Importsubstitution in Russland: Der lange Weg zur Unabhängigkeit
Infolge der Sanktionen setzt Russland verstärkt auf eine Politik der Importsubstitution. Trotz hoher Wirtschaftskraft bleibt jedoch die Abhängigkeit hoch. Eine Analyse.
In der russischen Politik und Gesellschaft herrscht derzeit eine Debatte über die Politik der Zentralbank, welche die gegenwärtig hohe Inflation des Rubels (Telepolis berichtete) mit einer Hochzinspolitik zu bekämpfen versucht.
Wegen der daraus resultierenden hohen Kreditlast fürchtet die Industrie Produktionsschwierigkeiten bei gleichzeitig hoher Verbrauchernachfrage. Indessen haben die Folgen der Sanktionen, allen voran die Blockade des Zugangs zu westlichen Märkten, die Importabhängigkeit der russischen Wirtschaft noch einmal verdeutlicht.
Folgen der Sanktionen
Im Fokus der vornehmlich von westlichen Ländern verhängten Sanktionen gegen die Russische Föderation stehen deren Energiesektor, eine ganze Reihe von Finanzinstituten sowie weitere Schlüsselindustrien des Landes und der Agrarsektor.
Durch das Importverbot für russisches Erdöl (sowie den zusätzlichen Preisdeckel von 60 US-Dollar pro Barrel) sind ein wichtiger Exportmarkt sowie die daraus gewonnen Deviseneinnahmen weggebrochen.
Die Belieferung über Drittländer oder die Änderung der Handelswege, beispielsweise in Staaten wie Indien und China, wirkt dem zwar entgegen, kann jedoch die Deviseneinnahmen aus westlichen Währungen nicht ersetzen.
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Zusammen mit dem (sanktionsbedingt) versperrten Zugang zu Waren aus dem Bereich der Hochtechnologie, ergeben sich daraus Probleme bei der Beschaffung benötigter Importgüter. Dies betrifft etwa den Bereich der Elektronik, die Automobilindustrie, die zivile Luftfahrt oder die Kunststoff- und Gummiproduktion.
Daher wird seit den Sanktionen von 2014 im Zuge der Krim-Krise und besonders nach den Sanktionen von 2022 infolge des Ukraine-Krieges aktiver über die Reduzierung der Importe nachgedacht.
Konzepte einer sogenannten Importsubstitution zielen darauf ab, die Abhängigkeit von Importen zu verringern, sie mit heimischen Produkten zu ersetzen und so die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dazu sind in den letzten Jahren verschiedene Regierungsprogramme auf den Weg gebracht worden.
Qualitative statt quantitative Abhängigkeit
In dieser Hinsicht hat Russland bislang einiges erreicht: Über die Gewährleistung der eigenen Ernährungssouveränität hinaus ist es zu einem der größten Agrarexporteure der Welt aufgestiegen.
Im Vergleich zu anderen hoch entwickelten Ländern ist die russische Importabhängigkeit insgesamt nicht allzu hoch. Der Anteil der Direktimporte am russischen Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2023 etwa 19 Prozent gegenüber 20,6 Prozent im Jahr 2021 vor den neuen Sanktionen.
Der Prozess der Substitution von Importen vollzieht sich auf langfristige Sicht. Nach dem Rückzug vieler westlicher Unternehmen vom russischen Markt haben vielfach heimische Unternehmen die vakanten Produktionsbereiche übernommen.
Sie kauften mit Unterstützung von Behörden und Regierung die Vermögenswerte ("Assets") der abziehenden Unternehmen auf, beschafften sich entsprechende Anlagen und errichteten neue Produktionsstandorte.
Die geschah beispielsweise im Bereich der elektrotechnischen Industrie, wobei sich vielfach herausstellte, dass auch die Arbeitskräfte ausreichend qualifiziert waren, die neuen Aufgaben zu bewältigen.
Doch sollte die Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von Importen nicht quantitativ, sondern qualitativ betrachtet werden. So könnte der Wegfall nur einiger weniger kritischer Komponenten dazu führen, dass ganze Industriesparten zum Erliegen kommen oder gar die nationale Sicherheit in Gefahr gerät.
Dies wird bei der Betrachtung des Charakters des Außenhandels deutlich. So finden sich auf der Exportseite der Russischen Föderation allen voran Erdöl, Erdölprodukte, Erdgas sowie Maschinen und Anlagen, aber auch Dünger und Getreide.
Diesen stehen auf der Importseite elektrische Geräte inklusive Computer, Fahrzeuge, pharmazeutische Produkte sowie Plastik und technische Anlagen gegenüber.
Die Abhängigkeit der russischen Wirtschaft vom Erdölexport ist enorm, was sie zusätzlich anfällig für Ölpreisschwankungen macht.
Was den Bereich der Hochtechnologie betrifft, fehlen schlicht Anlagen zur Eigenproduktion, welche sich schon ohne Sanktionslast nicht einfach aufbauen lassen. Zudem bedarf es hochentwickelter Arbeitskräfte, welche häufig gemäß attraktiverer Arbeitsbedingungen und höherer Gehälter in industrielle Kernländer abwandern.
Jammern auf hohem Niveau
Zu bedenken bleibt bei alldem, dass diese Herausforderungen allgemein bestehen. In der modernen verflochtenen Weltwirtschaft ist es im Bereich der Hochtechnologie für kaum ein Land möglich, alle benötigten Güter umfänglich in eigener Produktion herzustellen.
Ferner haben sich für einige Produkte (wie zum Beispiel Prozessoren) Unternehmen aufgrund der Komplexität der Herstellung der Ware, aber auch der Rentabilität monopolartige Stellungen aufgebaut.
Somit sind einer umfänglichen Importsubstitution einige Grenzen gesetzt. Dennoch kann eine solche Politik konsequent verfolgt werden. Mit Blick auf die Russische Föderation sollte zusätzlich betont werden, dass man sich bei dem hier angesprochenen Sachverhalt immer noch bei Jammern auf hohem Niveau befindet.
Im Jahr 2024 nimmt die russische Volkswirtschaft gemessen am Bruttoinlandsprodukt Platz acht in der Rangliste der weltweit stärksten Ökonomien ein; hinter Großbritannien und Frankreich sowie vor Kanada und Italien.