In der Gegenwart angekommen

Ein Gespräch mit dem SF-Autor und Cybergrünen Bruce Sterling

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Der SF-Autor und erklärte "Cybergrüne" Bruce Sterling über die RAF, Joschka Fischers Rolle als Außenminister, die Freiheit, die eine Revolution einem beschert, die militärischen Konsequenzen des Treibhauseffektes, den blinden Fleck, den jede Ideologie aufweist, die ganz gewöhnlichen Probleme des grünen Lebensstils, die Entwicklung der Zeitschrift WIRED, sein neues Buch "Zeitgeist", die Leichtigkeit des Nicht-Daseins und seinen toten Großvater.

Was?!, durchfährt es mich, mit dem sollen wir reden, den sollen wir interviewen?! Auf der Bühne steht, immer wieder lässig auf das Stehpult aufgestützt, ein äußerst kompaktes Stück Mann. Vielleicht etwas zu klein und zu füllig geraten, irgendwie massiv und geschlossen, vielleicht auch durch die schwarze Lederjacke, in die er da eingepackt ist und die fast randlose Brille hinter der seine brauen Knopfaugen wild hin und her springen.

Mit einer unglaublichen Präzision, in breitestem Texanisch, scheinbar ohne die geringste Gefühlsregung und ohne Rücksicht auf die Reaktionen des Publikums, ohne Punkt, Strich oder Komma schmettert da Bruce Sterling, der Science-Fiction-Autor und Journalist, seine Worte ins Publikum. "Lightness is that which is slight, sparce, scant, and airy; which is minimal and etheral. As opposed to that which is ponderous, earthy, weighty, hefty, dense, and onerous. Ascetics are..."

Nach 60 Sekunden ist ein Großteil der Zuhörer ausgestiegen, nach 90 Sekunden sind wir so platt, dass wir nur noch die Pointen mitkriegen und nach 180 haben wir es aufgegeben - um hier zu folgen, müsste man nicht nur Amerikaner, sondern Texaner aus Austin, Texas, sein. Nur gut, dass es den Vortrag nochmals auf Papier geben wird, irgendwann. Doch wir wollen heute, spätestens morgen mit Sterling sprechen, deshalb reimen wir uns - zu dritt - nach seinem Vortrag so ungefähr zusammen, was er da in gut 20 Minuten runtergedroschen hat. Der Rest ist fast ein Kinderspiel.

Klar, sagt er, er würde sofort mit uns sprechen, aber auch später, es sei ihm egal. Tja, wenn wir einen ruhigen Raum wollten, müssten wir uns darum schon selbst kümmern, nein, rausgehen wollte er nicht, es würde regnen und er wolle die anderen Vorträge hören, aber morgen um eins sei es ihm recht, in der Mittagspause, sozusagen. Den, dämmert es mir, kriegen wir nicht. Der redet zwar mit uns, aber zu fassen, einen richtigen Draht zu ihm, den kriegen wir nicht. Unverhofft kommt jedoch oft.

Im Gespräch überrascht uns Bruce Sterling dann mit einer für Amerikaner wirklich verblüffenden Offenheit und Direktheit - er nimmt kein Blatt vor den Mund und schreckt vor keinem Tabu zurück, ganz im Gegenteil. Und er entpuppt sich - wen wunder's - als begnadeter Szenarist. Allein der Funke einer Idee bringt ihn aus dem Stehgreif dazu, ein komplexes und doch vorstellbares Szenarium zu entwerfen - detailverliebt bis zum Abwinken ("Ha-ha-ha!") und verblüffend in den Ausschmückungen. Wenn er Luft holt oder eine Sekunde zögert, pressen wir unsere Fragen zwischen seinen unablässigen Redefluss und wir sind schon zu dritt! Als er schließlich nach einer Stunde aufsteht und beinahe grußlos davon trippelt, meint er lapidar, jetzt hätten wir wohl eine ganze Menge Zeugs zu verdauen. Haben wir ihn doch nicht zu fassen bekommen?

Schließlich schütteln wir ihm noch die Hand, bedanken und wundern uns gleichzeitig über soviel Ignoranz - oder ist es doch Modernität? Vielleicht einfach nur die gesunde Arbeitshaltung eines Vielbeschäftigten, Ewigausgefragten? Egal, wir werden in Ruhe das Band abhören, alles in eine Form bringen und später auf den Fotos entdecken, dass sein Doppelkinn auf alle Fälle einmalig ist!

Facts & Figures: Bruce Sterling

Bruce Sterling ist kein Mensch, der ein Blatt vor den Mund. Weder in seinen Artikeln, Kurzgeschichten, Büchern noch im persönlichen Gespräch. Dafür wird er gehasst und geliebt, missverstanden und geradezu abgöttisch verehrt. Ganz sicher ist der Science-Fiction Autor und Journalist, der am 14. April 1954 in Brownsville, Texas, geboren wurde, eines: eine streitbare Persönlichkeit.

Sterling studierte in Austin, Texas, wo er heute noch lebt, Journalismus und entwickelt 1977, aufgrund einer Anregung, aus einer Kurzgeschichte seinen ersten Science-Fiction Roman "Involution Ocean"/"Staubozean". Ganz ähnlich wie William Gibson, dem zweiten großen Kopf des "Cyberpunk"-Genres, reiste auch Sterling durch Europa - allerdings viel länger, fast zweieinhalb Jahre. Doch genau wie Gibson kam er total abgebrannt nach Hause. 1980 legte Sterling sein zweites Buch "Artificial Kid"/"Video Kid" vor. Der Held des Buches ist ein Gladiatorenkämpfer der modernen Mediengesellschaft, die, gesteuert über die Einschaltquote, über seine Existenz entscheidet.

Der große Wurf und gleichzeitig der internationale Durchbruch gelang Sterling allerdings erst 1985 mit "Schismatrix". Der Roman spielt in der fernen Zukunft, die Menschheit bevölkert das gesamte Sonnensystem und hat sich in zwei verfeindete Lager, die eher technokratischen, cyborgähnlichen "Mechanisten" und die genetisch entworfenen und veränderten "Gestalter" aufgespalten. Der Protagonist, der unter "gestalterischen" Gesichtspunkten erzogene Abelard Lindsay, wird über 300 Jahre alt und durchläuft, auf verschiedenen Planeten und in verschiedenen Funktionen, ganz unterschiedliche Leben. Dabei muss Lindsay sich, um zu überleben, immer wieder radikal verändern und extremsten Lebensbedingungen anpassen. "Schismatrix" wird von zwei zentralen Themen dominiert: der Lebensverlängerung bzw. Posthumanität und der unentwegten Suche nach dem Sinn des Daseins.

Über 10 Jahre später, 1996, widmet er sich in "Holy Fire"/"Heiliges Feuer" noch einmal diesen beiden dominierenden Themen. 1986 legt er die Geschichtensammlung "Mirrorshades: The Cyberpunk Anthology" vor, 1988 folgt der Roman "Islands in the Net"/Inseln im Netz". Zusammen mit William Gibson verfasst er 1990 "The Difference Engine"/"Die Differenzmaschine", in der das viktorianische Zeitalter als prägendes Gesellschaftsmuster für den Science-Fiction Genre reanimiert wird. Mit dem Reportagenbuch "The Hacker Crackdown: Law and Disorder on the Electronic Frontier" erkundet Sterling bereits 1992 die Auswirkungen, die das langsam entstehende Internet auf die Polizei, die Justiz und die Hackergemeinde haben wird.

Im Frühjahr 1993 publiziert er in der ersten Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift WIRED die Geschichte "War is Virtual Hell". Es ist der erste bis ins Detail recherchierte Artikel über den "Cyber-War", den Krieg der (Des-) Informationen, der veröffentlicht wird. In "Heavy Weather"/"Schwere Wetter", 1994, thematisiert Sterling die weltweite Klimaerwärmung und entwirft 1998 in "Distraction" ein wirtschaftlich, politisch, kulturell und wissenschaftlich ruiniertes Amerika im Jahr 2044, auf dessen Straßen das Militär herrscht. Mit seinem neusten Roman, "Zeitgeist" (2000), ist er, wie er selbst sagt, in der Gegenwart angekommen.

Infos & Online-Ressourcen:

Sterlings Bücher erscheinen in Deutschland im Heyne Verlag, München, und Argument Verlag, Hamburg. Momentan sind ledglich "Schismatrix" in einer Neuübersetzung im Argument und "Heiliges Feuer" im Heyne Verlag lieferbar. Für den Juni 2001 ist "Brennendes Land", die sehr freie Eindeutschung von "Distraction" (Heyne) vorgesehen.

Mirrorshades (mit einer vollständigen Bibliografie seiner Werke und Links zu allen sonstigen Sterling Web-Seiten, u.a. dem Dead Media Projekt und dem Cyberpunk.

Der Bruce Sterling Online Index, bei dem sich auch der vollständige Text des Buches The Hacker Crackdown findet.

Zur 6. Doors of Perception-Konferenz in Amsterdam steuerte Sterling die Eröffnungsrede bei. Sein Text zum Thema "Lightness", der das durchaus widersprüchliche aber spannende Konzept der Viridians, der Cybergrünen, umreißt, gibt es hier.

Infos zur Long Now Foundation und zu Bodymedia.

Die Grünen des Cyberspace

Mr. Sterling, Sie sind hier in Amsterdam auf der Konferenz "Doors of Perception" als Vertreter der Online Community "Viridians" und haben zum Thema "Leichtigkeit" gesprochen. Können Sie uns in maximal 2, 3 Sätzen erklären, so dass das auch eine ganz unbedarfte Seele versteht, was ein Viridian denn nun ist?

Bruce Sterling: Oh, das ist ganz einfach, das kann ich ihn in 2 Worten sagen: "Virdian List". Gehen Sie einfach auf die Website, lesen Sie ein bisschen was, machen Sie mit und wenn Ihnen das zu anstrengend oder gar fremd ist, dann ist es sowieso nichts für Sie, dann gehören Sie nicht zur Zielgruppe.

Ginge es ein bisschen genauer?

Bruce Sterling: Klar. Wir sind die "Cybergreens", wenn Sie so wollen. Die Viridians sind die Grünen des Cyberspace, eben die Cybergrünen, ohne dass wir irgendetwas mit den richtigen Grünen zu tun hätten ...

Wie bitte?

Bruce Sterling: Wir versuchen da schon wieder grün zu sein, wo die normalen Grünen noch gar nicht sind. Den Rest dazu finden Sie, wie gesagt, im Web, auf der Viridians Site.

Ok. Probieren wir's mal so: In Ihrem Buch "Holy Fire", geht es um das Gegenteil Ihres toten Großvaters. Sie haben ihren toten Großvater, gestern, in Ihrem Vortrag, als Paradebeispiel für die "Leichtigkeit" präsentiert, weil er nämlich gerade dabei ist zu verwesen und sich selbst kompostiert ...

Bruce Sterling: ... ja, ein schönes Beispiel, für die "Leichtigkeit des Nicht-Daseins" - finden Sie nicht!? Das war natürlich ironisch gemeint ...

... Sie haben das aber sehr überzeugend erzählt, bis hin zu dem toten Buckminster Fuller, der ihrem Großvater bei der Kompostierung Gesellschaft leistet ...

Bruce Sterling: ... ich hab's auf die Spitze getrieben, damit's auch jeder versteht, auch die in der letzten Reihe!

Es ist nicht ganz einfach, 300 Jahre alt zu werden

Gut, kommen wir nochmals auf "Holy Fire". Da geht es um das Gegenteil dieser "Leichtigkeit", um Lebensverlängerung ...

Bruce Sterling: ... über die ich ja grundsätzlich schon sehr viel nachgedacht und geschrieben habe ...

... also Lebensverlängerung um jeden Preis, auch wenn es, wie bei ihrer Hauptfigur Mia/Maya in "Holy Fire", zum Verlust der Identität führt. Es geht aber auch ein bisschen um die berühmte 2. Chance, dann um geistig uralte Menschen, die in jungen Körpern wiedergeboren werden können. Ist das nicht alles ganz schön schwer für die Erde des Jahres 2099?

Bruce Sterling: Gut, dass Sie das ansprechen. Es gibt da nämlich ein grundsätzliches Problem mit diesen Lebensverlängerungsszenarien. Denn sie führen dazu, dass die Welt total vollgestopft ist - all diese Menschen! Klar, die haben Gewicht! In "Holy Fire" löse ich das Problem, indem es im Jahr 2030 eine große Katastrophe gibt, die die Mehrzahl der Menschen tötet. Grundsätzlich geht es in dem Buch um das, was nach dem Menschen kommt, die Posthumanität, wie ich es nenne. Darum geht es auch in "Schismatrix", meinem ersten Buch zu diesen Thema.

Ihr Protagonist dort, Abelard Lindsay, lebt über 300 Jahre in ganz verschiedenen Welten und Zusammenhängen ...

Bruce Sterling: ... das ist ja das Interessante daran. Da gab es kein Problem mit der Überbevölkerung! Lindsay lebt einfach die ganze Zeit über im gesamten Universum, muss sich immer wieder auf neue Lebenssituationen und -umstände einstellen und trotzdem muss er sich immer den gleichen Fragen stellen: Wer bin ich? Was mache ich hier? Um was geht es hier eigentlich und wie und für was entscheide ich mich jetzt?

Das sind die grundsätzlichen Lebensfragen, die sich immer wieder stellen ...

Bruce Sterling: ...ja, eben...

... aber auch rein körperlich ist es für Lindsay nicht einfach, mehr als 300 Jahre alt zu werden. Wir erinnern uns an so einen kleinen "Gesundheitsroboter", der ihn gegen Ende des Buches ständig begleitet. Ist so etwas überhaupt denkbar?

Bruce Sterling: Mir persönlich scheint das alles nicht so weit zu sein. Nehmt doch mal, das ist jetzt nur ein Beispiel, dieses Messgerät, das am Arm festgemacht wird und das die Leute von Bodymedia auf der Konferenz vorgestellt haben. Genau das geht schon in die Richtung. Es sammelt deine ganzen Daten, Körperwärme, Herzschlag, Blutdruck usw. usf. und es wird ja nicht so klobig bleiben, so auf den Arm geschnallt, wie es jetzt ist. Es wird wohl eher als kleines nanotechnologisches Gerät in deinen Körper implementiert werden und unbemerkt, rund um die Uhr, deine Messdaten sammeln. Ich glaube, diese Daten und Infos sinnvoll angewendet, können das Leben eines Benutzers wirklich verändern. Außerdem kann ich mir so viele Anwendungen für die Messdaten vorstellen, dass sie dich schon ganz nah an die Posthumanität heranführen.

Ankunft in der Gegenwart

Wie klappte eigentlich Ihre Zusammenarbeit mit Ihrem Kollegen William Gibson? Sie haben zusammen das Buch "The Difference Engine - Die Differenzmaschine" geschrieben, in dem sie das gesamte Szenarium in der Viktorianischen Gesellschaft ansiedelten. Das Buch unterscheidet sich radikal von allen anderen Büchern, die Sie oder Gibson geschrieben haben. Aber die viktorianische Gesellschaftsmetapher haben danach unzählige Science Fiction Schriftsteller aufgegriffen. Beispielsweise Neil Stephenson in "Diamant Age", auch wenn sein Buch ganz anders als Ihre oder William Gibsons Arbeiten ist.

Bruce Sterling: Der Begriff wurde offiziell erfunden als Ausdruck tatsächlich existierender "alternativer Geschichtsforschung", Science-Fiction-Schriftsteller machen so etwas. Mein neues Buch "Zeitgeist" macht etwas ähnliches, es führt etwas neues ein.....

... pardon, aber warum hat das Buch eigentlich einen deutschen Titel: "Zeitgeist"?

Bruce Sterling: Ich mochte einfach das Wort "Zeitgeist"...

... wieder so ein "eingeenglischtes" Wort ...

Bruce Sterling: ...ja, es ist sehr populär bei uns. Aber "Zeitgeist" passt auch gut zu dem Buch, da es - das erste Mal, dass ich so was mache - in der Gegenwart spielt. Nicht mehr in der Zukunft.

Das ist interessant: Momentan scheinen viele SF-Autoren in der Gegenwart angekommen zu sein. Unser letzter Gesprächspartner, William Gibson, äußerte sich ganz ähnlich. Sein neuestes Buch "All Tomorrow's Parties" spielt auch in Gegenwart ...

Bruce Sterling: ... das ist dann wohl ein Zeitphänomen!

Um was geht's in "Zeitgeist"?

Bruce Sterling: "Zeitgeist" - das ist voller Techno! Das Buch spielt in Istanbul und auf Zypern und ist eine Serie von mehreren Geschichten über den Helden. Der wiederum ist ein kleiner Gangster und internationaler Schmuggler namens Leggy Starlitz, den man vielleicht am besten einen "kleinbürgerlichen Kriminellen" nennen könnte. Er verfügt auch über übernatürliche Fähigkeiten. Er hat jede Menge interessanter Begegnungen, zum Beispiel trifft er auf Gangster, zwielichtige Gestalten, Paparazzis, aber auch auf ein ehemaliges Mitglied der "Baader-Meinhof-Bande", das ebenfalls über übernatürliche Kräfte verfügt. Es ist eine Welt von magischem Realismus wie bei Calvino oder Marquez, in der sehr ungewöhnliche Dinge passieren können, die sich nicht unbedingt rational erklären lassen.

Was mir an magischem Realismus so gefällt, ist, wie er Metaphern wörtlich nimmt und die Welt in einem besonderen Licht erscheinen lässt. Das habe ich noch nie in einem Techno-Thriller erlebt. Wenn man zum Beispiel eine Geschichte von Ian Flemming nimmt, dem Schreiber der James Bond Geschichten, die vorgibt, sehr "hard-boild", sehr männlich und faktisch zu sein, dann ist sie in Wahrheit sehr, sehr fantastisch. James Bond verliert niemals im Casino, fährt immer sehr gut Auto, wenn er schießt, trifft er immer zwischen die Augen, keine Frau kann ihm widerstehen - er ist also viel stärker eine Fantasy-Figur, eine Gestalt männlicher, heldenhafter Fantasie. "Zeitgeist" macht diese Fantasien sehr offenkundig, sie werden dekonstruiert und wörtlich in Fantasy verwandelt. "Zeitgeist" ist also ein Fantasy-Techno-Thriller, der Standard Techno-Thriller parodiert und übertreibt. Es ist kein Science-Fiction Roman mehr im herkömmlichen Sinn.

Hören Sie selbst Techno-Musik?

Bruce Sterling: Oh ja, klar, ich mag das Zeug schon. Ich bin zwar kein absoluter Hardcore-Fan, aber so ein paar Sachen finde ich ganz gut.

Sie sind auch als Journalist tätig. In der ersten Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift WIRED, im Frühjahr 1993, haben Sie die allererste Geschichte über den Cyber-War mit dem Titel "War is Virtual Hell" verfasst ...

Bruce Sterling: ... jeep, das wohl die erste, ja ...

... dann, im Lauf der Jahre, noch sieben oder acht große Geschichten, zum Beispiel über das Wüstenspektakel "Bruning Man", in WIRED nachgeliefert. Sie fühlen sich offensichtlich wohl darin, um die Welt zu reisen, Leute zu interviewen und Geschichten zu erzählen?

Bruce Sterling: Ja sicher, deshalb bin ich jetzt hier in Amsterdam. Ich bin gerne unterwegs und sammle Material.

Haben Sie dann eher einen journalistischen oder einen schriftstellerischen Hintergrund?

Bruce Sterling: Ich habe mal Journalismus studiert, aber den Fehler gemacht, einen Roman zu schreiben, während ich noch an der Uni war...

Na, dann war es wohl eher ein Versehen, wie bei William Gibson, dass Sie SF-Schriftsteller geworden sind?

Bruce Sterling: Das Versehen war eher, dass sich das Buch verkaufte. Es war kein besonders gutes Buch. Ich war gerade mal 20 Jahre alt und es war das Beste, was ich damals anzubieten hatte.

Sie sprechen von dem Roman "Involution Ocean - Staubozean"?

Bruce Sterling: Ja. Das war erst eine kleinere Geschichte, die ich dann zu einem Roman erweitert habe.

Wired ist tief gefallen

Wie alt sind Sie jetzt?

Bruce Sterling: Ich bin 46 Jahre alt.

Was sagen Sie zu der Entwicklung, die WIRED durchgemacht hat? Von so einem kleinen, integrem Magazin, das aus dem Herzen der digitalen Community kam, hin zu so etwas wie einer sagen wir mal "Techno-Vogue" für Besserverdienente vom Großverlag Condé Nast?

Bruce Sterling: Sie haben das sehr treffend beschrieben, ich könnt's nicht besser sagen.

Na, das wollten wir eigentlich von Ihnen hören!

Bruce Sterling: Aber ich bin über die gesamte Entwicklung auch nicht besonders traurig. Ich wäre traurig, wenn ich Louis Rossetto oder Jean Metcalfe wäre, die jetzt mit ihren 16 Millionen Dollar, ihrem hochherrschaftlichen Wohnsitz und ihren beiden hübschen Kindern klarkommen müssen! Ich denke, WIRED hat als Magazin gesiegt, es durchlief über sieben Jahre eine ziemlich gute Entwicklung und sorgte für eine wichtige soziale Umwandlung. Sie sagten bestimmte Veränderungen voraus, man glaubte ihnen nicht und dann wurden sie Wirklichkeit. Als Science-Fiction Schreiber kann ich sagen, wenn so etwas passiert, wenn man die Zukunft voraussagt und das dann zutrifft, dann ist das gut! Das ist nicht schlecht! Aber dann kann man nicht weiter Science Fiction schreiben, weil die Science Fiction zur Realität geworden ist. Man muss es dann ziehen lassen, es ist vorbei.

Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, WIRED ist tief gefallen. Aber inzwischen gibt es viele ähnliche Magazine, "Red Hering", "Fast Company", "Business 2.0", "Mute", "Art Byte", WIRED, viele Online-Magazine, die digitale Szene hat geblüht und das ist gut, das ist ein Zeichen von Sieg.

Moment mal, damit wie das jetzt richtig verstehen: Sie meinen also, das Magazin WIRED hat gesiegt, aber sein Erfinder, Louis Rossetto, wurde in die Wüste geschickt?

Bruce Sterling: Das ist wohl eine dieser grundsätzlichen Wahrheiten: Bei jedem großen Erfolg ist es sehr selten, dass der ursprüngliche Entrepreneur, der Erfinder, derselbe bleibt wie der tatsächliche CEO. Der Typ, der den Laden ins Laufen bringt, ist meist nicht der richtige, um den Laden dann auch zu schmeißen. Es ist wie bei einer Revolution: Keiner der Revolutionäre gibt einen wirklich guten Präsidenten ab.

Etwa so wie in Kuba?

Bruce Sterling: Ja, in Kuba können wir das sehr deutlich sehen. Wenn einer der Revolutionäre Präsident wird, geht's nicht weiter. Deshalb ist es im Moment auch nicht besonders aufregend in Kuba, auch wenn Fidel immer noch 6 Stunden am Stück reden kann, es passiert da nicht viel Neues, es bewegt sich nichts. Es macht keine Sinn zu rufen, wie revolutionär man ist, wenn es dann keine Bewegung mehr gibt und jeder grau und alt wird. Nicht der Moment auf der Barrikade ist wichtig, der ist meistens dramatisch, sondern die Konsequenzen der Freiheit, die man sich erkämpft, darum geht es in einer Revolution.

Wir sind nicht mehr am Anfang, wir sind schon mittendrin - und auf dem Weg zum Ende

Sie sprachen gerade über Revolutionen, in "Zeitgeist" taucht die "Rote Arme Fraktion" und die "Baader-Meinhof-Gruppe" auf... Haben Sie viel recherchiert und sich zum Beispiel mit anarchistischen Theorien oder dem Terrorismus beschäftigt?

Bruce Sterling: Ich habe viel darüber gelesen. Ich habe lange als Kriminalreporter gearbeitet und das Buch "Hacker Crackdown" geschrieben, in dem es um elektronische Verbrechen geht, Yippies und radikale Yippies. Ich kenne Gerd Lovink, von der digitalen Stadt Amsterdam, der hat natürlich nichts mit "Baader-Meinhof" zu tun, aber er war ein holländischer Hausbesetzer. Und ich kenn noch ein paar andere... Ich bin sehr an europäischer Politik interessiert, ich glaube, dass hier viel Wichtiges passiert.

Ich habe da ein sehr gutes Buch über die Baader-Meinhof Gruppe, vor ein paar Monaten kam die amerikanische Ausgabe von Astrid Prolls Foto-Buch "Hans und Grete - Die RAF 1967-1977" (in Deutschland beim Steidl Verlag, Göttingen) heraus. Man sieht auf den Fotos, wie sie mit Kotletten, Oxford-Hemden und maoistischen Flaggen herumlaufen. Es ist etwas extrem Anrührendes, Berührendes an diesen Privatfotos von blutrünstigen Terroristen, ein sehr interessantes visuelles Dokument. Ich sympathisiere nicht besonders mit ihnen, ich glaube auch nicht, dass sie an die Macht hätten kommen sollen oder dass Ulrike Meinhof eine besonders gute Außenministerin abgegeben hätte. Aber ich finde, Joschka ist ein ganz exzellenter Außenminister. (Alle lachen!)

Ich stehe hinter ihm, ich bin ein großer Fan von ihm. Ich habe auch kein Problem damit, dass er ein ehemaliger 68iger-zerschlagt-den-Staat-Typ ist. Im Krieg in Jugoslawien hat er einen guten Job gemacht. Ich glaube sogar, er ist einer der wichtigsten Außenminister der Welt im Moment. Ich fahre jetzt bald nach Berlin, zum ersten Mal, und bin sehr neugierig, das neue Berlin zu sehen. Es ist sehr einschneidend für einen Staat, wenn er eine neue Hauptstadt bekommt oder in der Lage ist, sie radikal neu aufzubauen. Als Futurist finde ich das ziemlich spannend. Die Deutschen haben außerdem die einzige grüne Partei, die an der Macht ist. Sie hat zwar nicht sehr viel Macht, aber verdammt mehr Macht als irgendeine andere grüne Partei dieser Erde.

Ist Joschka Fischer denn überhaupt ein grüner Außenminister?

Bruce Sterling: Ach, ich bin sicher, die Fundis werden das bestreiten, weil er nun polierte Schuhe und einen Schlips trägt. Für mich ist das absurd. Diese Leute gehören nicht an die Macht. Wenn man keinen verfickten Schlips anziehen darf, wie soll man dann mit serbischen Mördern oder wem auch immer verhandeln können? Das hat nichts mit wirklicher Politik zu tun. Ich gestehe Fischer eine Menge Kredit zu für seine Intelligenz und seine Bereitschaft, sich auf die Wirklichkeit einzulassen, mit Macht umzugehen. Klar, wenn man kein Außenminister sein will, rasier' dir den Schädel und mal dein Gesicht grün an. Du wirst nicht in die Nähe der Macht kommen. Wenn du Angst vor der Macht hast, ist das in Ordnung. Wenn du kein Teil der Regierung sein willst, bleib draußen. Wenn du aber Teil der Regierung sein willst, musst du Teil der Regierung sein. Lege nicht die Bedingungen fest, unter denen du Teil der Regierung sein willst und werfe dann anderen Leuten vor, dass du reinkommst. Das ist nur eine Form von Bequemlichkeit. Du verschwendest deine Zeit und die von allen anderen auch.

Das klingt alles sehr pragmatisch ...

Sterling ... wir sprechen von Politik ...

... dieser Pragmatismus kommt bei Ihnen auch zum Ausdruck, wenn Sie von grüner Politik und grünen Positionen sprechen. Entdecken Sie diese Herangehensweise in vielen Philosophien heutzutage?

Bruce Sterling: Ja, ich denke, es gibt immer einen blinden Fleck in jeder Form von Ideologie. Fast immer wird irgendetwas nicht ausgesprochen. Jede Ideologie ist eine vereinfachte Darstellung der Realität. Jedes analytische Schema muss irgendetwas auslassen. Es kommt nur darauf an, was weggelassen und verschwiegen wird. Das Problem mit fundamentalistischer grüner Ideologie ist, dass es keinen Platz für menschliche Wesen gibt. Es scheint keine legitime Lebensweise zu geben. Das ist so ähnlich, wie eines der Probleme, die der Feminismus mit der Rolle der Männer hat. Was sollen Männer tun? Was sollen sie tun? Dasselbe Problem hat das Patriarchat mit Frauen. Wenn Frauen politisch aktiv werden und entscheiden, was sie wollen, werden sie unsichtbar. Sie sind in der Küche, der Kirche oder ziehen die Kinder auf, aber sie sind niemals auf dem Podium, wir hören nichts von ihnen. Im Süden der USA gibt es das gleiche Problem mit den schwarzen Menschen, die "color line", die unsichtbaren Menschen. Hier sitzen Sie und ich, wenn hier noch ein Schwarzer säße, würde er nicht mitgezählt, angeschaut, angehört, er könnte sich nicht beteiligen.

Die wirkliche Schwierigkeit des grünen Lebensstils besteht darin, dass es einen dramatischen, konfrontierenden Lebensstil, aber keinen langweiligen alltäglichen grünen Lebensstil gibt, in dem man beständig ist, ohne immer gleich zu brüllen "He, schaut mich an, ich bin so wunderbar!" Ich denke, das ist ein Gestaltungsproblem. Denn die grünen Sachen, die wirklich funktionieren, sind die, die man einmal macht und dann vergisst. Wie zum Beispiel einfach das Haus abzudämmen. Wenn ich aber zu mir selbst sagen würde "Ich will heute möglichst wenig Wärme durch den Schornstein jagen!" und rumrenne und abdämme, wäre ich mir der Handlung sehr bewusst. Ich würde dann auch sicherstellen, dass mein Nachbar davon erfährt und einen Leserbrief an die Zeitung schreibt. Das macht natürlich überhaupt keinen Sinn. Viel besser ist es, einfach das Haus abzudämmen und dann nicht mehr weiter darüber nachzudenken. Ich würde alle Vorteile daraus ziehen, ohne meine bewusste Entscheidung für Wärmespeicherung dramatisieren zu müssen.

Doch zu Beginn einer neuen Bewegung ist es doch immer das Gleiche: Es muss immer einen Ausblick auf die Zukunft geben, auf das, was sich verbessern und verändern ließe...

Bruce Sterling: ...ja, klar, einverstanden, einverstanden! Aber wir sind nicht mehr am Anfang, wir sind schon mittendrin ...

... natürlich sind wir mittendrin ...

Bruce Sterling: ... auf dem Weg zum Ende - und das Ende, das würde ich gerne wissen, wie's ausgeht, das wäre gut. Denn keiner hat eine Idee davon, was am Ende sein wird, keiner hat eine Lösung. Wenn wir das wüssten, könnten wir sagen: ok und nach Hause gehen.

Ein grüner Krieg wahrscheinlicher als ein grüner Frieden

In Ihrem Viridian-Manifest listen Sie gegen Ende in den unterschiedlichsten Kategorien, wie Medien, Militär, Business usw., eine ganze Menge praktischer Forderungen auf. Sie verzichten dort auf eine umfassende Vision. Glauben Sie, dass solche Forderungen, wenn sie denn eingelöst würden, eine wirkliche Veränderung bringen können?

Bruce Sterling: Als ich das schrieb, wollte ich provozieren. Die meisten Manifeste geben keine Regeln für bestimmte Aspekte der Gesellschaft vor, und ich habe so viele konkrete Aspekte, wie möglich gesucht. Zum Beispiel bei dem Thema Militär: Wir haben eine grüne Friedensorganisation, die sehr bekannt ist, aber es gibt keine grüne Kriegsorganisation. Ich denke, in Wahrheit ist ein grüner Krieg wahrscheinlicher als ein grüner Frieden.

Das ist auch das Problem von Joschka.

Bruce Sterling: Das ist eines gewesen. Während des Bombardements von Serbien gab es eine Menge ökologischer Gefühlswallungen in der Art von "Ihr verseucht die Luft, die Kinder atmen den Rauch der brennenden Fabriken!" und so weiter, womit grüne "Peacenik-Emotion" entfacht werden sollten.

Was ja auch alles passiert ist und noch Schlimmeres...

Bruce Sterling: Lassen Sie es mich mal so sagen: Während des Bombardements war Serbien möglicherweise das grünste Land Europas, weil es dort keine Energieversorgung gab, keinen Verkehr, die Kohlekraftwerke und Pipelines waren in die Luft geflogen, die Telefonleitung waren zerstört, sie waren einfach plattgemacht. Jetzt versuchen sie ein bisschen weniger grün zu werden.

Man kann sich leicht eine schwere Treibhauseffekt-Krise vorstellen, in der Militärangriffe auf Länder verübt werden, die Kohle verbrennen, um am Leben zu bleiben, weil die Konsequenzen für die anderen so ernsthaft sind. Wenn es irgendwelche radikale Wetterveränderungen geben sollte, die zu massiven Ernteeinbrüchen führen, mit Hungersnöten, nicht in den G-7 Ländern, aber in der dritten Welt, dann ist das ein Rezept für militärische Konfrontation. Das ist dann mindestens ein massive Bedrohung der nationalen Sicherheit. Man ist in einer verzweifelten Situation, wenn es nichts zu essen gibt und man seine Kinder nicht ernähren kann. Das Gleiche gilt für die Versorgung mit Wasser.

Denken Sie wirklich, solche Krisen- oder Kriegssituationen können erst auf Grund von Nahrungs- oder Wassermangel entstehen?

Bruce Sterling: Es wird davon abhängen, wie schnell sich der Treibhaus-Effekt verschlimmert. Aber in dem Moment, in dem sich das Klima radikal verändert, wird es militärische Konsequenzen haben.

: Unbestritten. Doch könnte so etwas nicht schon viel früher geschehen, zum Beispiel auf Grund von Propaganda und Hysterie? Jemand zeigt auf wen auch immer, sagen wir mal Indien, und weist darauf hin, dass alle die Kühe in Indien zu viel Methan produzieren...

Bruce Sterling: Das stimmt. Das ist einer der Gründe, weshalb die USA Kyoto fürchten. Deshalb weigern sie sich auch, Landminen-Vereinbarungen zu unterzeichnen oder einen internationalen Gerichtshof anzuerkennen. Sie wissen ja, dass die USA der 400 Pfund schwere Gorilla der Klimapolitik ist. Wir sind der Übeltäter Nr. 1. Wenn wir eine internationale Situation akzeptieren würden, würde die Disziplin sinken und sie sind nicht bereit, diese Ebene der Vormachtstellung einer Supermacht zu opfern. Was bedeutet es, wenn man die Vormachtsstellung einer Supermacht verteidigt? Cruise Missiles! (lacht). Oh, yeah, das haben wir jetzt ja schön herausgearbeitet!

Muss man jeden Tag an die Zukunft denken?

Okay, können wir noch mal einen Schritt zurück gehen zu ...

Bruce Sterling: ... wenn Sie meinen, ich fände es zu schrecklich, um weiter darüber nachzudenken, dann irren Sie sich, niemals. Wissen Sie, nichts ist so angsterregend, dass man es nicht denken kann. Herman Kahn hat viel über den nuklearen Holocaust nachgedacht, über das Undenkbare, wie das Verhältnis zwischen Explosionsstärke und der Zahl der Opfer. Man hat ihn gefragt, wie halten Sie es aus, über diese entsetzlichen Dinge nachzudenken und zu schreiben. Ich glaube, er hat einen sehr nützlichen Beitrag geleistet, als er klarmachte, was genau wirklich passieren würde nach einem Atomwaffen-Schlag. Eine explodierende Atombombe bedeutet nicht das Ende der Welt. Eine explodierende Atombombe ist ein Genozid in einer Dose. Eine Million Menschen sterben sofort, drei Millionen werden verkrüppelt, vier Millionen werden blind - und dann geht das Leben weiter. Außer für die verkrüppelten und blinden Menschen.

Es ist zuerst einmal eine tödliche Maschinerie, zusammengesetzt aus Metall vom Schrottplatz, Drähte, Kühlrippen, chemische Stoffe, ein physikalisches Objekt. Wenn man es sich dann erlaubt, seine inneren Ängste psychologisch auf diesen Mechanismus zu projizieren, missachtet man Technologie auf eine sehr gefährliche Art und Weise. Das ist auf profunde Art und Weise falsch. Wenn man sich aber klarmacht, dass Bomben Bomben sind, von menschlichen Wesen in Orten wie Pantax und Amarillo hergestellt und entworfen von menschlichen Wesen in Orten wie Los Alamos, kann man etwas unternehmen. Man kann ihnen ihr Budget kürzen.

Das wäre ein denkbarer und äußerst praktischer Weg.

Bruce Sterling: Ja, statt zuzulassen, wie sie sich brüsten "Ich baue die Bombe!" kann man fragen, "Was gibt Dir das Recht dazu, wer hat Dich zum Gott gemacht? Vielleicht war Einstein ein Genie, Du bist nicht Einstein! Welchen Job hast Du? Du produzierst Genozid in einer Dose. Wieso bezahlen wir Dich dafür? Wieso sollen wir dafür Geld ausgeben?"

Auf der Viridian Mailingliste behandeln Sie solche und ähnliche Themen ja recht offen und ungeschminkt und manchmal auch mit beißender Ironie. Kommen Sie dabei immer ungeschoren davon bzw. wie reagieren die Teilnehmer der Liste darauf?

Bruce Sterling: Es gibt schon Kritik, aber das geht okay, das kann ich aushalten. Und es steigen auch nicht viele Leute aus. Aber einmal erhielt ich einen bewegenden Brief von einem Typ, der sagte, ich würde ihn depressiv machen. Er könne diese Themen nicht jeden Tag aushalten, er wollte nicht jeden Tag an die Zukunft denken müssen. Er glaubte, was ich sagte, und das war einfach zu beunruhigend für ihn, um damit klarzukommen. Ich sollte bitte aufhören damit, ihn von der Liste streichen. Ich antwortete ihm auf nette Weise, dass er die richtige Entscheidung getroffen habe. Es ist nicht meine Absicht, sensible Menschen zum Durchdrehen zu bringen. Davon hat niemand etwas. Ich denke, er war eine intelligente und anständige Person, die es gut meinte, es nur nicht ertragen konnte.

Was halten Sie denn von der Long Now Foundation, von Danny Hillis, Briano Eno und Stewart Brands Ewigkeitsuhr-Projekt?

Bruce Sterling: Ich kenn die ja alle, Hillis, Brand, Eno und so weiter, und sie haben mich auch gefragt, ob ich mitmache. Aber das ist nichts für mich. Das ist ihre Spielwiese, besonders die von Danny. Denn er ist der Ingenieur, der geniale Erfinder, und er hat auch das Geld, um so eine Idee umzusetzen. Und als Pop-Kultur-Leute haben die auch viel mehr Chancen, mit so einer Schnapsidee durchzukommen, als irgendeine ernsthafte Institution.

Also, da kaufen ein paar Leute einen ganzen Berg in Utah und planen eine riesige Ewigkeitsuhr darauf zu bauen - was soll das Ganze? Warum meißeln die nicht einfach ihre Namen in den Felsen und sie sind verewigt? Wir hatten den Eindruck, dass sie das auch eher amüsiert?

Bruce Sterling: Grundsätzlich geht es darum ein Monument zu schaffen für die Kontinuität. Es ist schon interessant, ein Projekt zu betreiben, dass unseren Horizont in Richtung Ewigkeit erweitert. Wir machen das ja auch auf der Viridian-Liste, indem wir die Jahreszahlen mit einer Null davor schreiben - also nicht einfach 2000 sondern 02000. Ob dieses Monument, diese Ewigkeitsuhr, so dauerhaft sein wird, wie erhofft, ist ja eine ganz andere Frage. Vielleicht wird der größte Spaß, den die Jugendlichen der nächsten Generation damit haben, darin bestehen, die Uhr umzustürzen.

Wenn die ausgedachten Dinge wirklich werden, verliere ich das Interesse an ihnen

Weshalb leben Sie in Austin, Texas? Sie haben so gute Kontakte zu den Bay-Area-Leuten in San Francisco und all den Dot-Com-Unternehmen ...

Bruce Sterling: ... oh, in Austin gibt es haufenweise Dot-Coms.

Ach ja, wirklich?

Bruce Sterling: Ja! Wir sind voll von kalifornischen Flüchtlingen. Michael Dell, der größte Computerhändler, ist in Austin, Motorola ist in Austin. Es ist eine richtige Silicon-Stadt. Der nächste Präsident wird wohl aus Austin kommen. Wir sind da schon seit Jahren unter einem Bush-Regime, wir sind unserer Zeit einfach voraus. Die Zukunft ist in Austin, okay?

Na, dann müssen Sie ja wohl auch in Austin sein...

Bruce Sterling: ... die Austin-Washington-Achse. Es ist ein G-7 Land. In Bremen, Tokio oder Hamburg zu sein, ist auch nicht viel anders. Okay, lassen wir Tokio da mal raus. Das ist eine richtige Großstadt. Nehmen wir Bremen. Da gibt es auch schlaue Köpfe. Vielleicht nicht Millionen davon, aber ein paar schon, irgendwas muss auch dort abgehen. Oder nehmen wir Köln ...

Aber Sie sind nicht in Austin geboren?

Bruce Sterling: Nein, aber ich lebe seit 27 Jahren in Austin und habe mich daran gewöhnt. Ich reise viel, aber ich freue mich zu einem Ort zurückkehren zu können, wo ich mich Zuhause fühle. Die Presse lässt mich dort in Ruhe. Verleger kommen nicht an mich ran. Ich kann einkaufen gehen, ich kann in ein Restaurant gehen, einfach so, ohne angequatscht zu werden, und die Bibliotheken sind sehr gut. Ich führe ein normales Leben. Dort leben meine Frau, meine Kinder, dort ist mein Haus. Es gibt mir Wurzeln, die es mir erlauben, mich auf das zu konzentrieren, was ich tue.

Und Schreiben erfordert viel Konzentration ...

Bruce Sterling: Ja, es ist schon ein wenig gefährlich, abgeschnitten zu sein. Denn der soziale Aspekt des Schreibens bedeutet, lange Zeit isoliert, alleine zu sein. Solange kann man nicht an seiner eigenen Berühmtheit in der Öffentlichkeit arbeitet. Aber ich mache das ohnehin lieber über das Internet.

Was haben Sie, als Texaner, denn gewählt, Gore oder Bush?

Bruce Sterling: Wissen Sie, ich solidarisiere mich da mit der Mehrheit der Weltbevölkerung, die sich nicht für amerikanische Politik interessiert. Ich bin viel mehr an dänischer und der deutschen Politik interessiert. Bei der Viridian-Liste gibt es auch eine Menge Deutsche, deren Beiträge ich sehr schätze. Schade, leider spreche ich kein Deutsch, immer noch nicht.

In Ihrer ganzen Sichtweise und Art wirken Sie ja sehr pragmatisch. Bezeichnen Sie sich eigentlich selbst als Realisten?

Bruce Sterling: Ich bin ein Fantast. So steht es in meiner Arbeitsplatz-Beschreibung. Ich denke mir Sachen aus. Ich spekuliere über Dinge, die es nicht oder noch nicht gibt, aber Wirklichkeit werden könnten. Wenn es sie dann gibt, verliere ich das Interesse an ihnen.

Das Interesse am Web haben Sie aber nicht verloren?

Bruce Sterling: Das Web ist mondän und gleichzeitig sehr alltäglich geworden. Ich war ein großer Verteidiger der Bürgerrechte im Web, sehr daran interessiert, was die Polizei, das Militär und die Spionageabwehr damit anfangen würden. Damit habe ich mich viel beschäftigt und darüber geschrieben. Selbstverständlich ist es nicht mein Job, den Menschen zu erzählen, wie ein Modem oder ein Rechner funktioniert. Meine Aufgabe ist es viel mehr, die Menschen zu fragen: "Wundert ihr euch nicht auch darüber, dass jedes Jahr vor der Küste der Normandie irgend so ein Öltanker auseinanderbricht und absäuft?"

Was meinen Sie: Wie geht es mit dem Copyright im Web weiter? Wird es bald keine Verlage mehr geben und werden alle Autoren Pleite sein?

Bruce Sterling: Ach Jungs, ihr seid doch selbst Schreiber, ihr wisst doch, wie der ganze Laden läuft! Also was soll die Frage? In jedem Interview werd ich das gefragt! Ich weiß es nicht! Ich habe keine Ahnung, wie ein Modell für den Schutz des intellektuellen Copyrights aussehen könnte. Vielleicht liegt vor uns eine ganze Generation der Unsicherheit, der Turbulenzen. In der Musiker und Autoren keine Möglichkeit haben werden, für ihre Arbeit und Produkte richtig bezahlt zu werden. Ich weiß es nicht... also, wenn Ihr eine Idee habt, wie's handhabbar wäre, lasst es mich wissen.

Siehe auch: Eigentlich interessiere ich mich nicht für Science Fiction. William Gibson, der Chronist des Cyberspace, im Gespräch über seine Bücher, die Gegenwart der multikulturellen Gesellschaft, die Nanotechnologie und seine Vergangenheit im Süden Amerikas.