Industrie 4.0: Überwachung statt Revolution
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Vor zehn Jahren wurde eine "vierte industrielle Revolution" ausgerufen. Sie hat sich nicht zum Besten entwickelt
Vor zehn Jahren wurde erstmals von einer "Industrie 4.0" gesprochen. Geprägt hat diesen Begriff von der "4. Industriellen Revolution" die "Deutsche Akademie der Technikwissenschaften" (Acatech). Die 4.0-Initiative soll "die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger zu machen", erinnert sich Henning Kagermann rückblickend für Acatech.
Industrie 4.0 ist kein betrieblicher Begriff, sondern der Name eines von der Bundesregierung geförderten Forschungsprogramms. Das "Internet der Dinge" soll mit "Industrie 4.0" auf den Betrieb übertragen werden. Grundlage sind Chips, durch die Waren und Geräte nicht nur eine eigene Identität in Form eines Codes erhalten, sondern auch Zustände erfassen und Aktionen ausführen können. Die Übertragung dieser Logik auf den Produktionsbereich ist das 4.0-Prinzip.
Von Anfang an betrieben Acatech-Vertreter auf Regierungsebene mit der Lobbyarbeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmte Vorschlägen zu und sagte: "Herr Wahlster, das wollen wir jetzt verfolgen, Industrie 4.0, das ist ja genau die Zukunft", berichtet Wolfgang Wahlster, der Gründer des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Die Bundesregierung fördert die Projekte bisher mit über 470 Millionen Euro.
Das "Zukunftsprojekt Industrie 4.0" ziele darauf ab, die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, "für die Zukunft der Produktion gerüstet zu sein", verkündet die Bundesregierung. Unternehmen und Kunden sind direkt per Internet in den Wertschöpfungsprozess eingebunden. Industrie 4.0 sei "gekennzeichnet durch eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien-)Produktion".
Jedoch sei derzeit "nicht mehr als zehn Prozent der deutschen Produktion komplett auf Industrie 4.0 umgestellt", beklagt Wahlster und macht damit deutlich: eine "vierte industrielle Revolution" hat nicht stattgefunden. "Nach kurzer Zeit sind heute erste Maschinen und Anlagen für Industrie 4.0 verfügbar: Industrie 4.0 hält in die Fabrikhallen Einzug. Nun geht es um Planungssicherheit, klare Strategien und die Begrenzung wirtschaftlicher Risiken", gibt selbst das Bundesforschungsministeriums (BMBF) zu.
Zunehmende Kontrolle
Gleichzeitig nimmt die Technisierung in Betrieben und Verwaltungen zu. Dies alles erfolgt vor dem Hintergrund zunehmender Kontrolle der Beschäftigten. Wenn die Produktion als großes Netzwerk organisiert wird, wirkt das direkt auf die Beschäftigten. Die Vernetzung der IT-Systeme ermöglicht den Unternehmen eine dauernde Überwachung der Arbeitsleistung und des Verhaltens der Beschäftigten. Bei mobiler Assistenz kann der Mensch mit der Produktionssteuerung interagieren - und ist per iPad jederzeit verfügbar.
Ein solches System soll die Arbeiter bei Entscheidungen unterstützen, wird in einer Studie des Fraunhofer-Instituts verklausuliert prognostiziert: "Damit der Mensch mit der Produktionssteuerung oder der Maschine interagieren kann, muss die mobile Assistenz zunehmen. Bei einer Fehlermeldung einer Maschine kann sich das ›iProductionPad‹ vor Ort vernetzen und den Fehlerspeicher auslesen und interpretieren. Das ›iProductionPad‹ kann Temperaturen oder Frequenzen der Maschine messen, Anweisungen geben und deren Zustand sehr schnell analysieren und diagnostizieren." (Fraunhofer-IAO: Produktionsarbeit der Zukunft - Industrie 4.0, S. 155) Möglich wird so die totale Überwachung des Arbeiters, der jederzeit zu orten ist und dessen Verhalten dokumentiert wird.
Auch in den Verwaltungsbereichen nimmt die Kontrolle zu. Die Dokumentation und Verwaltung von Beschäftigten- und Kundendaten erfolgen über Workflow-Management-Systeme. Voraussetzung ist eine Datenbank, über die Daten der Kunden und einzelne Arbeitsschritte der Beschäftigten ausgewertet werden.
Mussten früher eingehende Briefe noch gescannt werden, erfolgt die Kommunikation heute meist über Internet. Dies erleichtert Unternehmen, Beschäftigte unter Druck zu setzen, bis hin zu innerbetrieblichem "Benchmarking". So müssen sich die Angestellten rechtfertigen, warum ein Telefonat eine bestimmte Dauer überschritten hat oder in einem anderen Team die Kundenanfragen viel schneller bearbeitet werden.
Ein Beispiel für diese Überwachungsmöglichkeit ist das Programm "Workforce Management". Mithilfe von Algorithmen soll der Arbeitsanfall und das Kundenverhalten prognostiziert und stundentaktgenaue Vorgaben des Arbeitsvolumens ermittelt werden, um Personalkapazitäten und die Verteilung der Arbeitszeiten bis hin zur Lage der Pausen vorschreiben zu können.
Die Folge sind standardisierte Prozesse, d.h. die konkrete Vorgabe von Arbeitsschritten für Bildschirmarbeitsplätze. Routinetätigkeiten sollen so standardisiert beziehungsweise automatisiert werden. Der Geschäftsprozess beginnt mit der Kundenanfrage und reicht bis zur Feststellung der Kundenzufriedenheit. Gemessen werden etwa die Bearbeitungsdauer, Gesprächsdauer, Wartezeiten oder Antwortzeiten. Auf dieser Basis werden die Prozesse ständig gemessen, standardisiert und die Beschäftigten durch Zeitvorgaben kontrolliert.
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