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Interne EU-Protokolle: EU steht wegen Haltung zu Israel-Krieg massiv unter Druck

Harald Neuber

EU-Fahnen. Bild: rawpixel.com

Vertreter von EU-Rat und Mitgliedsstaaten diskutieren Umgang mit Kritik. Schaden im VerhĂ€ltnis zum Globalen SĂŒden befĂŒrchtet. Deutscher Diplomat macht besonders kreativen Vorschlag.

Der EU-Gipfel in BrĂŒssel sollte ein Befreiungsschlag werden: Die 27 Mitgliedsstaaten wollten einerseits SolidaritĂ€t mit Israel zeigen, andererseits die humanitĂ€re Lage im Gazastreifen nicht aus den Augen verlieren. Das ist grĂŒndlich misslungen: Unter den Augen der Weltöffentlichkeit trugen die EU-Staaten in der vergangenen Woche einen internen Konflikt aus, der am Ende niemanden zufriedenstellte.

Interne Protokolle zeigen nun: Die Kluft ist tiefer und breiter als bisher bekannt. Zudem wĂ€chst in der EU die Sorge vor einem außenpolitischen Prestigeverlust, sollte die Union die humanitĂ€re Katastrophe im Gazastreifen nicht deutlich genug benennen und sich fĂŒr eine Verbesserung einsetzen.

Vor dem Gipfel in Luxemburg hatten sich vor allem Spanien und Irland fĂŒr einen humanitĂ€ren Waffenstillstand ausgesprochen. Dies sei, so argumentierten beide Staaten, wegen der massiven BeeintrĂ€chtigung der Zivilbevölkerung durch die schweren Angriffe mit Explosivwaffen im dicht besiedelten Gazastreifen notwendig.

Vorrangig Deutschland und Österreich sprachen sich gegen diesen Ansatz aus. Am Ende rangen sich die EU-Staaten zu einer AbschlusserklĂ€rung durch, in der von humanitĂ€ren Pausen und geschĂŒtzten Korridore fĂŒr sichere Hilfslieferungen in den Gazastreifen die Rede ist. Die immer schwierigere humanitĂ€re Lage in Gaza gebe Anlass zu grĂ¶ĂŸter Besorgnis, hieß es am Ende in der GipfelerklĂ€rung der Staats- und Regierungschefs.

Im laufenden Krieg zwischen Israel und islamistische Gruppen unter FĂŒhrung der Hamas ruft die EU die Konfliktparteien zu einem kontinuierlichen, schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang fĂŒr Hilfslieferungen auf. Dazu gehörten auch "humanitĂ€re Korridore und Pausen fĂŒr humanitĂ€re Zwecke".

Diese ambivalente Haltung geht vielen Beobachtern nicht weit genug. Vor allem Staaten des Globalen SĂŒdens teilen die weitgehende SolidaritĂ€t der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten mit Israel nicht. In diesem Lager stĂ¶ĂŸt die Haltung der EU auf lauter werdende Kritik, der EU wird DoppelzĂŒngigkeit vorgeworfen. Sie lasse Israel durchgehen, wofĂŒr Staaten des Globalen SĂŒdens lĂ€ngst sanktioniert worden wĂ€ren.

Fast 9.000 Tote PalĂ€stinenser und Kritik an Doppelmaß der EU

Kritiker der EU zitieren immer wieder die Zahlen der UNO zum Israel-Krieg. Bis Ende Oktober wurden nach den regelmĂ€ĂŸig veröffentlichten Tagesberichten der UNO 8.825 Menschen im Gazastreifen getötet und 21.543 verletzt. Damit starben bereits vor Beginn der israelischen Bodenoffensive in Gaza weit mehr PalĂ€stinenser als Israelis, Tendenz massiv steigend.

Die zögerliche Haltung der EU-FĂŒhrung und ihrer Mitgliedstaaten wurde jĂŒngst von der Direktorin der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Tirana Hassan, scharf kritisiert. Bei einem informellen Austausch mit Vertretern des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) der EU prangerte sie eine grundsĂ€tzliche Doppelmoral der EU und ihrer Mitgliedsstaaten im Umgang mit Menschenrechten an.

Dies zeige sich vor allem in der einseitigen Verurteilung "von Verbrechen im Konflikt zwischen Israel und den PalÀstinensern", sagte ein deutscher EU-Diplomat nach dem Treffen Ende Oktober.

Nach Informationen aus diplomatischen Kreisen ist die Haltung der EU-Gremien und Mitgliedsstaaten angesichts der offensichtlichen Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen im laufenden Israel-Krieg keineswegs einheitlich.

So wiesen Vertreter des federfĂŒhrenden EuropĂ€ischen AuswĂ€rtigen Dienstes in der Sitzung des PSK, dem die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten angehören, darauf hin, dass Erfolge in der Menschenrechtspolitik der EuropĂ€ischen Union und Fortschritte in den Beziehungen zu LĂ€ndern des Globalen SĂŒdens angesichts der Polarisierung im Nahen Osten wieder verloren zu gehen drohten.

Und das war noch sehr zurĂŒckhaltend formuliert. Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas haben in den vergangenen Tagen und Wochen die Haltung westlicher Regierungen angesichts des Vergeltungskrieges der israelischen Armee gegen Ziele im Gazastreifen mit zum Teil scharfen Worten kritisiert. In den arabischen Staaten nehmen die Proteste zu.

Interne Protokolle zeigen: In der EU wÀchst die NervositÀt

Dabei ist den EU-Staaten die Dimension der humanitĂ€ren Katastrophe im Gazastreifen durchaus bewusst. Rund 40 Prozent der inzwischen fast 9.000 getöteten PalĂ€stinenser seien Kinder, informierte der EU-Sonderbeauftragte fĂŒr den Nahost-Friedensprozess. Sven Koppmanns, bei einem Treffen der EU-Krisenreaktionsgruppe IPCR. In einem Protokoll des Treffens Ende Oktober, das Telepolis vorliegt, wird der niederlĂ€ndische Völkerrechtsexperte mit einer deutlichen EinschĂ€tzung zitiert:

Die Kriegstaktiken, inklusive des Evakuierungsaufrufs und der Abriegelung von Gaza, hÀtten die humanitÀre Lage zu einer Katastrophe auswachsen lassen. Auch im Westjordanland sei die Lage angespannt und es komme tÀglich zu Toten. Regional seien steigende Spannungen zu beobachten. Mit Blick auf Positionen und Kommunikation zeige sich eine wachsende Kluft zwischen dem Westen und der arabischen Welt.

Sven Koppmanns

Das sehen dem Protokoll zufolge auch die Experten des EuropĂ€ischen AuswĂ€rtiges Dienstes fĂŒr strategische Kommunikation so. Bei dem Krisentreffen in BrĂŒssel hĂ€tten sie "in drastischen Worten" darauf verwiesen, "dass sich die öffentliche Wahrnehmung der EU in der Mena-Region, aber auch im gesamten Globalen SĂŒden seit dem 7.10. massiv verschlechtert habe." Das KĂŒrzen Mena steht fĂŒr "Middle East and Northern Africa", also die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens.

Dies liege, so die EinschĂ€tzung der EU-Experten, vor allem "an der in diesen Regionen so wahrgenommenen einseitigen Parteinahme der EU zugunsten Israels". Die Kommunikationsexperten des AuswĂ€rtigen Dienstes der EU rieten den Mitgliedsstaaten, in der Außenkommunikation – vor allem in sozialen Medien – zur ZurĂŒckhaltung. Sogar bei anderen Themen wie dem Klimawandel sollten EU-Vertreter von Postings absehen. Schon das könnte als unangemessen wahrgenommen werden.

Die EU bekommt die negativen Effekte also international deutlich zu spĂŒren. Die Antwort darauf erschöpft sich derzeit in einer positiven SelbstprĂ€sentation. Ein beteiligter deutscher Diplomat entwickelte diese Idee nach dem Treffen mit der PrĂ€sidentin von Human Rights Watch Ende Oktober im BrĂŒssel weiter.

Man solle sich den Vorwurf der Doppelmoral nicht zu eigen machen, merkte er gegenĂŒber dem Außenamt in Berlin an. Stattdessen solle man "auch taktisch klug das Verhalten von Drittstaaten aufzeigen". Als Beispiel nannte er die Haltung der Mitglieder der Organisation fĂŒr Islamische Zusammenarbeit gegenĂŒber dem Krieg in Jemen, zur Situation der Rohingya in Myanmar oder der Uiguren in China.

An anderer Stelle wĂŒrde man das als Whatsaboutism bezeichnen.


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