Indien statt China?

Deutschland: Aus Sorge, dass man sich, wie schon von Russland, zu sehr von China abhängig gemacht hat, will man verstärkt auf Indien als Lieferanten setzen und generiert neue Probleme. Kommentar.

Nachdem Europa erkannt hat, dass man sich mit den günstigen Energieträgern aus Russland in eine Abhängigkeit begeben hat, die es kaum noch erlaubt, die westlichen Werte gegenüber Russland durchzusetzen, ohne selbst Schaden zu erleiden, will man bei China jetzt stärker auftreten.

Erst hat man die Zentralregierung in Beijing beschuldigt, dass sie mit den Corona-Lockdowns die Lieferketten beschädige. Und dann hat man die Vorwürfe dahingehend gewandelt, dass die chinesische Regierung mit der Corona-Welle in Folge der Aufhebung der Lockdowns mit den Menschenleben spiele und wiederum die Lieferketten beschädige.

Da war es nur noch ein kleiner Schritt zu fordern, dass man den Flugverkehr nach China einstellen solle. So kann man Lieferketten auch mutwillig stören.

Der nächste Rohstoff, der knapp wird

Nachdem Europa bei Energieträgern von Steinkohle, Mineralöl und -produkten sowie Erdgas sich über Jahrzehnte auf preisgünstige Lieferungen unter Weltmarktpreis aus Russland verlassen konnte, die selbst zu Zeiten des Kalten Krieges nie als politisches Druckmittel eingesetzt wurden, hat man hierzulande geglaubt, die Lieferverbindungen als Druckmittel einsetzen zu können, was bislang jedoch nicht besonders erfolgreich verläuft.

Mit der Weigerung der finnischen Eisenbahnen ab Januar 2023 Nickel aus russischer Produktion in die EU zu transportieren, wird der nächste Rohstoff wohl knapp werden.

Gegen die russischen Nickelproduzenten wurden bislang keine Sanktionen verhängt, weil der russische Nickel dringend für die Produktion von Batterien für die politisch gewünschten E-Mobile benötigt wird.

Russland ist für immerhin 23,4 Prozent der Nickel-Weltproduktion verantwortlich. Der mutwillige Abbruch der russischen Rohstofflieferungen wird sich durch Lieferungen aus anderen Ländern nur insoweit ersetzen lassen, als Deutschland durch höhere Preise andere Kunden vom Markt verdrängt.

Obwohl Indien die Sanktionen gegen Russland nicht mitträgt, sieht die Bundesregierung in Indien einen potenziellen Verbündeten im zweiten weltweiten Konflikt, der Rivalität mit China. Im Unterschied zu China verbinde Deutschland mit Indien bereits eine lange "Wertepartnerschaft", statuierte Außenministerin Baerbock Anfang Dezember.

Das ist allerdings nur ein Ausschnitt, politische Rhetorik. Aus der Praxis ergänzen wäre, zumal was den Handel betrifft, dass Indien völlig andere Voraussetzungen als China bietet.

Maßgebliche Unterschiede

Während sich China im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in vielen Punkten an die Usancen ihrer westlichen Kunden angepasst hat und nach der Fertigung auch die Entwicklung zahlreicher Produktgruppen für den Weltmarkt übernommen hat, haben sich die Industrialisierungsanstrengungen in Indien bisher mehr auf den Binnenmarkt konzentriert.

So waren die politischen Forderungen nach einem bestimmten Local Content maßgeblich. Auf einen Export von in Indien produzierter Hardware haben viele Hersteller in den letzten Jahren verzichtet. Im Bereich der Softwareentwicklung hat Indien schon seit vielen Jahren Weltstandard und die Vergangenheit als britische Kolonie hat dem Land die englische Sprache beschert.

Während man sich heute schon ziemlich sicher ist, dass Indien schon 2023 China als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen wird und ein wirtschaftliches Wachstum von sieben Prozent erreichen dürfte, sind die Erwartungen der globalisierten Wirtschaft deutlich gedämpft.

Das liegt in erster Linie daran, dass sich die politischen Rahmenbedingungen im Land immer wieder deutlich verändern und die indischen Behörden in der Praxis einheimische Konkurrenten bevorzugen. Anders als China in der Startphase seiner globalen Industrialisierung will Indien die gesamte Lieferkette im Land haben.

So werden mit der Production Linked Incentive (PLI), mit welcher die indische Regierung die Produktion in vielen Sektoren stark ankurbeln will, zwar die inländische Industrieproduktion angeregt, aber gleichzeitig werden hohe Zölle auf Komponenten erhoben.

In einer stark arbeitsteiligen Wirtschaft kommen die einzelnen Komponenten jedoch aus vielen unterschiedlichen Ländern. Alles im eigenen Land zu produzieren, wird da zu einer gewaltigen Herausforderung. Da die konsumkräftige Mittelschicht in Indien noch deutlich kleiner ist als in China, hat der Binnenmarkt eine viel geringere Bedeutung als im Reich der Mitte.

Bei den Investoren, die jetzt für Apple neue Fertigungseinheiten in Indien hochziehen sollen, handelt es sich um die gleichen taiwanesischen Unternehmen wie Foxconn, Pegatron und Wistron, die mit den Erfahrungen aus China sich jetzt in Indien an die Entwicklung vollstufiger Produktionsprozesse trauen. Bislang waren die schon vor über einem Jahrzehnt gestarteten Versuche jedoch außerhalb Indiens kaum wahrnehmbar.

Umweltschutz hat in Indien kaum Bedeutung

Während erste chinesische Provinzen beim Umweltschutz die Zügel deutlich anziehen und inzwischen zahlreiche Hersteller pharmazeutischer Grundstoffe stillgelegt haben und jetzt mittel Social Scoring die Einhaltung der verschärften Vorschriften überwachen, ist Indien noch lange nicht so weit.

Hier werden die Abwässer aus der pharmazeutischen Fabriken, ohne sie zu klären, in die Umwelt entlassen, wo sich unter idealen Temperaturbedingungen neue multiresistente Keime entwickeln können, welche auch gegen neue Antibiotika schon gewappnet sind.

Die multiresistenten Keime sind heute nicht nur eine Bedrohung des Klinikbetriebs, sondern stellen wie der ″Bengal Bay″-Klon auch außerhalb der Kliniken eine zunehmende Gefahr dar. In Indien tragen bereits heute mehr als zwei Drittel der Menschen antibiotikaresistente Keime in sich.

Eine Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wird auch zur Verstärkung der Geschäftsreisetätigkeiten führen und damit das Risiko der Einschleppung dieser Keime erhöhen. Schon vor fünf Jahren brachten mehr als 70 Prozent der Touristen aus Indien resistente Erreger mit nach Hause.

Während in den zumindest unterschwellig chinesisch dominierten Wirtschaften in Fernost sich eine westliche Denkweise in wirtschaftlichen Fragen zumindest soweit etabliert hat, dass sie außerhalb denkbarer Konflikte durchaus anerkannt oder zumindest bekannt ist, sieht die Situation in der vielfach als größte Demokratie Asiens bezeichnete ehemaligen britischen Kolonie deutlich anders aus.

Die Tatsache, dass Englisch im ganzen Land verbreitet ist, bedeutet auch nicht, dass jeder Englisch spricht oder versteht. Und selbst wenn eine formale Kommunikation möglich ist, fällt das gegenseitige Verständnis nicht selten schwer. Das mit der Befreiung von der britischen Kolonialherrschaft gewachsene indische Selbstbewusstsein führt dazu, dass sich die europäischen Geschäftspartner stärker an die dortige Denkweise anpassen müssen, als dies in einem der fünf Sterne-Hotels abgefordert wird.