Im Zeichen des Codes

Ars Electronica 2003: CODE zwischen Kunst, Justiz und Biologie

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Wie üblich präsentiert die Ars Electronica in Linz (6. bis 11. September) Neues aus der Welt der digitalen Kunst. Das mehrtägige Symposium stellt CODE in drei Zusammenhänge: Law - Life - Art.

Codes - also die Vokabel und Grammatik der Computertechnologie - sind bei einer Veranstaltung wie der Ars Electronica eigentlich automatisch Thema. Per se harmlos sind Codes allerdings nicht. Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter der AEC, warnt gegenüber Medienvertretern deshalb vor den demokratiepolitischen Gefahren, die implizit in Codes, wie etwa Computerprogrammen stecken. Dass man Codes heuer ins Zentrum der Veranstaltung rückte, erklärt Stocker auch damit, dass "in den vergangenen Jahren mit 'Unplugged', 'Next Sex' oder 'Life Science' intensiv an die thematischen Grenzen gegangen" worden wäre. "Heuer wollen wir uns auf die Frage konzentrieren: Was ist das Wesen der Medienkunst."

Bild: Kriesche

Und so kommt es wohl, dass sich der Besucher in einem Experimentierfeld der Medienkunst wiederfindet. Es scheint als hätten die Künstler ihren Ideen ohne konkrete inhaltliche Vorgaben freien Lauf gelassen - nach dem Motto: "Leute lasst uns mal schaun, was mit digitaler Technologie so alles möglich ist." Welchen Künstlern und Künstlerinnen beim Experimentierfeldzug durch die Möglichkeiten der Technologie der große Wurf gelungen ist, mag die Geschichte oder Zunft der Kunsthistoriker entscheiden. Einige Exponate stechen allerdings auch dem unbedarften Besucher ins Auge. Etwa Richard Kriesches "datenwerk: mensch ". Der österreichische Künstler konzipierte unter Einbindung von Wissenschaftlern seine Versuchsanordnung, die auf Basis "biogenetischer" Erkenntnisse und der naturwissenschaftlichen Segmentierung des Menschen, danach trachtet gemeinsame Datenstrukturen alles Lebendigen offen zulegen. So entstehen auf Codes beruhende und aus Codes konstruierte Wirklichkeits- und Bildwelten. Das menschliche Gesicht verschwimmt hinter Buchstabenreihen ("Metaportrait Obermayer in Real Data") und die Mutter dieses Menschen wird nur mehr als Aneinanderreihung orangeroter/schwarzer Buchstabenreihen in Plakatgröße erkennbar (Genetic Portrait of Obermayer's Mother)... - Der Mensch als Code.

Bild: Blast Theory

Spielerischer geht es beim britischen Künstlerkollektiv "Blast Theory" zu. Ihr Projekt "Can you see me now" wurde heuer mit einer Goldenen Nica in der Kategorie Interactive Art ausgezeichnet. "Blast Theory" spielt dabei mit der permanenten Präsenz, der Verortbarkeit des Menschen, die sich durch elektronische Geräte wie Handy und Technologien wie GPS oder auch Digitalkameras längst real geworden ist. Zudem werden reale und virtuelle Räume überlagert. Ein definierter Teil einer Stadt ist das reale Spielfeld, ergänzt durch einen virtuellen Stadtplan. Die gegnerischen Parteien sind einerseits die Online-Spieler am Computer, anderseits vier Läufer, die mit allen technischen Raffinessen ausgestattet wurden. Aufgabe der Läufer ist es, die Onlinespieler, die sich im virtuellen versteckt halten, zu finden. Wird ein Spieler von einem Runner gefunden, heißt es für ihn "Game over!". Die Ars Electronica zeigt ein Video. Eine ausführliche Dokumentation dieser modernen Art des "Fang-mich"-Spiels, das inzwischen in Sheffield, Rotterdam und Oldenburg ausgetragen wurde ist hier abrufbar.

Die größte Publikumsaufmerksamkeit dürfte allerdings der "Teleklettergarten" der Schweizer Gruppe "FOK" erreichen. Dabei wurde die Fassade (ca. 12 x 14 m) der Linzer Kunstuniversität (ARS Campus) zur interaktiven Kletterwand umfunktioniert, in Form einer überdimensionalen Computertastatur. Jeder Besucher kann die Wand gesichert erklimmen. Trifft er auf einen roten Knopf so wird er mit einem "Operator" am Boden verbunden, der ihn von Buchstaben zu Buchstaben lotst. Die Kletterer und Kletterinnen durchlaufen eine Art "Trainee-Programm" und "mutieren" so kurzfristig zu "Software-Entwicklern".

Teleklettergarten Bild: FOK

Ansonsten dürfte die Ars Electronica 2003 kaum Besucher-Massen anziehen. Zu sehr bewegen sich die Ausstellungen in einer Art Insider-Diskurs, der sich Otto-Normalverbraucher nur schwer erschließt. Auch die Vielzahl der Präsentationsorte (sie sind quer über das Stadtgebiet Linz verstreut) macht es nicht einfacher, Zugang zu der komplexen Materie zu finden. Und das ist schade! Denn künstlerische Leitung und zahlreiche Künstler und geladene Symposiumsvortragende setzen sich gesellschaftskritisch mit Codes auseinander, die ja unbestritten zusehends unser Alltagsleben bestimmen. Kann man aber den gesellschaftskritischen Anspruch hochhalten, während die Art der Präsentation, einen Großteil der Gesellschaft ausschließt? Wen will man erreichen oder zum Nachdenken anregen? - Jene kleine Gemeinde der "Verständigen", der Intellektuellen, die ohnehin niemand über die Gefahren der "codifizierten" Welt mehr aufklären muss? - Es wäre zumindest einmal den Versuch wert, über Methoden und Mittel nachzudenken, die vor Ort - am Objekt selbst - einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln, warum sich Künstler mit diesen Themen auseinandersetzen oder wie die Kunstwerke zustande gekommen sind. Und zwar in allgemein verständlicher Sprache und nicht immer in abgehobenen Diskursen.

Fairerweise muss gesagt werden, dass sich die aus allen Ecken der Welt eingetroffenen "Szene-Kenner" allerdings kaum langweilen werden. Bis 11. September wird noch in Symposien der Versuch unternommen, eine Definition des Begriffs CODE zwischen Kunst, Justiz und Biologie festzumachen oder auch "nur" das Verhältnis von Künstlern zu Soft- und Hardware zu durchleuchten.