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Inflation trifft vor allem Geringverdiener

Um an Mittel fürs Leben zu kommen, braucht man im Kapitalismus Geld. Deshalb müssen es alle wollen – mit verheerenden Folgen für die Mehrheit. Das Geld, was sonst (Teil 1).

"Inflation trifft vor allem Geringverdiener" titelte die Süddeutsche Zeitung Mitte August, und viele andere Medien formulierten ähnlich: Die Politik sieht "Handlungsbedarf". Die Preise steigen erheblich, besonders bei Strom, Gas und Kraftstoffen, aber auch andere Lebensmittel legen seit einiger Zeit kräftig zu. Ein Ende ist nicht in Sicht, im Gegenteil – vor allem das Heizen wird im kommenden Winter drastisch teurer werden.

Das trifft all jene hart, die zu wenig Geld haben, um das bezahlen zu können. Ihnen drohen eiskalte Wohnungen, Kündigungen ihrer Vermieter und Energieversorger, frierende und hungernde Kinder und viele weitere existenzbedrohende Einschränkungen.

Ohne Geld kommt man hierzulande an kein Lebensmittel. Das weiß jeder, und jeder findet das ganz normal. Weniger verbreitet ist die damit verbundene Schlussfolgerung, dass das Geld die Leute von den Lebensmitteln erst einmal trennt. Einfach so nach den Bedürfnissen der Menschen das Notwendige herstellen und verteilen? Das geht natürlich gar nicht und gilt als weltfremd.

Das Leben in der Marktwirtschaft trägt ein Preisschild

Denn in dieser Gesellschaft geht es eben nicht darum, die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen für alle sicherzustellen – sondern ein Geschäft zu machen. Die Produkte sind nur Mittel zum Zweck – nämlich durch ihren Verkauf an Geld zu kommen.

Wenn sie das leisten, werden sie hergestellt. Wenn nicht, nicht. Und auch, wenn sie in der Welt sind: Das heißt noch lange nicht, dass sie allen zur Verfügung stehen. Sie haben schließlich ein Preisschild. Was die Leute ausschließt, die nicht in der Lage sind, dieses Geschäft zu realisieren, indem sie genügend Euros auf den Tisch legen.

Deshalb sorgt sich die Bundesregierung aktuell darum, dass die Geschäfte weiterlaufen, obwohl ein Teil der Bevölkerung diese in naher Zukunft nicht werden ermöglichen können.

Also geht es um Zuschüsse und Entlastungen für ärmere Haushalte. Damit diese weiter ihre Energierechnungen bei den Stadtwerken und ihre Mieten bezahlen, bei den Discountern ein Minimum an Lebensmitteln kaufen und ihre Kinder halbwegs ordentlich versorgen.

Dass es hierbei dem Staat auch darum geht, einen Gutteil seines Volks nicht verwahrlosen zu lassen, unterstreicht den zitierten "Handlungsbedarf".

Verbraucher zahlen die Zeche des Wirtschaftskriegs

Das ist die eine Seite des Geldgeschäfts. Die andere erfordert nicht weniger Mittel: Große Gas-Importeure wie Uniper werden mit viel staatlichem Geld gestützt, weil das alte Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert – langfristig und günstig Gas in Russland einkaufen, dies mit ordentlichem Aufschlag an die weiterverteilenden Regionalversorger und Stadtwerke verkaufen. Die so ihrerseits sichere und auskömmmliche Gewinne einstreichen.

Jetzt muss ein Konzern wie Uniper das aus politischen Gründen ausfallende preiswerte Gas aus Russland ersetzen gegen teures Gas aus anderen Ländern. Gegenüber den Weiterverteilern ist der Konzern aber vertraglich gebunden, zu den alten Vorkriegskonditionen zu liefern. Entsprechende Millionenverluste fallen an.

Die Lösung der Ampel-Koalition: Einerseits durch staatliche Beteiligung den Konzern absichern, andererseits die teurere Gasbeschaffung über Umlagen an alle Verbraucher weiterreichen.

Die haben zwar die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht bestellt, aber für das Gute in der Welt muss man halt auch mal verzichten. Und wehren können sie sich außerdem nicht. Die Beschaffungs- und die Speicher-Umlage kommen zu den bereits seit Mitte vergangenen Jahres nach oben gehenden Tarifen hinzu.

Im Sommer 2021 wurde Gas auf dem kurzfristigen Spotmarkt der Börse noch mit rund 30 Euro die Megawattstunde gehandelt. Im August pendelte der Preis um die 250 Euro. Im Vergleich zur Umlage liegt hier das weitaus größere Problem für viele Verbraucher.

Die hohen Energiepreise treiben die Inflation, also dass das liebe Geld weniger wert ist. Andersherum formuliert: Der konkrete Reichtum, die Warenwelt, ist gar nicht gewachsen, dafür aber der abstrakte Reichtum, die Euros, die zum Erwerb nötig sind.

Die gleiche Menge Gas, Öl, Kohle kostet nun mehr, auch viele Lebensmittel und Autos. Das wird nun allgemein beklagt – so als gäbe es keine Akteure, sondern eine "Entwicklung", die in der Marktwirtschaft halt öfter vorkommt.

Wenn der "Vermittler" Geld zum unsicheren Kandidaten wird

Ohne ein gewisses Maß an Geldentwertung ist der Kapitalismus aber nicht zu haben. Schuldenmachen bildet den Hebel für die Unternehmen, in der Konkurrenz mit ihresgleichen die Oberhand zu gewinnen. Mit Kredit werden neue Maschinerie finanziert, mehr Personal, größere Produktionshallen und so weiter. Auf dass die eigenen Waren sich am einfachsten verkaufen und den meisten Gewinn bringen.

Und wie das bei einem Wettbewerb so läuft – es gibt Gewinner und Verlierer. Nicht jeder Kredit realisiert sich in einem erfolgreichen Geschäft. Bei denen das nicht klappt, steht einer gewachsenen Summe geliehenen Geldes kein entsprechend gewachsenes Geschäft gegenüber. So steigt die Geldmenge überproportional an im Vergleich zur verkauften Warenmenge – Inflation.

Das wäre ja schon mal ein Argument gegen dieses Wirtschaftssystem: Es ist offenbar chaotisch und unberechenbar. Was Otto Normalmensch für die Geldvermehrung seines Arbeitgebers geschuftet und dafür ein Gehalt bekommen hat, ist noch lange nicht ein sicherer Anteil am konkreten Reichtum. Mal mehr, mal weniger, je nachdem, wie hoch die Inflation ausfällt. Was ist das für ein Mittel, an das Lebensnotwendige zu gelangen, wenn seine Tauglichkeit notorisch unsicher ist?

Das große Tabu: Wirtschaft ohne Geld organisieren

Das Geld infrage zu stellen, zählt aber hierzulande zu den Tabus. Als wenn es dieses System schon seit Menschengedenken gäbe. Lieber werkeln die Politiker, beraten von Wirtschaftsweisen und anderen hochdekorierten Ökonomen, daran, dass die Geschäfte und der Euro auch in Zeiten höherer Inflation weiter funktionieren – auf Kosten besonders der Geringverdiener.

Seit der unerbittlichen Parteinahme für die Ukraine im Krieg gegen Russland kommt der Staat als Anheizer neu ins Spiel. In normalen Zeiten treibt er die Inflation ohnehin durch seine Schuldenaufnahmen an. Mit diesen Krediten finanziert er seine Ausgaben und macht sich damit unabhängig von der reinen Höhe des Steueraufkommens.

Nun aber kommt der Wirtschaftskrieg gegen Moskau hinzu. Er erfordert eine noch einmal größere Masse Geld – nicht nur für die erwähnte Rettung des heimischen Energiemarkts, sondern für die Entlastungspakete, für das gigantische "100 Milliarden Euro"-Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr und für die massive Unterstützung der Ukraine. Das Geld holt sich der Staat wie gewohnt vom Finanzmarkt, er nimmt Kredite auf. Und diese Schulden treiben die Inflation weiter an.

Der Wertverlust des Geldes trifft hauptsächlich jene, die keine Möglichkeit haben, ihre erhöhten Kosten weiterzureichen. Allenfalls können sie auf die in Aussicht gestellten staatlichen Hilfen hoffen, die das Schlimmste verhindern sollen.

Denn auch die Tarifrunden lassen keinen Inflationsausgleich erwarten. Dafür sind die Gewerkschaften einfach zu verantwortungsvoll. Man will schließlich die Wirtschaft nicht über Gebühr belasten. Von deren erfolgreichen Geschäften hängt ja ab, ob die Arbeitnehmer weiter das Geld bekommen, das sie zum Leben brauchen.

Was für ein Zusammenhang: Damit die Unternehmen weiter genug Geld scheffeln können, müssen diejenigen, die das mit ihrer Arbeit ermöglichen, auf Geld verzichten, das ihnen ihren bisherigen – ohnehin bescheidenen – Lebensstandard finanziert.

Teil 2: Notfall Rettungsstelle [1]


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