Internes Dokument an das Außenamt: Deutscher US-Botschafter warnt vor Energiekrieg unter Trump

Andreas Michaelis

Deutscher US-Botschafter Andreas Michaelis. Bild: U.S. Department of State / Public Domain

Mit LNG und Erdöl soll "America First" durchgesetzt werden. Dazu habe Joe Biden beigetragen. Doch auch in Deutschland gab es einen prominenten Helfer.

Die vom scheidenden US-Präsidenten Joe Biden kurz vor Ende seiner Amtszeit verhängten Sanktionen gegen Russlands Energiesektor spielen dem wiedergewählten Präsidenten Donald Trump in die Karten. Sie könnten sogar ein Element von Trumps "America First"-Politik werden.

Der Grund: Die Sanktionen werden es internationalen Erdöl-Importeuren fast unmöglich machen, weiter Geschäfte mit Russland zu betreiben. Das wird auch spürbare Auswirkungen auf die deutsche und europäische Energieversorgung haben.

Einige dieser Thesen stammen nicht aus Moskau. Sie stammt dem Sinn nach aus Washington. Genauer gesagt: aus einem Bericht des deutschen Botschafters in den Vereinigten Staaten, Andreas Michaelis. Das Papier ging in Berlin kurz vor dem Regierungswechsel in den USA ein und liegt Telepolis exklusiv vor.

Nach Einschätzung des Diplomaten wird die neue US-Regierung hohen Druck aufbauen, damit die durch westliche Sanktionen entstandenen Versorgungslücken mit US-amerikanischen Öl- und Gas-Exporten gefüllt werden. Diese Verkäufe seien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und politischer Hebel auf dem Weg zur angestrebten "Energiedominanz" der USA, so Michaelis' Prognose.

Internationale Erdölimporteure könnten so kaum mehr Geschäfte mit Russland machen. Der globale Energiemarkt wird sich also in kurzer Zeit entlang der neuen Bruchlinien der geopolitischen Neuordnung spalten.

Brisant in der Depesche: Der deutsche Botschafter weist explizit darauf hin, dass die Sanktionen gegen die russische Energiewirtschaft noch wenige Tage vor dem Regierungswechsel in den USA von Alt-Präsident Joe Biden verschärft worden sind. Anders ausgedrückt: Wenn es um die mächtige Energiebranche geht, gilt "America First" für Biden wie für Trump.

Energieexporte als Priorität

Und in Deutschland? Trumps designierter Außenminister Marco Rubio hatte in seiner Senatsanhörung explizit den Ausbau der Flüssiggas-Kapazitäten (LNG) hierzulande gelobt. Wirtschaftsminister Habeck hatte das "LNG-Beschleunigungsgesetz" durchgedrückt und – trotz aller Proteste der Grünen-Basis – in Rekordzeit drei Terminals für Flüssiggas errichten lassen; in Wilhelmshaven (Mitte Dezember 2022), Brunsbüttel (Anfang 2023) und Lubmin (beide Anfang 2023). Rubio dazu:

Ich erinnere mich daran, dass im Jahr 2018 der damalige Präsident Trump bei zwei Gelegenheiten, einmal bei den Vereinten Nationen und einmal wohl bei einer Nato-Konferenz, auf die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie als eine echte Schwachstelle hingewiesen hat. Er wurde dafür belächelt. Ich erinnere mich, dass die Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen darüber gelächelt haben. Er hatte tatsächlich zu einhundert Prozent Recht.

Diese Abhängigkeit von russischer Energie war ein bedeutender Verlust an Abschreckung. Wladimir Putin berücksichtigte bei seinen vielen Kalkulationen, als er in die Ukraine einmarschierte, dass die Europäer sich beschweren würden, vielleicht ein paar Sanktionen verhängen würden, ein paar scharf formulierte Briefe über ihn schreiben würden, aber letztlich nichts Effektives tun könnten, weil sie so stark von Russland abhingen und in einigen Fällen weiterhin abhängig sind.

Ich glaube, Frankreich ist der drittgrößte Zahler für russische Energie weltweit, und ich denke, ein paar andere Länder in Europa folgen dicht dahinter. Es gibt also immer noch eine erhebliche Abhängigkeit in dieser Hinsicht, und diese Abhängigkeit von russischer Energie ist ein enormer Hebel, den Wladimir Putin gegenüber seinen Nachbarn in Europa hat.

Es gibt jedoch auch gute Nachrichten. Ich habe zum Beispiel mit großem Interesse die deutsche Ingenieurskunst beobachtet, mit der sie es geschafft haben – nach Aufhebung der Genehmigungsanforderungen und innerhalb von neun Monaten – ein schwimmendes LNG-Terminal zu eröffnen, um Exporte, auch aus den USA und anderen Ländern zu empfangen.

Ich denke, man sieht jetzt in Europa Bestrebungen, sich von dieser Abhängigkeit zu lösen. Aber es bleibt eine echte Schwachstelle und ein enormer Hebel für Putin gegenüber seinen Nachbarn und der weiteren Welt.

Marco Rubio

"Das Thema Energiedominanz findet sich auf allen republikanischen Prioritätenlisten", schreibt Michaelis dazu in seinem Bericht an das Auswärtige Amt. Erwartet werde, dass die neue US-Regierung den Genehmigungsstopp für LNG-Terminals aus Bidens Amtszeit zügig beenden und weitere Exportlizenzen vergebe.

Damit hat – in den Worten des deutschen US-Botschafters – nicht nur Joe Biden seinem Nachfolger Donald Trump in die Karten gespielt. Auch der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat der "America First"-Politik mit den LNG-Terminals zugearbeitet.

Die USA und Russland stünden heute auf den globalen und europäischen Energie-Märkten in einem viel direkteren Wettbewerb zueinander als noch zu Trumps erster Amtszeit (2017–2021), so die Einschätzung der deutschen Diplomaten. Während Trump selbst stärkere Öl- und Gaslieferungen nach Europa auch als Mittel zum Abbau des europäischen Handelsüberschusses sehe, würden die Energieexporte einen immer bedeutenderen Teil der US-Wirtschaft ausmachen.

Differenzen in der EU

Trumps erneuter Wahlsieg und der absehbare Kurs der USA in der Energiepolitik dürften in der Europäischen Union für Diskussionen sorgen: Einerseits sehen einige EU-Staaten, darunter auch Deutschland, in einem Ausbau der Energie-Zusammenarbeit mit den USA eine Chance, die transatlantischen Beziehungen nach schwierigen Jahren wieder zu verbessern. Der Wegfall russischer Lieferungen könnte durch die US-Exporte kompensiert werden.

Auf der anderen Seite dürften Trumps "America First"-Ansatz, sein angekündigter Rückzug aus internationalen Klimaabkommen und der Fokus auf fossile Brennstoffe in Teilen der EU auf Kritik stoßen. Viele EU-Länder setzen auf einen schnelleren Übergang zu erneuerbaren Energien. Das aber wäre eine direkte Bedrohung der US-amerikanischen Geschäftspläne.

Uneinigkeit herrscht nach auch in der Frage, wie mit den US-Sanktionen gegen Russland umzugehen ist. Während einige osteuropäische Staaten die harte Linie mehrheitlich begrüßen, fürchten andere EU-Länder eine weitere Eskalation der Spannungen mit Moskau.

Mit den nun verabschiedeten Russland-Sanktionen würden der Ausbau der US-amerikanischen LNG- und Öl-Lieferungen nach Europa absehbar in den Vordergrund der transatlantischen Beziehungen rücken, prognostiziert der deutsche Botschafter in Washington. Man müsse die sich ergebenden Anknüpfungspunkte nutzen, um das Verhältnis zur neuen US-Regierung positiv zu entwickeln.

Dies scheint nötig, weil Washington partei- und regierungsübergreifend den Kurs in der Energiepolitik derzeit massiv verschärft. Noch in den letzten Tagen der Biden-Regierung wurde die General License (GL, deutsch etwa: Generalerlaubnis) 8k erheblich abgeändert. Die Bestimmung der Sanktionskontrollbehörde des US-Finanzministeriums, Ofac, regelt die Energietransaktionen mit bestimmten russischen Unternehmen. Sie sollte ursprünglich bis Ende April 2025 gelten.

Dann aber widerrief das US-Finanzministerium die GL 8k plötzlich und erließ am 10. Januar die General License 8l. Die GL 8l erlaubt die Abwicklung von Energiegeschäften mit russischen Energieunternehmen nur bis zum 12. März 2025. "Dies bedeutet, dass es nach dem 12. März keine Generallizenzen für Energiegeschäfte mit Russland mehr gibt", stellt die deutsche Botschaft in Washington dazu fest.

Nach statistischen Angaben aus den USA liegen die weltweiten Rohölexporte der USA heute bei etwa vier Millionen Barrel pro Tag, im Januar 2017 waren es noch 700.000 Barrel pro Tag. Einen ähnlichen Anstieg verzeichnen, so zeigt der Blick in die Regierungsstatistiken, die LNG-Verkäufe.

Im Januar 2017 exportierte der US-Markt etwa 1,7 Milliarden Kubikfuß pro Tag (Bcf/d) verflüssigtes Erdgas. Nach drei Jahren Ukraine-Krieg und zahlreichen Sanktionspaketen der USA und der EU liegen die monatlichen Exporte inzwischen bei über zwölf Milliarden mit Bcf/d.

Nach Einschätzung des deutschen Botschafters in Washington hat sich die US-amerikanische LNG-Industrie zu einem integralen Bestandteil der US-Wirtschaft entwickelt und ist bedeutend für die Deckung des weltweiten Energiebedarfs; "replacing almost half of lost Russian gas into Europe", wie es im US-Branchennewsletter Daily Energy Insider heißt: Fast die Hälfte des verdrängten russischen Erdgases auf dem EU-Markt würde inzwischen von US-Unternehmen ersetzt.

Vieles werde davon abhängen, heißt es aus der Botschaft in Washington, in welchem Maße die Sanktionen tatsächlich durchgesetzt werden. Die Maßnahmen vom Freitag – also die Änderung der Ofac-Bestimmung – richteten sich "direkt gegen den russischen Energiesektor".

Dadurch werden es Öl-Importeuren absehbar schwer machen, mit Russland weiter Geschäfte zu machen. Sie sendeten zudem eine deutliche Botschaft an Länder, die weiterhin russisches Öl importieren. "Diese Länder könnten Gegenstand von US-Sanktionen werden, wenn sie weiterhin Öl aus Russland beziehen", so die deutsche Botschaft.