In Auschwitz wurde niemand vergast

Pädagogische Ansätze zur Vergangenheitsbewältigung

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Rechtsradikale Phrasen sind schnell und einfach ausgesprochen und lassen sich propagandistisch einsetzen, um einen politischen Gegner ins Abseits zu drängen. Antworten auf revisionistische Propaganda zu finden, ist nicht immer leicht, zumal oft keine intellektuelle Auseinandersetzung möglich ist. Um dennoch den Lügen ein Ende zu bereiten und einen Gegenbeweis anzutreten, hat der Autor Markus Tiedemann in seinem Buch In Auschwitz wurde niemand vergast - 60 rechtsradikale Lügen und wie man sie widerlegt historische Quellen zusammengetragen.

"Erinnern heißt wachsam bleiben" von Uwe Neirich bietet einen methodischen und didaktischen Ansatz, um Jugendliche für die Vergangenheit zu sensibilisieren und auf einen Gedenkstättenbesuch vorzubereiten. Ausgestattet mit diesen beiden Arbeitsmaterialien bleibt das Erinnern an die Vergangenheit (siehe auch Erinnern für Gegenwart und Zukunft) vielleicht nicht nur eine intellektuelle Herausforderung.

Für die pädagogische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart gibt es kaum geeignete Informationsmaterialien. Entweder beschäftigen sie sich hoch wissenschaftlich mit der Problematik rechtsradikaler Propaganda und sind deshalb für den pädagogischen Alltag nicht einsetzbar, oder sie erwähnen nur sekundär eine Widerlegung der vertretenen Phrasen. Der Autor Martin Tiedemann hat sich in Gesprächen mit rechtsdenkenden Jugendlichen auseinander gesetzt und dabei festgestellt, dass die Unwissenheit der Jugendlichen über die Zeit des Nationalsozialismus erschreckend hoch ist.

Ihm fiel besonders auf, dass die Jugendlichen mangels besserer Kenntnis "keinerlei Immunität gegenüber revisionistischer Propaganda" besitzen. Dagegen erstaunte es ihn, wie hoch das Ausmaß und die Professionalität ist, mit der die NS-Kreise auf Jugendliche einwirken. Anlass für das Buch war die Erfahrung, entsprechende Antworten auf revisionistische Schriften nicht geben zu können. Er sah sich "trotz Geschichtsstudium mit Schwerpunkt auf die Zeit des Nationalsozialismus nicht in der Lage, die Pseudowissenschaftlichkeit eines Remer-Reports ad hoc zu widerlegen". Tiedemann betrachtet sein Buch auch unter dem Aspekt, den Jugendlichen Antworten zu geben, um klare Grenzen und Konturen aufzuzeigen, damit sie nicht aus Unwissenheit oder Instabilität in rechte Kreise geraten.

60 rechtsradikale Lügen widerlegt

Stereotypen und eingefleischten Vorurteilsbildern begegnet Tiedemann in neun Themenfeldern: Person Hitlers, NSDAP, Wehrmacht, Kriegsgegner, Euthanasie, Holocaust, erfundenes Beweismaterial, professioneller Revisionismus und deutsche Bevölkerung.

Ein paar Beispiele:

"Die sowjetischen Gulags weisen keinerlei Unterschiede zu den deutschen KZs auf und belegen somit, dass die deutschen Verbrechen nicht einmalig waren."

Diese Aussage gehört zu den Grundmustern fast jeder Kriegspropaganda: Schlimmer sind immer die Anderen. Dennoch muss man festhalten, dass in den Gulags keine systematische Vernichtung betrieben wurde. Es gibt auch keinerlei Belege, dass es dort Gaskammern gab. Der Autor macht zugleich deutlich, dass "die menschenverachtende Lagerpolitik der UdSSR als ein Teil Stalinistischen Terrors schärfstens zu verurteilen ist, aber sie kann weder mit dem Holocaust verglichen werden, noch ihn in irgendeiner Weise relativieren."

"In den KZs, in denen es keine Gaskammern gab, wurde auch nicht gemordet."
Oft wird diese Behauptung mit der Begründung aufgestellt, dass die Morde zu Lasten einiger weniger Lagerkommandanten gehen. Aber die Deutschen haben zum Beispiel akribisch Buch über 1.100 Todesurteile durch Erhängen geführt. Neben einem Foto von Leichen in einem Güterwagen steht folgender Text: "Bei der Befreiung Dachaus am 30. April 1945 fanden die Soldaten der amerikanischen 7. Armee 50 Güterwagen mit Hunderten aufeinander geschichteter Leichen der Häftlinge anderer, schon geräumter Lager."

"Bei 6 Millionen Arbeitslosen ist es natürlich, wenn ein Volk zu einer radikalen Partei tendiert."
In Abwandlung existiert diese Annahme heute immer noch, wie sonst konnte man bei den Wahlergebnissen mit hohen rechtsradikalen Stimmenanteilen annehmen, dass es sich um Protestwähler handeln würde. Tatsache ist aber, dass auch andere Länder mit der Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatten und dennoch demokratische Staatsformen beibehielten.

Schon Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff stellte 1997 fest: "[...] ein ungewöhnlich wichtiges Buch, das jeder Lehrer zur Hand haben sollte." Nicht umsonst wurde es mit dem Goethe Verlagspreis ausgezeichnet. Die rechtsradikalen Lügen werden ausführlich behandelt, oft nimmt sich der Autor zurück und lässt die entsprechenden Quellen wirken. Das Buch macht jedoch deutlich, dass alle rechten Thesen und Behauptungen mit einem einfachen Satz auskommen, um ein Lügengebilde aufzubauen. Die Antworten dagegen brauchen manchmal viele Seiten. Selbst wenn man in der Lage ist, diese zuzuspitzen und entsprechend zu verkürzen, hört leider kaum ein rechtsdenkender Jugendlicher so lange zu. Allein deshalb kann man in den Schulen mit der Aufklärungsarbeit nie früh genug anfangen. Das Buch begegnet der Hilflosigkeit bei den Gegenargumenten und dient der alltäglichen Auseinandersetzung.

Erinnern heißt wachsam bleiben

Zur aktiven Auseinandersetzung über die Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust trägt die Arbeit in und mit den Gedenkstätten bei. Das gleichnamige Buch Erinnern heißt wachsam bleiben von Uwe Neirich bietet jedem Pädagogen reichlich Hinweise, wie man ein derartiges Projekt am besten theoretisch und praktisch vorbereitet.

Gleichzeitig bietet es einige erprobte Projekte (PDF-Datei) aus dem Gedenkstättenbereich und besitzt ein umfangreiches Verzeichnis von NS-Gedenkstätten in Deutschland sowie einigen europäischen Nachbarländern. Neirich gibt einen Überblick über die Kollektivschuldthese und stellt dar, wie sensibel die Deutschen immer noch reagieren. Die zur Zeit laufenden Diskussionen über den Stolz eines Deutschen zeigen, dass auch nach den Vorwürfen Goldhagens, der in den Deutschen Hitlers willige Vollstrecker sah, eine nur sehr unvollständige Aufarbeitung der NS-Zeit stattgefunden hat. Es ist heute sogar möglich, einem Bundespräsidenten zu unterstellen, es fehle ihm an Patriotismus, nur weil er sich nicht offen zum Stolz bekennen wollte.

Am liebsten würden die Deutschen die Holocaust-Geschehnisse vergessen oder versuchen es zumindest immer, sie wieder zu verdrängen. Schindlers Liste und andere Fernsehproduktionen schafften es, dass sich Millionen von Menschen mit dem Thema auseinander setzten. Die Holocaustserie in den dritten Programmen erreichte 20 Millionen Zuschauer. Der Autor vermutet, dass das Stilmittel "Film" die Zuschauer eher zu einer stärkeren Identifizierung mit den Opfern führte.

Der zweite Teil des Buches zeigt Möglichkeiten und Methoden einer Gedenkstättenpädagogik. Der Autor geht auch auf die Befindlichkeit der Jugendlichen ein und erörtert unter anderem die Aussage: "Auschwitz: Ich kann es nicht mehr hören." Im Kern kommen drei Begründungen für diese Aussage. "1. Die Verantwortung für diesen Teil deutscher Geschichte wird abgelehnt, weil dieser nicht als persönliche Schuld empfunden wird. 2. Die Jugendlichen verweisen auf die Verbrechen und Ungereimtheiten in anderen Ländern, die sie anscheinend viel eher bewegen. 3. Es wird gefragt, warum nicht die aktuellen, sozialen und gesellschaftlichen Probleme gelöst werden, dies wäre wichtiger als die Auseinandersetzung mit der Geschichte."

Den ersten Punkt hält der Autor für gefährlich, denn die Schuldzuweisung entwickelt sich schon wieder zur Legendenbildung und es muss geklärt werden, woher die Schüler diese Meinung nehmen. Aus diesem Grund soll die Gedenkstättenarbeit auch frei von Moralisierungen und Schuldvorwürfen sein.

Im weiteren Verlauf des Buches stellt der Autor elf recht unterschiedliche Methoden zur Gedenkstättenarbeit vor. Diese werden ausführlich geschildert und beinhalten neben den Lernzielen auch den Zeitaufwand für die jeweiligen Einheiten. Selbst auf die möglichen Stolpersteine wird aufmerksam gemacht. Zu den Vorbereitungen gehört es, sich auch mit kritischen Fragen zu befassen, wie "Warum muss man so einen schrecklichen Ort besuchen, ist das nicht eine Überforderung der Jugendlichen?" oder "Ist der Besuch von KZ-Gedenkstätten nicht eher 'Grusel-Tourismus'?".

Beide Bücher bieten eine konkrete Handlungsbasis und ermöglichen so einen zeitgemäßen Umgang mit dem Rechtsextremismus. Im Juni 2001 veröffentlicht der Verlag an der Ruhr ein weiteres Buch gegen rechtsradikale Propaganda unter dem Titel "Ausländer nehmen uns die Arbeitplätze weg". Auch dieses Buch will Argumentationshilfen gegen das Gemeingut an Stammtischen bieten.

Weiterführende Links finden sich bei der Stiftung Topographie des Terrors.