Inflationsbekämpfung: EZB auf dem Pulverfass
- Inflationsbekämpfung: EZB auf dem Pulverfass
- EZB: Geldpolitik, Inflationsbremsen und die Klimapolitik
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Kritische Wirtschaftslage: Nach der ersten Inflationswelle und Wohlstandsverlusten baut sich die nächste Welle auf. Die Wirtschaft schrumpft, der Druck auf die EZB wächst. Gastbeitrag
Nach zehn Zinsanhebungen in Folge, so Bundesbank-Präsident Joachim Nagel zum Jahreswechsel, sei die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) bei der Inflationsbekämpfung auf dem richtigen Weg.
"Die Inflation sinkt. Die Geldpolitik wirkt […] und wir erleben keine Rezession.
Joachim Nagel. Handelsblatt
Hat die EZB nun also alles im Griff, nachdem sie die Inflation nach eigenem Bekunden wiederholt falsch eingeschätzt hatte und nicht in der Lage war, sie einzudämmen?
Technische Rezession: Wirtschaftslage unter Druck
Jetzt, nur wenige Wochen später, stellt sich die Lage weniger günstig dar als von Nagel diagnostiziert. Aufgrund aktueller Wirtschaftsdaten kristallisiert sich heraus, dass sich die Wirtschaft der Eurozone seit Mitte des vergangenen Jahres in einer technischen Rezession befindet; obendrein zeichnet sich ein anhaltender Schrumpfkurs ab.
Zuvor hatte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit dem Schlussquartal 2022 bei Wachstumsraten zwischen plus 0,1 und minus 0,1 Prozent (im Vergleich zum jeweiligen Vorquartal) faktisch stagniert.
Eurozone in Rezession, deutsche Industrie am Abgrund
Die Eurozone steckt offenbar im gleichen Schlamassel wie Deutschland, das wie schon Anfang der 2000er-Jahre als "kranker Mann Europas" gilt und dessen wirtschaftliche Schwäche nun die gesamte Eurozone nach unten zu ziehen droht.
Bereits seit 2019 schrumpft die deutsche Industrie. Die Industrieproduktion ist um mehr als 10 Prozent zurückgegangen – angetrieben vom Einbruch der energieintensiven Branchen, die seither ein Viertel ihrer Produktion verloren haben.
Und obwohl nur ein knappes Viertel der Wirtschaftsleistung in Deutschland auf die Industrie entfällt, können die anderen Branchen diesen Rückgang nicht ausgleichen. So liegt das deutsche Bruttoninlandsprodukt inzwischen niedriger als 2019 und so wird es weitergehen.
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Denn weder in der Eurozone noch in Deutschland ist Besserung in Sicht. Nach der Schrumpfung des deutschen BIP um 0,3 Prozent im vergangenen Jahr rechnet das arbeitgebernahe Forschungsinstitut IW für dieses Jahr mit einer weiteren Schrumpfung um 0,5 Prozent, das Forschungsinstitut Kiel Economics prognostiziert sogar minus 0,9 Prozent für 2024.
Die wirtschaftliche Entwicklung ist für die Eurostaaten prekär, weil sie in den vergangenen Jahren mit riesigen Ausgabenprogrammen versucht haben, Wirtschaft und Sozialstaat zu stabilisieren und aktuell wegen der schrumpfenden Wirtschaft neue Belastungen auf sie zukommen.
Druck auf die EZB steigt: Rufe nach Zinslockerung
Der Druck auf die EZB, den von Nagel als richtig beschriebenen Weg in der Zinspolitik zu verlassen und die Zinspolitik zu lockern, wird daher steigen. Denn niedrigere Zinsen dürften die Unternehmen zwar kaum zu Investitionen anregen, sie sind jedoch entscheidend, um vor allem Zombieunternehmen vor erdrückenden Zinslasten zu bewahren, die eine Insolvenzwelle auslösen könnten.
Zudem muss die EZB mit niedrigen Zinsen dafür sorgen, dass die Schuldenlast der hochverschuldeten Staaten der Eurozone verkraftbar bleibt. Der Druck zu der exzessiven Niedrigzinspolitik zurückzukehren, die seit Anfang der 2010er-Jahre in allen entwickelten Volkswirtschaften gesetzt war, wird umso größer, je deutlicher sich die Inflation dem EZB-Ziel im Bereich von 2 Prozent nähert.
Gegenüber dem Fernsehsender France 2 hat die EZB-Präsidentin Christine Lagarde nun erklärt, dass die Zinsen schon in den nächsten Monaten sinken werden, sofern man in der EZB überzeugt sei, dass das Inflationsziel im Jahr 2025 erreicht werden könne und die "Daten das in den kommenden Monaten bestätigen".
Inflationswelle ebbt ab: Entspannung in Sicht?
Die Inflationswelle der vergangenen drei Jahre dürfte indessen langsam abebben, auch wenn sie sich gegenwärtig nochmals aufbäumt und auch der Verbraucherpreisanstieg über eine längere Phase noch deutlich über dem EZB-Inflationsziel liegen könnte.
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So beschleunigte sich die Inflation in der Eurozone im Dezember auf 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat und lag damit 0,5 Prozent höher als noch im November. Auch in Deutschland stieg sie im Dezember auf 3,7 Prozent an.
Klimapolitik und Preistrends: Einfluss auf Inflation
In Deutschland könnte sich die Inflation vorläufig auf diesem hohen Niveau halten, denn inzwischen wollen wieder mehr Unternehmen die Preise anheben. Zudem wirkt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds inflationstreibend, da nun für dieses Jahr eine Milliardenlücke im Bundeshaushalt entstanden ist.
Dadurch mussten viele Subventionen kurzfristig gestrichen werden, die – wie etwa die 5,5 Milliarden zur Senkung der Netzentgelte beim Strom – dazu dienen sollten, Energiekostensteigerungen abzumildern, die von der ökologischen Klimapolitik ausgehen.
CO2-Besteuerung: Mehrbelastungen und Auswirkungen
Andererseits wird in diesem Jahr die CO2-Besteuerung verschärft, um den Bundeshaushalt zu entlasten, was sich ebenfalls inflationstreibend auswirkt. Die zum Jahresanfang von 30 auf 45 Euro je Tonne gestiegene CO2-Abgabe führt allein bei den privaten Haushalten zu Mehrbelastungen von 8,1 Milliarden Euro in diesem Jahr.
Für das Abebben der Inflation spricht, dass die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte, die sich in den vergangenen Jahren als verlässlicher Indikator des heranrollenden Verbraucherpreisanstiegs erwiesen hatten, nicht mehr steigen.
Seit Juli 2023 sinken sie sogar im Vergleich zu den jeweiligen Vorjahresmonaten. So ist der Preisindex der Erzeugerpreise von 100 im Jahr 2015 ab Anfang 2021 regelrecht nach oben geschossen auf 158,2 bis Dezember 2022, im November 2023 lagen die Erzeugerpreise wegen des Rückgangs wieder auf einem niedrigeren Niveau von 146,2.
Erzeugerpreise und Inflationsrückgang: Ursachenanalyse
Die Ursache für das Abebben der Inflationswelle liegt darin begründet, dass es den Unternehmen in den vergangenen Jahren weitgehend gelungen ist, vor allem die stetig steigenden Energiekosten, mit denen sie in den vergangenen Jahren und sogar Jahrzehnten konfrontiert waren, in den Wertschöpfungsketten bis an die Verbraucher weiterzureichen und auf sie abzuwälzen.
Über die von ihnen angetriebene Inflation haben es die Unternehmen geschafft, die schleichenden Wohlstandsverluste, die sich infolge der energiekostensteigernden Klimapolitik in ganz Europa, besonders jedoch in Deutschland ergeben, bei den Bürgern abzuladen.
Durch die Coronakrise und wegen der temporär auf unterschiedlichen Gütermärkten auftretenden Güterknappheiten sind die Unternehmen in eine Position gekommen, in der sie Preiserhöhungen durchsetzen konnten und auch mussten, um ihre eigene Profitabilität zu sichern.
Dieser Druck hatte durch die vom Ukrainekrieg ausgehende Energiekrise mit impulsartig steigenden Energiepreisen noch zugenommen. Dies hat eine Inflationswelle ausgelöst, da alle Marktteilnehmer versuchen mussten, mit ihren Preisanhebungen möglichst vor diese Welle zu kommen, um Verluste zu vermeiden.
Unternehmen trotzen den Herausforderungen: Gewinne steigen
So ist es der großen Masse der Unternehmen gelungen, die steigenden Kosten in den Lieferketten weiterzureichen und die eigene Profitabilität zu erhalten oder sogar zu erhöhen.
Das zeigt sich insbesondere an den gestiegenen Gewinnen der großen Konzerne, aber auch daran, dass die Unternehmensinsolvenzen zuletzt zwar etwas gestiegen sind, sich aber noch immer auf einem historisch niedrigen Niveau bewegen.
Realeinkommensverluste der Bürger
Anderseits führen die Realeinkommensverluste der Bürger vor Augen, dass die hauptsächlich von steigenden Energiekosten ausgehenden Wohlstandsverluste bei diesen abgeladen wurden.
Im 2. Quartal 2023 waren die durchschnittlichen Reallöhne in Deutschland im Vergleich zum 2. Quartal 2019 um satte 6,8 Prozent geschrumpft und es sieht nicht danach aus, dass dieser Reallohnverlust wieder aufgeholt würde.
Ganz im Gegenteil dürfte sich der Realeinkommensverlust bei weiter steigenden Energiekosten – und folglich erneut steigendem Druck auf die Unternehmen, diese Kosten wieder zu überwälzen – in einer nächsten Inflationswelle sogar vergrößern.