Infrastruktur Deutsche Bahn: Der Eiertanz im Deutschlandtakt
- Infrastruktur Deutsche Bahn: Der Eiertanz im Deutschlandtakt
- Die wahren Herausforderungen: Was will man opfern?
- Deutschlandtakt 2030: Wann hat das angefangen?
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Statt 2030 erst 2070 vollständig vertaktet? Was passiert zwischen Plan und Wirklichkeit? Wo sind die Super-Kräfte, die die Kundschaft verlangt? Was will man opfern? Den Käfer, die Umwelt, die Ruhe?
Januar. Kurz vor der Einfahrt in den Stuttgarter Hauptbahnhof droht in einer Regionalbahn aus Richtung Tübingen eine Art Bürgerkrieg, und das hat, wieder einmal, irgendwie mit Stuttgart 21 zu tun. Vor der Bahn sei eine andere Bahn liegen geblieben, wie der Zugführer gerade mitteilt.
Irgendwann nach einer halben Stunde geht es dann doch weiter. Doch nach der Einfahrt in den Stuttgarter Hauptbahnhof stellt sich heraus: Der Zug komme nun weder voran noch zurück, sagt eine Bahn-Mitarbeiterin. Man versuche, einen Zug zu finden, der den Liegengebliebenen abschleppt.
Rasend schnell vergrößert sich eine Welle der Verspätungen von Stuttgart aus über den Südwesten Deutschlands bis nach Frankfurt, München und darüber hinaus. Wegen einer kleinen, unscheinbaren Regionalbahn, die eigentlich nur Reisende aus der Provinz in die Stadt bringen sollte. Und dabei am falschen Ort kaputtgegangen ist.
In Momenten wie diesen wird eine Sache greifbar: Vor einem imposanten Bahnhof mit Bahnsteigen in zweistelliger Zahl verlaufen nur Gleise in einstelliger Zahl, über die alles läuft, das rein in den Bahnhof soll oder raus. Und wenn dort etwas nicht funktioniert, geht oft gar nichts mehr.
So kann schon ein einziges nicht funktionierendes Signal zwischen Kassel-Wilhelmshöhe und Fulda dazu führen, dass der gesamte Bahnverkehr zwischen Frankfurt, Hamburg, Berlin und vielen anderen Städten in dieser Richtung nur mit massiver Verspätung zum Ziel kommt. Und Halte wie in Fulda ausfallen müssen. Denn die Ausweichstrecken sind viel länger. Und oft auch ausgelastet.
Bahn zahlt Boni aus: Große Erregung, wenig Einblick
Nun machte die Meldung die Runde, die Bahn habe Tausenden Mitarbeitern Boni ausgezahlt – trotz der historisch schlechten Leistung bei Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit, so das einhellige Urteil der Medien.
Was aber zu wissen wäre: Diese Zahlungen sind vertraglich so vereinbart. Und der Aufsichtsrat der Bahn ist an diese Verträge gebunden, kann sie also nicht einfach kündigen, weil was nicht richtig läuft.
Und wenn man nach Stuttgart, nach Kassel-Wilhelmshöhe oder zu den anderen vielen Nadelöhren und Schwachstellen im Bahnsystem der Republik schaut, stellt man fest: Dass es immer wieder nicht funktioniert, liegt meist nicht an den Leuten, die heute für die Bahn arbeiten. Sie bräuchten Super-Kräfte, um alles auf einmal zu beheben. Aber so, dass es niemand mitbekommt.
Denn wenn was repariert wird, dann erzeugt das Streckensperrungen oder -einschränkungen und letztlich auch wieder Verspätungen. Und damit wütende Reaktionen bei Twitter und Facebook und damit letztlich in den Medien.
Das Versprechen des Deutschlandtakts: Alles ist pünktlich
Und daran wird auch der Deutschlandtakt nichts ändern, der in diesem Jahr auch schon mal kurz in den Medien vorbeigeschaut hat: Wahrscheinlich werde er wohl erst 2070 vollständig umgesetzt, sagte der Bundesbeauftragte für den Schienenverkehr, Michael Theurer (FDP), der Nachrichtenagentur AFP.
Doch ein Allheilmittel war dieser Deutschlandtakt ohnehin nie. In den meist knappen Medienberichten darüber klingt der D-Takt toll: Alles ist pünktlich; wenn man am Bahnhof ankommt, ist man schon wieder weg, weil alle Züge aufeinander abgestimmt sind.
Dahinter steht ein extrem schwer verständliches Konstrukt, das sich ungefähr so zusammenfassen lässt: Man entwirft erst einen Fahrplan, der unter bestimmten Prämissen erstellt wurde. Zum Beispiel: In den deutschen Großstädten soll alle 30 Minuten ein Fernverkehrszug fahren, und zwar immer genau zur selben Minute einer Uhrzeit.
Zudem soll der Fernverkehr an Knotenpunkten aufeinander abgestimmt sein. Und all’ das soll dann auch noch eng mit den Regionalbahnen verzahnt werden.
In der Realität sähe das dann so aus, dass man in beispielsweise Malsfeld im Knüllwald in die Bahn steigt, in Kassel-Wilhelmshöhe wenige Minuten später den Anschluss nach Hamburg erreicht, von wo es dann sofort weiter geht in Richtung Nordseeküste. Im Idealfall käme man schon allein aufgrund der kürzeren Umsteigezeiten zum Ziel.
Plan und Realität: Wohin mit dem Käfer?
Im ersten Schritt wurde also der Zielfahrplan entwickelt. Wie der aussieht, kann man in dieser Datenbank nachschauen. Im nächsten Schritt wird die Infrastruktur so geplant und gebaut, dass der Zielfahrplan auch umgesetzt werden kann, denn gerechnet wurde unter Annahmen, die es noch gar nicht gibt.
Zum Beispiel die Schnellstrecke Frankfurt-Mannheim. Seit 1993 wird die knapp 60 Kilometer lange Strecke geplant. Und seit damals weiß man auch, dass in und um Frankfurt herum etwas passieren muss, weil die Strecken den wachsenden Schienenverkehr auf Dauer nicht würden verkraften können. Doch man hatte die Rechnung nicht mit der Stadt Darmstadt gemacht.
Lautstark forderte die Lokalpolitik eine Anbindung an den Fernverkehr per ICE und drückte gleichzeitig auf die Bremse. In einem jahrzehntelangen Hin und Her forderten wechselnde Oberbürgermeister und Bürgerinitiativen mal diese, mal jene Streckenführung, mal würde auch über einen neuen ICE-Bahnhof außerhalb der Stadt diskutiert.
Dann einigte man sich darauf, dass ein Abzweig zum Darmstädter Hauptbahnhof gebaut wird, an dem dann ein paar Züge halten sollen. Im November 2021 wurde dann der Planfestellungsantrag beim Eisenbahnbundesamt für den Abschnitt Frankfurt-Darmstadt gestellt und ein Jahr später wieder zurückgezogen. Die Bahn musste den Antrag an die neuen Erfordernisse des Deutschlandtakts anpassen.
Schon Monate zuvor wurde zudem auf der geplanten Strecke der unter Naturschutz stehende Eichenbock-Käfer gefunden. Es begann eine Debatte darüber, wie man damit umgehen soll: Die Trasse verlegen? Die Bäume, in denen der Käfer wohnt, umpflanzen? Einen Tunnel untendrunter durch bauen?