In geheimer Mission im Dritten Reich
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Kein Platz im Hotel Amerika, Teil 2
Teil 1: Über Maria Leitner, die Pionierin der Undercover-Reportage
Maria Leitner war gut vernetzt. Sie hatte enge Kontakte zu kommunistischen, kapitalismuskritischen und antifaschistischen Organisationen. Man kann deshalb darüber spekulieren, welcher Art ihre Undercover-Tätigkeit genau war. Reiste sie ausschließlich als Reporterin durch Amerika, die Weimarer Republik und Nazideutschland, oder war sie auch im Auftrag einer dieser Gruppierungen unterwegs? Leistete sie als Publizistin ihren Beitrag zur Herstellung einer Gegenöffentlichkeit, oder gehörte sie auf eine noch direktere Weise zum Widerstand gegen Hitler? Wenn nicht doch noch Spuren von Maria Leitner in einem Archiv, in der Erinnerung von Überlebenden oder - wer weiß? - auf irgendeinem Dachboden aufgespürt werden, wird man es nie erfahren.
Eine der wenigen Beschreibungen von Maria Leitner, die überliefert sind, stammt vom Schweizer Otto Schudel. Er lernte sie kennen, als er für die "Liga gegen Imperialismus" arbeitete:
Sie war eher klein und zierlich, ernsthaft. Sie machte kein großes Wesen aus sich selber [...] und wirkte eher durch ihre Persönlichkeit und Reife.
Es scheint eines zweiten Blicks bedurft zu haben, um diese "Persönlichkeit und Reife" zu bemerken. Wer sich mit dem ersten Blick zufrieden gab, dürfte die stille, zierliche Frau kaum wahrgenommen haben. Ihr war das sicher recht. Die Verschleierung ihrer wahren Identität war die Grundlage ihrer Arbeit. Wichtig für das Überleben war sie auch. Die Anonymität, das Untertauchen in der Menge waren ihr Schutz vor Verhaftung und Ermordung. Vielleicht beschreibt sie mit dem ersten Absatz des am Maifeiertag beginnenden Romans Elisabeth, ein Hitlermädchen auch ihr eigenes Lebensgefühl:
Sie glich einer Schwimmerin. Mit hastigen Armbewegungen zerteilte sie die Menge, die wie aufspritzend zur Seite wich und eine schmale Rinne frei ließ. Sie schlüpfte durch sie hindurch, während schon im nächsten Augenblick die Menschenwoge wieder über ihr zusammenschlug.
Entdeckungsfahrt durch Deutschland
Ende 1930 scheint Berlin wieder Maria Leitners Hauptwohnsitz gewesen zu sein. 1931 rebellierten einige der im Schutzverband Deutscher Schriftsteller zusammengeschlossenen Autoren gegen den Vorstand des Verbandes, der die Pressenotverordnungen der Regierung und ein Gesetz zur "Schund- und Schmutzliteratur", mit dem politisch missliebige Texte verboten werden sollten, stillschweigend hinnahm. Die Rebellen wurden ausgeschlossen und fanden eine neue organisatorische Heimat beim bereits erwähnten Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Zu ihnen gehörte Maria Leitner. Sie war in der Gesellschaft von Bert Brecht, Erich Mühsam und Anna Seghers.
Im Herbst 1931 veranstaltete Willi Münzenbergs Internationale-Arbeiter-Hilfe in Berlin die Ausstellung "Frauen in Not". Zum Begleitprogramm gehörte ein von der Zeitschrift Weg der Frau organisierter Autorenabend (24. Oktober). Anna Seghers sprach über weibliche Fürsorgezöglinge, Maria Leitner über die Situation der Frauen in Amerika. Das war einer ihrer wenigen öffentlichen Auftritte.
Für die Welt am Abend ging sie 1932 auf "Entdeckungsfahrt durch Deutschland". Der Weg führt sie in abgelegene Dörfer Mecklenburgs, wo sie erkunden will, warum die NSDAP dort bei den letzten Wahlen eine deutliche Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Sie trifft auf Bauern, denen die Nazis vor der Wahl das Blaue vom Himmel versprochen haben. Doch da, wo diese jetzt das Sagen haben, profitieren besonders die großen Grundbesitzer. Tagelöhner erzählen ihr, dass es keine geheime Wahl gab, dass die Großgrundbesitzer alle entlassen haben, die nicht in ihrem Sinne abstimmten und dass sie bei personellen Engpässen Hilfe von SA-Leuten erhielten. Die von den Nazis kontrollierte Lokalpresse wettert gegen Ausländer, aber auf den von Nazis bewirtschafteten Gütern arbeiten viele Polen, weil sie am billigsten sind.
Bei den Recherchen für eine weitere Artikelserie, "Frauen im Sturm der Zeit", fand sie Beispiele dafür, wie man durch Gesetze die Beziehungen von Menschen kaputtmacht. Hans ist der Lebensgefährte von Adele. Weil er arbeitslos ist, schnüffeln ihnen die Behörden hinterher: "Hans ist Unterstützungsempfänger, dadurch hört sein Privatleben auf, Privatleben zu sein." Es soll festgestellt werden, in welchem Bett er schläft, weil der Staat bei eheähnlichen Verhältnissen weniger zahlen muss. Hans und Adele sind zum Lügen gezwungen, weil sie bei einer Kürzung des Arbeitslosengeldes nicht mehr genug zum Leben haben. Das kommt einem irgendwie bekannt vor.
Kurz vor Hitlers "Machtergreifung" begann die A-I-Z mit dem Vorabdruck des antikolonialistischen, vom Agis Verlag angekündigten Romans "Wehr dich, Akato!". Die Idee scheint Maria Leitner bei einer Reise von Surinam nach Französisch-Guyana gekommen zu sein. Von einem Ingenieur hatte sie erfahren, dass verstärkt Bauxit abgebaut wurde, seit bei einer Abrüstungskonferenz die Tonnage der Kriegsschiffe begrenzt worden war. Bauxit wurde zur Herstellung von Aluminium gebraucht, und mit Aluminium konnte man die Tonnage drücken. Im Roman sollte es um eine Aluminiumgesellschaft gehen, die in Guyana ohne Rücksicht auf Verluste die Bodenschätze ausbeutet. Der Vorabdruck endete am 5. März 1933, weil die A-I-Z an diesem Tag verboten wurde. Das Romanmanuskript ist vermutlich verloren.
Wieder im Exil
Nachdem Maria auf der schwarzen Liste der Nazis stand, hatte sie keine Möglichkeit mehr, in Deutschland durch Schreiben ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Um nicht verhaftet zu werden, versteckte sie sich zunächst bei einer Freundin in Berlin. Dann floh sie ins Ausland. Es gibt ein erhaltenes Exemplar von Hotel Amerika, das sie im Mai 1933 für einen Herrn in Prag signiert hat. Von 1933 bis 1939 druckten tschechische und sudetendeutsche Zeitungen Texte von ihr ab. 1933 oder 1934 kam sie als Emigrantin nach Paris, wo sie anfangs als Hausangestellte einer französischen Familie gearbeitet zu haben scheint. Von 1934 bis 1940 bewohnte sie ein Zimmer in einer kleinen Pension in der Rue Saint Sulpice Nr. 4.
Im Herbst 1933 gründeten die nach Paris geflohenen deutschen Autoren eine Auslands-Sektion des von den Nazis verbotenen Schutzverbandes deutscher Schriftsteller. Maria Leitner war Mitglied und wird wohl zu den Treffen gegangen sein, die jeden Montagabend im Café Mephisto am Boulevard Saint Germain stattfanden. Dort hielten Exilschriftsteller Vorträge, oder sie lasen aus ihren Werken. 1938 schickte Maria einen (unveröffentlicht gebliebenen) "Pariser Brief" an Das Wort, eine der wichtigsten deutschsprachigen Exilzeitschriften (sie erschien in Moskau). "Die Lage der emigrierten Schriftsteller", schreibt sie
wird immer schwieriger. Sie verlieren durch die Hitlerschen Gewaltmethoden nacheinander ihre Leser. Viele von ihnen mussten wiederholt flüchten, viele konnten nur das nackte Leben retten, viele hungern, und doch - es ist ein Wunder - gedeiht diese geflüchtete Literatur in dem kargen Boden der Verbannung üppig.
In den Jahren der Hitlerdiktatur, sagt sie, sei in Deutschland kein einziger neuer Name von Bedeutung aufgetaucht; begabte Autoren wie Ernst Jünger, die geblieben sind, seien schweigsam geworden und überarbeiteten alte Texte. Dem stellt sie das vielseitige Schaffen der Exilanten gegenüber und kommt zu dem Schluss:
Kann die Emigration nicht stolz auf ihre Literatur sein? Können die Vertriebenen, die Ausgeraubten nicht mit Recht fragen: sind nicht doch wir die Reichen geblieben, und sind nicht wir es, die Deutschland beschenken?