Immunität für Trump: US Präsidenten konnten schon immer tun, was sie wollten

Marine One mit US-Präsident Joe Biden an Bord startet vom South Lawn des Weißen Hauses, 29. Januar 2021.

Marine One mit US-Präsident Joe Biden an Bord startet vom South Lawn des Weißen Hauses, 29. Januar 2021. Bild: Stephanie Chasez, White House / Public Domain

Supreme Court stellt Präsident mit Trump-Urteil über Gesetz. Immunität selbst bei Morden von Gegnern. Warum die Empörung dennoch scheinheilig ist.

Als am 1. Juli der Oberste Gerichtshof, der Supreme Court in den USA, sein wegweisendes Urteil fällte, löste das in den USA und Europa Alarmstimmung aus.

In dem Urteil geht es um die Rolle des früheren US-Präsidenten Donald Trump beim versuchten Staatscoup, dem sogenannten Kapitolsturm vom 6. Januar 2021, nachdem Trump die Wahl gegen seinen Herausforderer Joe Biden von den Demokraten verloren hatte.

"King Trump"

Trump zog aufgrund einer gegen ihn anhängigen Klage vor den Supreme Court, der in einer Mehrheitsentscheidung mit sechs zu drei Stimmen feststellte, dass US-Präsidenten bei offiziellen Akten strafrechtliche Immunität besitzen. Die Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor erklärte in ihrer abweichenden Meinung:

Der Gerichtshof schafft tatsächlich eine gesetzesfreie Zone um den Präsidenten. Bei jeder Ausübung seiner Amtsgewalt ist der Präsident nun ein König, der über dem Gesetz steht.

Diese Sorge wurde von vielen Kommentatoren in den Vereinigten Staaten artikuliert. "Wenn Trump als Oberbefehlshaber seinen Truppen befehlen würde, jemanden zu ermorden oder einen Staatsstreich zu inszenieren, dann würde das wohl unter die absolute Immunitätsbestimmung des Gerichtsbeschlusses fallen", erklärte die Rechtswissenschaftlerin Cheryl Bader.

In Deutschland zeigte man sich ebenfalls schockiert über das Urteil. Die Süddeutsche Zeitung titelte: "Freie Fahrt zur Allmacht" und "Die Angst vor King Trump" (Überschriften nach Printversion). Weiter heißt es, dass der Supreme Court dem Ex-Präsidenten mit dem Urteil zur Immunität eine "geladene Waffe" bereitgelegt habe.

Das Neue: Immun in den USA selbst

Andere Zeitungen sind ebenso besorgt, dass ein möglicher neuer Präsident Trump ohne rechtliche Einschränkungen durchregieren könnte. Zeit Online kommentiert: "Auf dem Weg nach Trumpistan", und fährt fort: "Der Supreme Court macht US-Präsidenten zu unangreifbaren Herrschern."

Sotomayor verweist in ihrer Kritik an dem Urteil auf eine Reihe von Beispielen dafür, was der Präsident nun anordnen und befehlen könnte, ohne dafür strafrechtlich belangt zu werden.

Befiehlt er dem Seal Team 6 der Navy, einen politischen Rivalen zu ermorden? Immun. Organisiert er einen Militärputsch, um sich an der Macht zu halten? Er ist immun. Nimmt er eine Bestechung im Austausch für eine Begnadigung an? Immun. Immun, immun, immun.

Die Sorge ist daher sehr berechtigt.

Was aber diejenigen, die in den USA und Europa das Urteil kritisieren, übergehen, ist, dass die königliche Allmacht nichts wirklich Neues ist. US-Präsidenten stehen seit Jahrzehnten über dem Gesetz, wenn sie illegale Kriege, außergerichtliche Tötungen, Staatsstürze oder Folterungen befehlen. Das eigentlich Neue ist, dass sie nun auch bei Taten in den USA immun sind vor Strafverfolgung.

Die illegalen Kriege

Peter Kuznick, Professor für Geschichte und Direktor des Nuclear Studies Institute an der American University, hat darauf verwiesen, dass die Vereinigten Staaten in ihren 247 Jahren nur 16 Jahre Frieden vorweisen können. Die USA seien das Land mit den meisten Kriegen in der Welt. Und es sind überwiegend illegitime, kriminelle Akte gewesen.

Vor allem seit den Terrorangriffen vom 11. September 2001 weiteten US-Präsidenten ihre militärische Allmacht ohne Rechenschaftspflicht über den Globus aus, wobei die militärischen Operationen gegen internationales und nationales Recht verstoßen haben.

Der Irak-Krieg ab 2003 ist das klarste Beispiel für einen illegalen Angriffskrieg. Er erfüllt nicht einmal das formale Kriterium, um als legal gelten zu können, nämlich ein Mandat vom UN-Sicherheitsrat. US-Kritiker Noam Chomsky nennt die Irak-Invasion und -Militärbesatzung das "schwerste Verbrechen des 21. Jahrhunderts", ohne dass die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen worden seien.

Selbst UN-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete den Irak-Krieg als "illegal". Der damalige britische Außenminister Robin Cook trat wegen der Entscheidung der Blair-Regierung, mit den USA in den Krieg zu ziehen, zurück und erklärte, dass er einen Krieg ohne internationale Zustimmung nicht verantworten könne.

Die Privatarmeen des US-Präsidenten

Beim Afghanistan-Krieg versuchte die US-Regierung ihr Recht auf Selbstverteidigung gegen al-Qaida und die Taliban gemäß Artikel 51 der UN-Charta zwar geltend zu machen. Doch nur sehr wenige Staaten akzeptieren das als Rechtfertigung von Kriegen gegen nichtstaatliche Akteure. Auch Verfassungsrechtler stellen die Legalität des Kriegs infrage.

Die Folgen der beiden illegitimen und illegalen Kriege der USA waren Zerstörung, Tod und Chaos. Der Überfall auf den Irak und Afghanistan erzeugte nicht nur laut Brown University insgesamt 4,5 Millionen Tote, sondern auch die größte Flüchtlingskrise der Region in ihrer Geschichte. Zugleich wurde ein verheerender Bürgerkrieg im Irak in Gang gesetzt, der letztlich in die von geschassten sunnitischen Generälen unterstützte Terrororganisation ISIS mündete, die Terror in der ganzen Levante bis nach Syrien verbreitete.

Der US-Journalist Jeremy Scahill zeigt in seinem Bestseller-Buch "Dirty Wars: The World Is a Battlefield", wie der "Krieg gegen den Terror" schnell expandierte und US-Spezialkommandos überall auf der Welt "schmutzige Kriege" führten. Die Truppen seien dabei dem Weißen Haus direkt unterstellt und operierten ohne Kontrolle durch den US-Kongress.

Es sei de facto eine Privatarmee, mit der der US-Präsident jährlich Zehntausende Nachtrazzien, gezielte Tötungen, Sabotageakte oder Drohnenattacken weltweit durchführen lasse. Nach 9/11 und insbesondere unter Präsident Barack Obama wurden die schmutzigen Kriege zu einem globalen Tötungsprogramm in über 70 Ländern ausgeweitet.

Entführen, Foltern und Kriegen ohne Kontrolle

Dazu kommen weitere Kriegsverbrechen, die die Vereinigten Staaten im sogenannten "Krieg gegen den Terror" begangen haben. So folterten US-Streitkräfte und die CIA Gefangene in Abu Ghraib und in anderen von den USA betriebenen Gefängnissen im Irak. Das Gleiche ist dokumentiert für den Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan.

Zudem betrieben die Vereinigten Staaten geheime CIA-Gefängnisse, sogenannte "black sites", an verschiedenen Standorten wie z. B. im Kosovo, in Litauen, Polen, Rumänien und Thailand, wo sie Gefangene rechtswidrig einsperrten und folterten.

Im Jahr 2011 führten die USA schließlich die Nato-Militäroperationen gegen Libyen an, bei denen Hunderte Menschen starben. Obwohl der US-Kongress den Krieg nicht genehmigte, setzte ihn der damalige US-Präsident Barack Obama fort. Insgesamt hat der US-Kongress seit 2002 keinem Krieg mehr grünes Licht gegeben, trotzdem befinden sich die USA weiter in kriegerischen Operationen und Kriegen in vielen Ländern.

Gerichte weisen Klagen ab

Nach einem im November letzten Jahres veröffentlichten Bericht des Costs of War Project am Watson Institute for International and Public Affairs der Brown University, hat das US-Militär seit 2021, also in den drei Jahren unter US-Präsident Joe Biden, in mindestens 78 Ländern Operationen zur Terrorismusbekämpfung durchgeführt. Darunter fallen auch Ausbildung und Unterstützungsleistungen, Militärübungen, Kampfhandlungen und Inhaftierungen sowie Luft- und Drohnenangriffe.

Wie die geleakten Drone Papers zeigen, ordnen US-Präsidenten weiter außergerichtliche Tötungen an, jenseits jeglicher demokratischen Kontrolle. Vor allem die sogenannten "signature strikes", durchgeführt mit einem Arsenal von 11.000 Drohnen – bei denen Menschen, deren Identität nicht bekannt ist, allein deswegen ins Visier genommen werden, weil ihre Verhalten auffällig erscheint –, sind außerhalb jeglicher Legitimität und Legalität, also schwere Verbrechen.

Versuche, die USA und die politisch Verantwortlichen bis hinauf zum US-Präsidenten für ihre kriminellen Taten zur Rechenschaft zu ziehen, sind bisher gescheitert. Klagen gegen militärische und CIA-Operationen blieben an diversen gerichtlichen Hürden hängen.

Die US-Gerichte haben auch alle Fälle abgewiesen, bei denen es darum ging, dass US-Präsidenten ohne Genehmigung des US-Kongresses Kriege führten und Militäroperationen befehligten. Dabei verlangt die sogenannte "War Powers Resolution" in den USA gemäß dem ersten Verfassungsartikel, dass die Exekutive "den Kongress konsultiert, bevor sie die Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Feindseligkeiten einsetzt".

Der juristische Mülleimer

Auch die gezielten Exekutionen im Ausland per Drohnen-Fernbedienung, selbst wenn es sich bei den Opfern um US-Bürger wie Anwar al-Awlaki und seine Kinder im Jemen handelt, wurden von keinem Gericht in den USA auf seine Rechtmäßigkeit untersucht. Die gut dokumentierten Folterfälle führten ebenfalls nicht zu Strafprozessen. Eine interne Untersuchung über lediglich zwei Todesfälle wurde von Präsident Obama schnell für abgeschlossen erklärt, ohne dass Anklage erhoben wurde.

Demgegenüber wurde Gina Haspel, die nach Angaben der New York Times zusah, wie ein Gefangener in einem von ihr geleiteten CIA-Geheimgefängnis in Thailand einem "Verhör mit Zwangsmaßnahmen" und Waterboarding unterzogen wurde, später CIA-Direktorin unter der Trump-Regierung.

Auch Zivilklagen, die Opfer von US-Gewaltakten in den USA erhoben, verliefen meist im Sande, ohne dass irgendwelche Entschädigungen gezahlt wurden. Bei den wenigen Klagen außerhalb der Vereinigten Staaten intervenierte die US-Regierung mit diplomatischem Druck, sodass sie fallen gelassen wurden.

Eine internationale Gerichtsbarkeit über die Legalität von Kriegen erkennen die Vereinigten Staaten nicht an, noch würden sie sich einem Urteil beugen. Eine Untersuchung zu Foltervorwürfen in Afghanistan vom Internationalen Strafgerichtshof gegen US-Streitkräfte wurde von der Trump-Regierung mit Sanktionen gegen die Richter beantwortet. Seitdem ruht der Fall.

Was US-Präsidenten von internationalem Recht halten

Der Kampf der USA gegen jede internationale Rechenschaftspflicht für sich selbst ist nicht neu. So verurteilte der Internationale Gerichtshof (IGH) der UN – nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der Individuen auf die Anklagebank setzt – die Vereinigten Staaten in den 1980er-Jahren wegen ihrer "gesetzwidrigen Gewaltanwendung" in ihrem Terrorkrieg gegen das mittelamerikanische Land Nicaragua. Er forderte Washington zudem auf, Reparationen zu zahlen.

Die Antwort aus Washington: Die Regierung unter Präsident Ronald Reagan ignorierte den Gerichtshof und stoppte eine Resolution des UN-Sicherheitsrats durch ihr Veto (wie auch vergleichbare Mahnungen der Generalversammlung), dass alle Staaten aufforderte, internationales Recht zu befolgen. 1986 zogen sich die USA aufgrund der Verurteilung aus der Gerichtsbarkeit des IGH zurück, während sie den Krieg eskalierten.

Abgesehen vom russischen Präsidenten Wladimir Putin sind 31 andere Fälle vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht worden. Es handelt sich dabei ausschließlich um Vertreter aus afrikanischen Staaten. US-Präsidenten sind gegen derartige Verfolgungen (bisher) immun.

Jetzt könnte gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu als erstem westorientierten Staatschef wegen des Gaza-Kriegs ein IStGH-Haftbefehl ausgestellt werden. Der Chefankläger Karim Khan hat jedenfalls einen Antrag dafür gestellt, was die US-Regierung mit scharfen Worten verurteilte.

Die Unbelangbaren: Kommt die Wende?

Die Immunität der US-Präsidenten, ihre königliche Allmacht, hat die internationale Staatengemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten also wieder und wieder zu spüren bekommen. Auf der Weltbühne weiß man seit geraumer Zeit, dass die USA juristisch unbelangbar sind. Jetzt ist diese Immunität durch das Verdikt des von Trump mit konservativen und extremen Richtern besetzten Supreme Courts in die Vereinigten Staaten reimportiert worden.

Das hat allgemeine Unruhe erzeugt, jedenfalls im nichtrepublikanischen Lager. US-Präsident Biden hat angekündigt, eine grundlegende Reform des Obersten Gerichtshofs zu prüfen, inklusive einer Begrenzung der Amtszeit der Richter:innen. Ebenfalls erwägt er, eine Verfassungsänderung zu unterstützen, die die vom Gericht eingeführte Immunität beseitigen würde. Dafür bräuchte es aber eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Kongresses.

Eine solche Reform und die Rücknahme des Urteils, so notwendig das wäre, reichen aber nicht. Denn es ist für eine Demokratie und einen Rechtsstaat insgesamt nicht tolerierbar, dass Staatspräsidenten über dem Gesetz stehen und sich für Verbrechen nicht verantworten müssen. Das sollte nicht nur für Taten im Inland, sondern auch im Ausland gelten.

Daher sollte auch die Immunität gegenüber internationaler Strafverfolgung aufgegeben und der US-Kongress in den Stand versetzt werden, seine verfassungsgemäße Aufgabe auszuüben, militärische Operationen politisch zu beaufsichtigen und zu sanktionieren. Das wäre ein erster Schritt, die Machtherrlichkeit des Weißen Hauses einzuschränken.

Vielleicht ist die extremistische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Fall Trump vs. United States als eine Art Schock geeignet dafür, ein generelles Nachdenken zu initiieren über die globale Allmacht des US-Präsidenten, seine Immunität und die fatalen Folgen, die das für die Welt hat – um daraus Konsequenzen zu ziehen.