Internet-Zensur durch Medienkonglomerate?
Verunsicherungskampagne der Medienindustrie zeigt Wirkung
"Wir werden Technologien entwickeln, die über den einzelnen Benutzer hinausgehen. Wir werden Napster an der Quelle mit Firewalls bekämpfen - wir werden es bei Ihrem Kabelbetreiber blockieren - wir werden es bei Ihrer Telephongesellschaft blockieren - wir werden es bei Ihrem Internet-Provider blockieren, wir werden es mit Firewalls an Ihrem PC bekämpfen"
So Steve Heckler, Vizepräsident von Sony Pictures Entertainment, Mitte das Monats auf der Americas Conference on Information Systems 2000 vor Computerfachleuten im kalifornischen Long Beach. Die markigen Worte von Heckler gemahnen eher an das Hitmen-Kommando einer Yakuza-Gruppe als an ein Unternehmen das sich an demokratische Rechtsordnungen hält: "Die Musikindustrie wird alle Schritte, welche auch immer nötig sein mögen, unternehmen, um ihre Einkünfte zu sichern. Sie wird diesen Einkommensstrom nicht verlieren, geschehe was wolle [...] wir werden aggressive Schritte unternehmen, [denn] es steht zu viel auf dem Spiel. Leere Drohung oder Auswuchs einer Initiative zur Zensur des Internets durch Medienkonglomerate? Konzerne wie Sony und AOL Time Warner verfügen in einem Ausmaß über wirtschaftliche Macht, dass diese sich durchaus in Zensurmacht ummünzen läßt. Ein Diktat der Inhalte an abhängige Kabelnetze oder Internet Provider ist theoretisch denkbar. Anfang Mai 2000 sperrte der Time Warner Konzern das Programm des Fernsehsenders ABC in elf amerikanischen Großstädten für eineinhalb Tage aus seinem Kabelnetz aus. Der Vorfall rief die Gefahr der Machtkonzentration bei Medienkonzernen ins Bewusstsein. Ausgerechnet der Disney-Konzern, Inhaber von ABC-TV und sonst nicht zimperlich im Einsetzen seiner Macht (man denke nur an die Verabschiedung des Sonny Bono Copyright Term Extension Acts) forderte in einer Eingabe an die Federal Communication Commission das Verbot der Blockade unangenehmer Inhalte durch den mit AOL fusionierten Time Warner Konzern (Vgl. "Disney verlangt Auflagen für Fusion AOL/Time Warner")
Als Ende April 2000 die amerikanische Heavy-Metal-Band "Metallica" den Internetdienst Napster verklagte, der seinen Benutzern den Tausch von Musikdateien über das Internet ermöglichte, sperrte daraufhin eine Reihe von amerikanischen Universitäten - in denen wegen der schnellen Internet-Anbindungen und der jugendlichen Benutzer Napster besonders intensiv genutzt wurde - den Service aus ihren Netzwerken. Unter anderem waren auch die University of Southern California, Harvard und Yale beteiligt. Der 1998 verabschiedete Digital Millenium Copyright Act (DMCA) macht Internet Provider verantwortlich für Copyrightverletzungen durch ihre Benutzer, solange sie keine aktiven Schritte zur Verhinderung solcher unternehmen. Da viele Anbieter die Kosten eines Prozesses mit scheinbar finanzallmächtigen Konzernen scheuen, sperren sie Webseiten, Benutzer oder Ports, auch wenn tatsächliche Rechtsverletzungen nicht vorliegen.
Am 27. April 2000 stellte Microsoft den Quellcode seiner Kerberos-Implementierung, eine zur Ausschaltung potentieller Konkurrenz bis zur Inkompatibilität erweiterte proprietäre Version eines offenen Standards, mit dem auf Netzressourcen zugegriffen wird, zusammen mit einer Lizenzvereinbarung zum freien Download in das Internet. Die Lizenzvereinbarung verpflichtet den Lizenznehmer den Quellcode "niemand anders offen zu legen." Anfang Mai 2000 berichtete Slashdot über den Vorgang. Einige der Teilnehmer an der Diskussion zu dieser Meldung posteten Teile des Quelltextes oder Links zu Webseiten, die den Kerberos-Quelltext bereitstellten. Microsoft stellte Slashdot daraufhin eine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzungen zu und forderte - unter Berufung auf den Digital Millenium Copyright Act - Slashdot auf, die Beiträge aus dem Forum zu entfernen (Vgl. "Microsoft mahnt Open-Source-Sprachrohr Slashdot ab". Das Prinzip von Slashdot ist, dass Kommentare von Lesern zwar geordnet werden, gleichzeitig aber kein Beitrag gelöscht wird - was als Verstoß gegen die Redefreiheit gesehen werden würde. Microsoft griff genau dieses Prinzip an, als es von Slashdot die Löschung von Postings, in denen ungenehmigt auf Kerberos verwiesen wurde, verlangte.
Wie Larry Lessig von der Harvard Law School dargelegt hat, besteht das Internet aus Code und aus Rechtsordnung. Beides ist veränderbar. Entgegen verbreiteten Ansichten erschwert zwar die derzeitige Struktur des Netzes traditionelle nationalstaatliche Formen der Kontrolle - das ist aber nicht auf ewig festgeschrieben, sondern ändert sich zunehmend. Die "eingebaute Freiheit" des Netzes verschwindet, das Netz verwandelt sich in einen Ort, an dem Kontrolle noch perfekter als in der "realen Welt" möglich ist. Als besonderes Problem sieht Lessig die Ausübung dieser Kontrolle nicht durch demokratisch legitimierte Instanzen, sondern durch große Unternehmen.1
Der Politik kommt hierbei nicht mehr die Rolle des unmittelbaren Zensors zu , sie ist lediglich Steigbügelhalter der Medienindustrie und schafft, etwa mit dem DMCA, den straf- und urheberrechtlichen Rahmen für die zensierenden Eingriffe der Wirtschaftsgrößen.
Im Frühjahr 2000 leitete die USSC, die US Sentencing Commission, ein Paket mit von der Industrie angeregten Richtlinien an den Kongress weiter. Darin werden drakonische Strafen für die Benutzung des Internets zur Begehung von Straftaten gefordert. Die Initiative dient vor allem der härteren Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, durch welche die amerikanische Medienindustrie ihre Profite gefährdet sieht.
Die alte IBM-Taktik FUD (Fear, Uncertainty, Doubt), die in jüngster Zeit auch von den Medienkonglomeraten eingesetzt wurde, zeigte bereits Wirkung. Eine quantifizierenden Studie am Xerox Palo Alto Research Center belegte, was sich viele schon dachten: Beim Dateitauschsystem Gnutella bieten wenige Personen viele Dateien an, aber viele downloaden ohne selbst Dateien anzubieten. 25% der Benutzer stellten innerhalb des 24-stündigen Untersuchungszeitraums 98% der Dateien. 1% der Benutzer stellte 40% der Dateien. Der von den Forschern Eytan Adar und Bernardo Huberman als "Tragedy of the Commons" (Verfall der Allmende/des Gemeineigentums) interpretierte Effekt ist zum Teil auf das von der Medienindustrie herbeigeführte Klima der Angst zurückzuführen. Während der Download von MP3-Dateien von sehr vielen Juristen in Deutschland als eindeutig legal angesehen wird, bestehen beim Anbieten von Dateien Zweifel. Da bei Gnutella die IP-Nummer des Anbieters (mit welcher dessen Identität ermittelt werden kann) sichtbar ist, schrecken viele Benutzer wegen der unklaren Rechtslage vor einer Bereitstellung von Dateien zurück. Zensur erzieht aber immer auch zu ihrer Umgehung:
Eine langfristige Lösung des Problems bietet wohl nicht nur Dezentralisierung, wie bei Gnutella, sondern Verschlüsselung, wie bei FreeNet (das ausdrücklich auch als Werkzeug für Dissidenten in autoritären Staaten dienen soll) oder MojoNation. Letzterer Service löst, sollte er denn einmal anständig funktionieren, mit seiner digitalen Währung auch das Problem der "Tragödie des Gemeineigentums." Wobei nicht vergessen werden sollte, dass die eigentliche "Tragedy of the Commons" im 15. und 16. Jahrhunderts nicht etwa deren mangelnde Pflege durch die Kleinbauern, sondern schlicht der Raub dieser Güter durch den Adel war. Aber Wiesen lassen sich auch nicht verschlüsseln.
Schöner tauschen III Mojo Nation: Die ultimative Mischung aus Napster und eBay?