Inception bei Mäusen

Neuroforscher haben Mäusen im Schlaf eine falsche Erinnerung eingepflanzt. Filmreif ist das Verfahren aber noch nicht

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Es muss ein seltsames Gefühl gewesen sein: Als Ernie an diesem Morgen erwachte, zog es ihn unwillkürlich an einen ganz bestimmten Ort. Etwas erwartete ihn dort, etwas Gutes, da war er sich sicher. Ernie konnte sich nicht erinnern, dass diese Ahnung gestern schon da gewesen war, aber er spürte genau, dass sie nicht trog. Während seine Geschwister fröhlich durch den Käfig streiften, lief er gezielt auf seinen vier Beinen zu dem Ort, den ihm sein Gedächtnis nannte. Und tatsächlich, da lag sie, die Belohnung. Ernie meinte, im Hintergrund freudige Ausrufe zweier Menschen zu hören, die sich gerade jetzt über den Käfig beugten...

Natürlich wissen wir nicht, wie die Labormäuse hießen, die in einem gekachelten Raum einer Pariser Universität Ziel einer Operation wurden, die seit dem Erscheinen des gleichnamigen Films als Inception bekannt ist. Aber die Grundidee, von der die französischen Forscher jetzt in Nature Neuroscience berichten, erinnert schon sehr an das, was Leonardo diCaprio da im illegalen Auftrag eines Großindustriellen versucht: eine vollkommen neue Erinnerung in einem fremden Gehirn einzupflanzen.

Über Elektroden die Ortsspeicher im Gehirn aktiviert

Allerdings ist die praktische Umsetzung noch lange nicht filmreif - und es hat seinen Grund, dass Ernie und seine Mauskollegen zum Opfer wurden und nicht etwa ein Mensch. Die Neurowissenschaftler pflanzten nämlich allen sieben tierischen Probanden zunächst Elektroden ins Hirn. Diese platzierten sie an zwei Orten: zum einen dort, wo typischerweise Ortsinformationen gespeichert werden (in einem Teil des Hippocampus), zum anderen im mittleren Vorderhirn, das für Belohnungen zuständig ist.

Während des Schlafes aktivierten die Forscher nun bei allen sieben Tieren über die Elektroden die Ortsspeicher im Gehirn. Bei fünf Mäusen ließen sie gleichzeitig das Belohnungszentrum einschalten, die anderen beiden erhielten keine virtuelle Belohnung. Die Prozedur organisierten die Forscher so, dass die Tiere dabei nicht aus dem Schlaf erwachten.

Aktivierte Hirnareale; Ausschnitt aus der grafischen Darstellung der Untersuchungsergebnisse

Nach dem Ende der Schlafphase konnten Ernie & Co. nun zwar nicht von ihren möglicherweise seltsamen Träumen erzählen. Aber die Tiere, deren Belohnungszentrum aktiviert worden war, hielten sich nun an ganz bestimmten Orten signifikant häufiger auf, wohl weil sie dort eine Belohnung erwarteten. Die beiden anderen Mäuse hingegen streiften weiter ziellos durch den Käfig, als sei nichts geschehen.

Interessant ist bei dem Experiment aber nicht nur die Tatsache seines Gelingens: Die stärkste Wirkung entfaltete die Behandlung nicht etwa in der REM-Phase (wenn das Gehirn üblicherweise träumt), sondern während des Tiefschlafs. Es ist aber zu früh, das Drehbuch des Films umzuschreiben (mal abgesehen von der Tatsache, dass es wohl wenig unterhaltsam wäre, die Eindringlinge quasi im Dunkel des Tiefschlafs herumtappen zu lassen): Während des Experiments war der Anteil der REM-Phasen einfach zu gering, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erhalten.