Impfpflicht und Impfung für Jugendliche: Es wird giftig

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Söder bezeichnet Stiko als amateurhaft, Holetschek will für "professionelle Unterstützung" sorgen. Auseinandersetzung über Impfpflicht spitzt sich europaweit zu. In Frankreich radikalisieren sich die Impfgegner

Eine aktuelle Studie in Frankreich bestätigt, dass Geimpfte besser vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt sind. Das treffe auch auf die Delta-Variante zu, so die mit Einschätzungen von Statistiken betrauten Wissenschaftler, deren Forschungsabteilung (Drees) an das Gesundheitsministerium angeschlossen ist.

Grundlage ihrer Auswertung sind 2.120 positive PCR-Tests, die im Zeitraum von 28. Juni bis 4. Juli als täglicher Durchschnitt angegeben werden. Ergebnis: Etwa 80 Prozent - in absoluten Zahlen ungefähr 1.700 - der täglichen positiven Testergebnisse betrafen Ungeimpfte. Die vollständig geimpften Personen machen nur 6 Prozent aus. Diejenigen unter ihnen, die erklärten, dass sie Symptome haben, machen 4 Prozent aus. (Drei Prozent der Fälle betreffen Personen, die eine Impfdosis vor weniger als 14 Tagen erhalten hatten. Diejenigen, die vor mehr als 14 Tagen zum ersten Mal geimpft worden waren oder ihre zweite Dosis vor weniger als sieben Tagen erhalten haben, und unter "effektive Erstdosis" kategorisiert wurden, machten 11 Prozent der positiv Getesteten aus.)

Besonders wurde darauf geachtet, wie sich der Impfschutz gegenüber der Delta-Variante verhält. Laut Angaben der Drees-Forscher lag hier der Anteil der positiv Getesteten unter den Zweifach-Geimpften bei 5,5 Prozent. Dieser Anteil sinke auf 4,7 Prozent bei symptomatischen Fällen.

Dieses Ergebnis macht heute die Runde in französischen Medien. Offenbleibt, wie überzeugend es für Impfmüde, Impfskeptiker und Impfgegner ist. Zwar verzeichnet die Buchungsplattform Doctolib noch immer eine größere Zahl von Anmeldungen für eine Impfung: 432.000 hätten sich am 14. Juli angemeldet, was für einen Feiertag eine tolle Zahl sei. Doch zeigte der Nationalfeiertag auch eine ganze Menge von Demonstranten in verschiedenen Städten gegen den Gesundheitspass protestierten.

Proteste

Wie groß der Anteil der Impf-Gegner unter den Protestierern (es ging auch gegen Reformen Macrons bei der Arbeitslosenversicherung und der Rente) ist, wie ihr politischer Einfluss abzuschätzen ist, wird sich erst noch zeigen. Geht es nach Äußerungen und Proklamationen, die in sozialen Netzwerken zu lesen waren, protestierten auch Geimpfte gegen die Erweiterung des Gesundheitspasses.

Sie wenden sich gegen den Zwang zum Impfen, den diese Maßnahme begleitet. Auffällig war aber auch, dass sich das Bild der Gelbwesten verändert. Unter ihnen finden sich nun, wie es Plakate und Äußerungen erkennen lassen, viele radikale Impfgegner, die teilweise auf sehr bizarre weltanschauliche Erklärungen zurückgreifen. An dieser Stelle wird in Kürze genauer auf das Phänomen eingegangen.

Geht es ums Impfen und den Wettlauf gegen die sich rasch verbreitende Delta-Variante, die die Infektionszahlen wieder hochschnellen lässt, so zeigt der Umgang miteinander, dass die Nerven wieder einmal blank liegen und Lagerbildungen und Polarisierungen verstärkt werden.

An der Aufladung wirken, wie sich in Deutschland zeigt, nicht nur radikalisierte Ränder mit, sondern auch Politiker.

"Wir schätzen die Stiko, aber das ist eine ehrenamtliche Organisation", sagte Söder am Mittwochabend dem BR-Politikmagazin "Kontrovers". "Die EMA - die Europäische Zulassungsbehörde - das sind die Profis. Die haben entschieden: Ja, der Impfstoff ist zugelassen. Kinder- und Jugendärzte, überwiegend jedenfalls, empfehlen die Impfung." Söder fordert von der Impfkommission schon seit Tagen, ihre Haltung zur Impfung von 12- bis 17-Jährigen zu überdenken.

BR

Das trägt zur Demontage der Ständigen Impfkommission bei, die für den Wahlkampf eingespannt wird. Söder, der neulich noch Kanzler werden wollte, zeigt damit, dass in ihm noch sehr der wadlbeißende CSU-Generalsekretär von ehedem steckt und wie er mit Institutionen umgeht, die sich nicht seinem politischen Willen fügen wollen. Dabei heißt es doch immer, dass zu einer gesunden Demokratie gehört, dass den Institutionen Respekt entgegengebracht werde.

Die Mitglieder der Stiko als Amateure zu bezeichnen, ist auf mehreren Ebenen giftig (zum Beispiel was ehrenamtliche Tätigkeit anbelangt) und unangebracht. Wie der BR, der in der Sache seiner Aufgabe, regierungsunabhängig zu berichten, gut nachkommt, aufzählt, arbeiten die Mitglieder der Stiko in Positionen, die eng mit ihrer Aufgabe zu Einschätzungen und Empfehlungen zu Impfungen verknüpft sind. Auf die Unterscheidung zwischen "zulassen und empfehlen" legt der CSU-Chef offenbar auch keinen Wert, wie er auch andere Argumentationen nicht zur Kenntnis nimmt.

Sein Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er wie heute bekannt wurde, die Gründung einer Bundesgesundheitsbehörde nahelegt. Die Stiko brauche "professionelle Unterstützung".

Die Verantwortung liegt bei den Erwachsenen

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, verteidigte sich gestern in einer Talkshow. Es sei nicht so, "dass man die Schulen zumachen muss, wenn man nicht alle impft".

Wer so argumentiere, leite Eltern in die Irre, so Mertens. Er gab zu bedenken:

"Wir haben neun Millionen Kinder, die unter zwölf Jahre alt sind. Die können wir ohnehin nicht impfen, weil es keinen zugelassenen Impfstoff gibt. Von daher ist es auch da problematisch zu sagen: Wir müssen alle impfen. Weil man das nicht kann."

Mertens sieht die Verantwortung bei den Erwachsenen. Es sei zwar mit einer höheren Zahl von Infektionen und "auch etwas mehr Todesfällen" zu rechnen, wenn Kinder und Jugendliche nicht geimpft würden. Aber dies gelte nur, "wenn gleichzeitig die Erwachsenen nicht durchgeimpft" seien. Seiner Auffassung nach gebe es mit einer 75-prozentigen Durchimpfungsrate die Chance, die nächste Welle abzuflachen.