Indien: Es wird nur die kleinen Fische erwischen
Modis überraschende Entscheidung, alle großen Geldscheine für ungültig zu erklären, erinnert an einen Angelversuch mit Dynamit
In der Nacht des 8. November hat die indische Zentralregierung ohne Ankündigung alle 500- und 1000-Rupien-Noten für ungültig erklärt. Die Geldscheine im Wert von etwa 7 und 14 Euro sind die größten Barzahlungsmittel des Landes. In einer nächtlichen Ansprache sagte Ministerpräsident Modi, dass er dies veranlasst habe, um der Geldwäsche, der Geldfälschung und der Korruption Einhalt zu gebieten. Die Banken seien geschlossen, aber ab dem nächsten Tag könne jeder Bürger 4000 Rupien (etwa 56 Euro) in neue 500er und 2000er Scheine tauschen. Den Rest dann bis zum Ende des Jahres.
Dieser neue Schritt Modis kam einen Monat, nachdem seine Regierung nur etwa 10 Milliarden US-Dollar von Steuersündern durch eine Amnestie hatte eintreiben können. Modi hatte als Wahlversprechen ausgegeben, das Schwarzgeld zurückzuholen. Laut einer Studie der ICICI Bank sind alleine zwischen 2003 und 2012 etwa 439 Milliarden US-Dollar illegal aus dem Land gezogen worden.
Indiens große Banken, Firmen und Zeitungen preisen Modi für den Rupien-Coup - ein kleiner Geschäftsmann, den ich am Morgen des 9. November in Kalkutta spreche, sieht es anders:
Zuerst habe ich gejubelt. Alle großen Scheine aus dem Verkehr zu ziehen, wäre ein großer Schritt gegen Korruption gewesen. Stattdessen gibt Modi sogar 2000-Rupien-Scheine heraus. Jetzt braucht man also nur noch einen Koffer Bestechungsgeld zu übergeben, anstatt zweien.
(Kleiner Geschäftsmann aus Kalkutta)
Noch unglücklicher wird es für Millionen Menschen im Nachbarland Nepal. Obwohl der Besitz von großen indischen Geldscheinen dort schon seit Jahren verboten ist, horten viele Nepalesen indische Rupien, da sie in ihre eigene Währung wenig Vertrauen haben - etwa 10 Millionen Nepalesen arbeiten dauerhaft oder saisonbedingt in Indien.
Nur 2,89 Prozent der Inder zahlen Einkommensteuer, die Schattenwirtschaft entspricht etwa 20 Prozent des BIP. Doch Modis Schritt wirkt sich augenblicklich äußerst negativ auf den heimischen Konsum und das offizielle BIP aus.
Auf den Straßen Kalkuttas war am Mittwoch jedoch keine Panik auszumachen, einzig um den Bahnhof Howrah herum sah ich des Öfteren, wie Taxifahrer mit ihrer Kundschaft stritten - im Spiel immer ein wedelnder 500-Rupien-Schein. Auch am nächsten Tag spielten sich zumindest in Kalkutta kaum chaotischen Szenen vor den wieder geöffneten Postämtern und Banken ab - lange Warteschlangen ja - aber so gut wieder jeder bekam 4 oder 8 seiner großen Rupien-Scheine getauscht. Große Probleme dagegen hat das Kleingewerbe, da es ihre Arbeiter, darunter viele Tagelöhner, nicht bezahlen kann. Am Samstag "streikten" dann noch viele Geldautomaten.
Mamata Banerjee, die Ministerpräsidentin des Bundestaates Bengalen, reagierte mit einem Wutanfall und drohte mit rechtlichen Schritten gegen Modis Rupien-Coup. Dass Mamata in den letzten 5 Jahren sichtbare Fortschritte in Kalkutta geschaffen hat, ist unbestritten, doch das konnte sie nur mit den Führenden der hiesigen Wirtschaft. Dass die Handelsstadt Kalkutta einer der Hauptadern der Schattenwirtschaft Indiens ist, ist ein offenes Geheimnis.
Einer der bekannten Anlaufstellen dieser Wirtschaft ist ein Basar ein paar Steinwürfe von der Howrahbrücke entfernt. Auf einzelnen Ladenschildern der Händler in den engen Gassen steht: Juwelier, Geldwechsler und Händler. Eindeutiger wäre: Wir lösen Finanzprobleme jeglicher Art. Mit geschäftigen Lächeln raunt man mir zwei Zahlen zu: Den Dollarkurs für alte Rupien-Scheine und den für neue. Wie es scheint, hat Modi für die Händler einen neuen Geschäftszweig geschaffen.
Im Hinterzimmer eines "Juweliers" spreche ich mit einem Szenekundigen. "Koffer mit Geld? Ich habe schon Säcke voll Geld gesehen", sagt der grauhaarige 70-Jährige schmunzelnd und fährt fort: "Unser Gewerbe ist ein ehrenvolles, das auf Vertrauen baut. Das Geld unserer Kunden wird natürlich nicht nur in Gold angelegt, sondern an Finanzexperten weitergegeben, die es in Immobilien, Land und Aktien investieren. Unser Gewerbe wird durch Modis Entscheidung kaum Geld verlieren, denn der größte Teil ist schon sicher angelegt. Treffen wird es die kleinen Händler und die korrupten Beamten." Dann deutet er instinktiv in Richtung des Hugliflusses und sagt: "Wer mit Dynamit fischt, erwischt nur die kleinen Fische - für die großen braucht es einen Plan und Geduld."
So kann Modis Entscheidung auch als großes Ablenkungsmanöver gesehen werden. Wie der "chirurgische Eingriff" auf pakistanischem Gebiet im Ende September, bei dem die meisten Experten bezweifeln, dass diese Militäraktion überhaupt stattgefunden hat.
Modi gewann sein Amt 2014 mit vielen großen Versprechen - darunter auch das, Indien groß zu machen. Doch Indien erweist sich als resistent -, es geht weiter nur langsam voran. Das gilt auch die Ausgabe der neuen Scheine, denn schon jetzt ist abzusehen, dass Modi den verkündeten Zeitplan nicht einhalten kann.
Die Verantwortlichen von Modis BJ-Partei in Kalkutta fingen übrigens 8 Tage vor dem Rupien-Coup an, Tausende von großen Scheinen auf ihr Konto einzuzahlen. Die letzte Überweisung im Wert von knapp 40.000 US-Dollar wurde ein paar Minuten vor Modis nächtlicher Rede getätigt.
Wie es den Touristen ergangen ist? Am Donnerstag dauerte es für Ausländer (je nach Indienerfahrung) entweder eine halbe Stunde, bis sie ihre 4000 Rupien in legale Scheine gewechselt hatten, - oder bis zu einen Tag. Ein Italiener aus dem Nachbarhotel stellte sich morgens in die Schlange an der Post. Doch nach zwei Stunden war die Filiale "pleite" und man schickte ihn zur Staatsbank. Als er dort den Schalter erreichte, hieß es, alle Touristen bekommen ihr Geld am Flughafen gewechselt. Dort angekommen lachte man ihn aus und sagte: "No Money". Wieder zurück in der City ging er in eine Privatbank und bekam in Extra-Behandlung innerhalb 10 Minuten sein Tageslimit von 4000 Rupien getauscht. Nun indieninitiiert ging er in die nächste Privatbank: Eine Passkopie - wieder 4000 Rupien. Dann in die nächste …