegeben haben, die gebührenfrei die Galata-Brücke überqueren wollten. Jene lieferten sich, wie iranische Immigranten in Tokioter U-Bahnhöfen Ende des 20. Jahrhunderts, regelrechte Verfolgsjagden mit den Kassierern. Vom Brückenzoll befreit waren unter anderem Soldaten sowie Feuerwehrleute im Dienst.
Alle anderen zahlten. Am höchsten war der Preis für einen beladenen Wagen, am günstigsten hatten es Passanten, die auf dem Weg in die andere Welt waren oder einfach nur flanieren wollten. Sie machten die Galata-Brücke zum Catwalk. Nichts und niemand war in dieser durchmischten Menge undenkbar - die Galata-Brücke präsentierte täglich in großen Wellenbewegungen Ausschnitte der Millionenstadt wie unter einem Vergrößerungsglas. Damals, wie offenbar auch 50 Jahre später als Paul Bowles die Brücke mit seinem Schreibblock betrat, waren alle Stadtbürger entweder auf dem Weg zur Brücke oder bereits dort gewesen.
Kurz, diese Brücke stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen sozialen Filter dar, der nicht nur Auslese ermöglichte, sondern auch Ausschlüsse. Funktionen, die in heutiger Zeit die Shopping Mall exemplarisch verkörpert: Während in Istanbul heute viele Malls an den Eingängen tatsächlich Sicherheitsmaßnahmen wie am Flughafen eingeführt haben, hat sich Spielberg alle Mühe der Welt gemacht, um seinen Flughafen in eine Oase des Konsums zu verwandeln. Das Set, das mehr als 40 Millionen USD verschlungen haben soll und auf einem ehemaligen Militärhangar bei Palmdale in Kalifornien erbaut worden ist, verdichtet die Welt des globalen Kapitals auf nicht mehr als 200 Quadratmetern: 40 verschiedene Marken haben ihren Auftritt in Spielbergs Film, die meisten konstruierten in Eigenregie ihre Film-Filialen, wie dies sonst allenfalls Akteure auf der Expo tun.
Tom Hanks, der den Einwanderer spielt, übernimmt in diesem Film die Funktion, diese kalte, menschenfeindliche Welt zu humanisieren und mit "sozialer Wärme" zu erfüllen. Werte, die in einem Streifen hochgehalten werden, der den Flughafen zu einem Ort jener gesellschaftlichen Paranoia macht, die nach den Anschlägen vom 11. September im Land der unbegrenzten Möglichkeiten grassiert und es in einen "weichen Käfig" (Parenti) verwandelt hat.