Internet unter Kontrolle!?
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Herrscher und Hierarchien im Netzwerk
Auf der Telecom Interactive 97 in Genf ging es vor allem darum, wie man das Internet besser unter Kontrolle bringen kann - auf technischer, inhaltlicher und vor allem ökonomischer Ebene. Stefan Krempl berichtet von den Plänen und Projekten.
"Das Internet ist der Traum eines jeden Regulierers. Es bietet so viele aufregende Dinge, die man in Ordnung bringen kann", faßt Don Heath, der aufgrund all der drängenden Regulierungsanforderungen rund um das Netz kaum noch Schlaf findende Präsident der Internet Society (ISOC), die seit langem andauernde und auf der Telecom Interactive 97 in Genf Anfang September erneut ausgiebig diskutierte Kontrollfrage mit einem letzten Anflug von Ironie zusammen. Der Humor scheint ihm allerdings seit langem vergangen, und seine gebetsmühlenhaft vorgetragenen Forderungen nach der für die Ausschöpfung der vollen Potentiale des Netzes einzig erfolgversprechenden "Selbstregulierung" klingen wie die Schreie eines Verdurstenden in der Wüste nach Wasser.
Denn auch er weiß schließlich, daß die Tage gezählt oder bereits vorbei sind, in dem der Cyberspace die Möglichkeit und die "Freiheit bot, eine neue Umgebung ohne Kontrolle zu erforschen." Sein Wunsch, dieses einmalige "environment" in Form des Internet zu erhalten, klingt zumindest wie eine aus alten Zeiten übriggebliebene Illusion angesichts des ökonomischen und politischen Drucks, der von allen Seiten auf das Internet ausgeübt wird.
Der Kurzbericht von Stefan Krempl über Telecom Interactive 97 in Genf
Als reines Experimentierfeld kann das Netz nicht den Ansprüchen von Unternehmen als Marktplatz der Zukunft und auch nicht den Vorstellungen der Politiker von einem demokratiefördernden und von Kindern sowie Greisen gleichermaßen genutzten Handels- und Diskussionsplatz gerecht werden. Sauberkeit, Ordnung, Verläßlichkeit und Servicegarantie sind die Ansprüche an das Massenmedium der Zukunft, die Grundbedingungen für das Erreichen der für die Wirtschaft so dringend benötigten "kritischen Masse" an Nutzern.
Während Heath sich noch wünscht, daß das Internet auch in Fragen von Sicherheitsvorkehrungen, Jugendschutz oder intellektuellem Eigentum noch vor jeder Regulierung "von uns allen bis an seine Grenzen ausgetestet" werden soll, werden in Unternehmen der Medien-, Computer- und Telekommunikationsindustrie gleichzeitig die Claims und Standards des Cyberspace abgesteckt und verteilt sowie in Verwaltungen weltweit neue Gesetze oder Rahmenwerke diskutiert bzw. verabschiedet. Das Netz stellt sich längst nicht mehr als rein anarchistischer Treffpunkt einer skurrilen Gemeinde aus Akademikern, Technofreaks, Hackern und Hippies dar, es hat mit der Kommerzialisierung seiner Infrastruktur, seiner Inhalte und seiner Basisökonomien einen wichtigen Wendepunkt überschritten und ist nun Objekt der Begierde der gesamten Wirtschaft sowie alleiniger Hoffnungsträger im Übergang zum Information Age. Kaum verwunderlich ist daher, wenn der Kampf um die Gestaltung der Infobahn der Zukunft voll im Gange ist und die Verteilung der Macht um die Kommunikationsmittel der Informationsgesellschaft sich nach wie vor in einer kaum noch zu überschauenden Zahl von konvergierenden, kopulierenden und sich konzentrierenden Industriezweigen und Unternehmensgruppen manifestiert.
Herausforderung Internet
Und doch kann das Internet immer noch für manche Firmengruppe und manchen Regulierer zum Alptraum werden. International bzw. potentiell global in seiner Reichweite, dezentral und verzweigt von seiner Architektur her, offen in seinem grundlegenden Protokollstandard, stellt das Netz eine Herausforderung an jede Institution oder Industrie dar, die es unter Kontrolle bringen möchte.
Wichtige Werte in seiner über 25jährigen Geschichte waren bisher die Interoperabilität der einzelnen Teilnetzwerke und der Standards für den Informationsaustausch, die dezentralisierte Verteilung von Macht, Kontrolle, Initiative und Autorität sowie die mehr oder weniger automatisch ablaufende Koordination zwischen den einzelnen Betreibern. (vgl. Gillet/Kapor: The Self-governing Internet) Eine tatsächliche Kontrollbehörde gibt es daher bis auf den heutigen Tag nicht, auch wenn de facto die ISOC mit ihren zahlreichen Untergremien - von der Internet Engineering Task Force (IETF) bis zum Internet Architecture Board (IAB) - bisher die technischen Grundbedingungen für den Betrieb des Netzwerkes in mehrstufigen Abspracheprozessen "festgelegt" hat.
Internet governance is in part so challenging because the Internet demands to be international. But the Internet is also operated within countries, each of which may insist on the exercise of certain sovereign rights... Critical issues will not wait for administrative processes to catch up. Where these issues transcend national boundaries, they must be handled on an international basis. The global Internet is consequently not regulated per se, but is administered in a distributed fashion.
Report der International Telecommunication Union: Challenges to the Network. Telecoms and the Internet.
Doch heute geht es neben den Erweiterungen der rein technischen Basisstrukturen des Netzes - wie der Verabschiedung eines neuen Internetprotokolls (Internet 2010 Teil II) - mehr und mehr um inhaltliche Regulierungs- und Machtfragen, um komplexe gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Bereiche wie Sicherstellung der Privatsphäre, das Abschließen von Verträgen über das Netz, Einkaufen in Cybermalls, Steuern, Copyright etc. Fragen dieser Art überschreiten naturgemäß bei weitem die Regelungskompetenzen der ehemals am Aufbau und der Erweiterung beteiligten Netz-Instanzen wie etwa der ISOC und entwickeln sich zu einer mit bedeutender Sprengkraft versehenen Bombe für das Internet selbst: Eng ist der Pfad zwischen Über- und Unterregulierung im weit verteilten Interessensfeld der alten und neuen, wirtschaftlichen und privaten Netzgemeinden, der Contentanbieter, der industriellen Lobbygruppen und der Politiker inzwischen geworden. Und sehr unterschiedlich sind die Motivationen für den "Gang ins Netz" und den Gebrauch des neuen Multimediums. Und während die einen auf die Kräfte des Marktes und auf die "unsichtbare Hand" ihre Hoffnungen setzen, plädieren die anderen für die zentral gesteuerte, starke Hand der Politik.
The IETF works well with technological things. But all gets complicated with content.
Don Heath, Präsident der Internet Society
Bemerkenswerterweise dienen sich momentan Institutionen und Interessensverbände der "alten" Industrien und Medien an, um als Plattform für die Zukunftsentscheidungen im "neuen" Datenreich zu fungieren. Fragen, die über die rein technischen Standardangelegenheiten hinausgehen, werden zumindest verstärkt unter der Federführung der International Telecommunication Union (ITU) (vgl. Bericht), der World Trade Organization (WTO) oder der World Intellectual Property Organisation (WIPO) behandelt, wie etwa jüngst bei der zu einem kritischen Marktelement gewordenen zukünftigen Namensvergabe im Rahmen der Neugestaltung des Domain Name Services oder im Dezember 1996 bei der faktischen Übertragung des traditionellen Urheberrechts auf die digitalen Medien sowie der Ausweitung des Copyrights auch auf mit eigener Leistung erstellter Datenbanken im Rahmen einer WIPO-Konferenz.
Wie Don Heath während seiner inzwischen einjährigen Amtszeit bei der ISOC erfahren durfte, steht IP eben "nicht für Internet Protocol, sondern für Intellectual Property." Und während er in einem Grußwort an die ISOC im "Verbandsblatt" On the Internet vor einem Jahr noch erklärte, wie wichtig es sei, daß das Netz "jedem gehört" und "nicht der Internet Society, der IETF, Regulierungsbehörden oder Unternehmensinteressen", und daß seine grundlegenden Abläufe auch nicht notwendigerweise "unter einer großen globalen Organisation institutionalisiert" werden müßten, spielte er auf der diesjährigen Telecom Interactive dem Gastgeber eine tragende Rolle zu: "Die ITU sollte als eine hauptsächliche Partei mit in die Entscheidungsfindungen einbezogen werden, da sie für die Infrastruktur aufkommt."