Internetaktionismus militanter amerikanischer Abtreibungsgegner
Während der Eine als Internetprovider für Abtreibungsgegner auftritt, erwirbt der Andere Domainnamen mit Namen bekannter Firmen und Medien zur Umleitung auf Anti-Abtreibungssites
Neal Horsley, ein militanter Abtreibungsgegner, der durch die Website Nuremberg Files bekannt wurde, versucht, sich eine neue Verdienstquelle zu erschließen und gleichzeitig seinen Kampf gegen die Abtreibung im Netz zu forcieren. Nachdem er von seinem Arbeitgeber entlassen wurde, weil dieser in einem Artikel des Wall Street Journal im Mai genannt wurde und dies sich negativ auf das Unternehmen auswirken würde, hat Horsley kurz entschlossen mit We Choose Life Net ein Portal für Abtreibungsgegner eingerichtet und bietet seine Dienste für ähnlich weltanschaulich Ausgerichtete auch als Provider an. Ein Viertel der dadurch eingenommenen Gebühren sollen dem kampf gegen die Abtreibung zufließen.
Seinen Namen hatte sich Horsley mit den Nuremberg Files gemacht, da er auf der Website die Namen, Adressen und Fotos von Ärzten und Klinikmitarbeitern veröffentlicht, die Abtreibungen vornehmen, sie als "Babyschlächter" anklagt und indirekt bedroht. Anfang Februar 1999 hatte das Bundesgericht in Portland, Oregon, mit einem einstimmigen Urteil die Betreiber der Anti-Abtreibungswebsite zu Geldstrafen in Höhe von über 100 Millionen US-Dollar verurteilt, da diese indirekt zur Tötung aufrufen. In den USA wurden auch bereits einige Ärzte getötet und Anschläge auf Kliniken ausgeführt. Beispielsweise veröffentlicht Horsley hier noch immer eine Liste der "Babyschlächter", auf der die toten Menschen durchgestrichen und die verwundeten in grauer Schrift aufgeführt werden (Abtreibungsgegner verurteilt).
Horsley legte Berufung gegen das Urteil ein und gewann im Frühajr 2001 den Prozess. Auch wenn auf der Website Namen, Adresse und Fotos von Ärzten, Suchplakate und Listen mit Opfern von Anschlägen veröffentlicht würden, könne man sie nicht verbieten und ihre Betreiber zu Geldstrafen verurteilen. Auch derartige Äußerungen seien von der Verfassung geschützt, selbst wenn sie einschüchtern und zu Angriffen anstiften können, sofern nicht explizit zur Gewaltausübung aufgerufen wird: "Politische Meinungsäußerungen dürfen nicht deswegen bestraft werden, weil sie es wahrscheinlicher werden lasen, dass jemand zu irgendeiner Zeit in der Zukunft von einem nicht damit verbundenen Dritten verletzt werden könnte", begründeten die drei Richter, die das Urteil einstimmig gefällt haben. Politische Aktivisten würden nun einmal Worte mit dem Versuch äußern, die Gegner ihrem Willen zu unterwerfen. Einschüchterung ohne direkte Androhung von Gewalt gehört also nach Ansicht des kalifornischen Berufungsgerichts zur politischen Kultur (Einschüchterung gehört zur politischen Kultur).
Der Wall Street Artikel berichtete schließlich über Horsleys neueste, wenn auch schon lange angekündigte Aktion, WebCams vor Abtreibungskliniken aufzustellen, um so Bilder von Frauen, die Abtreibungskliniken besuchen, oder von anderen Menschen, die dort arbeiten, zu veröffentlichen. Seit September 2001 wurde auch US-Präsident Bush auf die Liste der "Schlächter" gesetzt, weil er die beschränkte Nutzung von embryonalen Stammzellen in der mit öffentlichen Geldern geförderten Forschung befürwortet hat. Bush, ein erklärter Abtreibungsgegner, hatte sich unter großem Druck zu dieser Entscheidung durchgerungen, die die Forschung mit bereits existierenden Stammzellenlinien erlaubt, weil dafür keine weiteren Embryos getötet werden müssen. Für Horsley ist diese Entscheidung ein Pakt mit dem Teufel. Die Aufnahme in die Liste, so will es Horsley sehen, sei ein Beleg dafür, dass Bush die Unterstützung der Abtreibungsgegner verloren habe (Bush im Visier militanter Abtreibungsgegner).
Horsley hat sich für sein neues Projekt mit Dwayne Coots zusammen getan, der bereits als weltanschaulich festgelegter Provider für die "amerikanische patriotische Bewegung" ("Internet Access for REAL Americans!") seine Dienste anbietet. Auf dieselbe Weise ist nun "We choose Life" der "ISP of the Abortion Abolition Movement". Horsley preist denn sein "Netzwerk" gehörig an. Es ginge um weitaus mehr als nur darum, dass man damit Geld zur Unterstützung der Abtreibungsgegner gibt, sondern es sei "die erste und bislang einzige Maschine zur politischen Organisierung der Anti-Abtreibungsbewegung in Echtzeit".
Und auch Gott hilft da natürlich nach, denn dieser hat in seiner Vorhersehung das Internet ins Leben gerufen, um es damit der Abtreibungsbewegung zu ermöglichen, sich zu organisieren und ihren Willen durchzusetzen. Das Netzwerk sei denn auch genau so, "wie eine technisch versierte und absolut entschlossene Minderheit heute aussieht, wenn sie begonnen hat, einer abtrünnigen Nation den letzten Stoß zu geben ..." Noch seien die Abtreibungsgegner eine kleine Minderheit und isoliert in der Masse der Menschen, auch wenn ihre Anhänger bereits in die Hunderttausende gingen. Über das Internet lassen sich die Menschen zu einer virtuellen Gemeinschaft verbinden, wodurch ihre Einflussmöglichkeit wächst. Und wenn man schon Geld an einen normalen Internetprovider zahlt, dann sollen die Abtreibungsgegner jetzt die "Kräfte des Todes" verlassen und mit dem gleichen Geld einen "Ort des wirksamen Widerstands" unterstützen. Angeboten wird natürlich auch "familienfreundliches" Filtern und ein Browser zum anonymen Surfen.
Mit von der Partie ist auch Williamd Purdy, der eine andere Strategie des Internetaktionismus verfolgt. Er hat eine ganze Reihe von Domainnamen wie www.ACLU.cc, die auf eine Website gegen Abtreibung oder auf die Webcam-Site von Horsely umgeleitet werden. Auch Purdy versteht sich als politischer Avantgardist, der glaubt, mit Domains wie ACLUaborts.com, www.acluMURDERS.com oder acluSAYS.com Namen ausgewählt zu haben, die ihm nicht mehr streitig gemacht werden können, weil sie eine Aussage enthielten und daher von der Verfassung als Meinungsfreiheit geschützt werden müssten.
Allerdings hat Purdy erst am 23. Juli einen Prozess (Coca-Cola Company, et al. v. Purdy) verloren und musste wegen der Verwechslungsmöglichkeiten mit bekannten Markennamen einige Domains an große Unternehmen wie die Washington Post, McDonald's, PepsiCo oder Coca-Cola zurückgeben. Das betraf beispielsweise WashingtonPostMURDERS.com, WashingtonPost.cc oder WashingtonPostSays.com, während er weiterhin www.ABORTwashingtonpost.com benutzen darf. Das Gericht untersagte ihm zwar, weitere Websites mit bekannten Markennamen einzurichten, Purdy will allerdings in Berufung gehen und hat angekündigt, Websites mit Namen wie bloodycoca-cola.com oder pepsideathmills.com einzurichten. Für ihn ist sein Vorgehen "ein ganz neuer Ansatz, über ein Thema zu 'sprechen' und gegen etwas protestieren".