Internetcafes rund um die Uhr
Internetcafes sorgen in China für den Zugang zum Internet, stellen eine gute Geldquelle dar und verändern das Leben
Wie viele Wangba, also Internetcafes, es heute in China gibt, weiß niemand, auch nicht, wie viele es in Peking oder Shanghai geben könnte. Es gibt registrierte Internetcafes, aber auch nicht registrierte, die man in China Hei Wangba, nämlich schwarze oder Untergrund-Internetcafes nennt. Eins steht jedoch fest: Es gibt sehr, sehr viele registrierte und solche ohne Lizenz.
Wer ist der Hexenmeister?
Seit mehr als drei Jahren sind Internetcafes eines der florierendsten Geschäfte in China. Von Millionenstädten bis zu kleinen Kreisstädten ist Wangba ein Begriff, Synonym für einen aufblühenden Wirtschaftszweig. Im Dezember 2000 hat das größte chinesische Web-Portal "Sina.com" die Nachricht veröffentlicht, dass es Vorbereitungen für die Errichtung eigener Internetcafes in acht Provinzhauptstädten sowie in Shanghai und Shenzhen getroffen hat. Die anderen Web-Portale eifern ihm nach.
Dass "Sina.com" nicht die Hauptstadt Peking ins Visier genommen hat, hat seinen Grund. Dort findet man bereits die größte Wangba Chinas, "Feiyu", betrieben von einer Firma mit inzwischen mehr als 300 Internetcafes landesweit. Inzwischen entsteht eine Kette nach der anderen. Sogar ein bekannter Möbelproduzent, die "Guangming Gruppe", will angeblich finanzielle Mittel im Umfang von umgerechnet 10 Millionen US$ in Wangba investieren - für die Errichtung von 20.000 Internetcafes im ganzen Land. So würde "Feiyu" trotz der Ambition, 3.000 Filialen landesweit zu eröffnen, von "Guangming" (was soviel wie "Licht" bedeutet) völlig in den Schatten gestellt. Auf Chinesisch heißt das: xiaowu jian dawu: der junge Hexer verblasst neben dem alten Hexenmeister.
Es handelt sich anscheinend um das Aufstellen von Rekorden. Jede Gruppe will gleichsam als der Hexenmeister auftreten. Die "Shi Kong" Gruppe hat im März dieses Jahres ihren Plan durchsickern lassen, dass sie in 40 Städten 50.000 Internetcafes errichten wird. Die angeblich größte Wangba-Kette Chinas, das "Ostnetz" aus Shanghai, schmiedet gerade Pläne für Gegenmaßnahmen. Der Internet-Journalist Xu Mingyuan analysiert folgendermaßen die Intention der Wangba-Pioniere in China: "Nicht unvernünftig war eigentlich die Idee, die das Management verschiedener Web-Portale zur Zeit verfolgt: Durch Wangba wollen sie sich vor allem bekannt machen, eine Brücke zwischen den Internetanbietern und -nutzern schlagen und auf diese Weise natürlich die Nutzer für sich gewinnen. Das bedeutet auch Geld."
Eine richtige Geldquelle
Mit Wangba verdient man tatsächlich sehr viel. Die Kosten sind von Stadt zu Stadt, von Bar zu Bar verschieden. In Peking kostet z. B. eine Stunde Nutzung 3 bis 5 Yuan; eine Nachtkarte (von 12 bis 7 Uhr) kostet 15 bis 20 Yuan. Man kann sich in manchen Wangba auch für 100 Yuan (ca. 12 Euro) eine Karte für 30 Stunden besorgen - allerdings nur für die Zeit nach 12 Uhr nachts. Mittags von 11 bis 1 Uhr, nachmittags von 17 bis 18 und abends von 21 bis 23 Uhr ist der Andrang am stärksten. In diesen Spitzenzeiten kostet die Nutzung oft deutlich mehr.
Für einen Durchschnittschinesen sind aber 700 Yuan schon das ganze Monatseinkommen. In den mittleren und Kleinstädten Chinas haben 80% der Internetnutzer erst dank der Wangba dieses neue Medium kennen gelernt. Für die meisten chinesischen Haushalte ist ein Computer immer noch ein teurer Spaß. Daher ist es in absehbarer Zukunft noch nicht realistisch, etwa durch Ausbau des Breitbandnetzes "die Internetnutzung daheim" zu popularisieren. Für das einfache Volk sind die Wangba ein idealer Weg ins Netz. Die Inspiration dazu kam vielleicht aus Südkorea, wie dies beispielsweise der Experte Xin Haiguan sagt: "In Südkorea sind Computer und das Internet wesentlich populärer, als sie es bislang in China sind. Doch auch hier gehen 43% der koreanischen Internetnutzer über Internetcafes ins Netz."
In China hat vor zwei Jahren "FM365.com", eine Tochterfirma der Legend Computer Systems Co., Ltd., insgesamt 350 Wangba ins Leben gerufen und folgendes errechnet: "Die Cafes verfügen jeweils über 20 bis 120 Computer und haben jeden Tag insgesamt 50.000 bis 70.000 direkte Kunden; monatlich heißt das 1,5 bis 2 Millionen."
Surfen im Kosmos
Werfen wir einen Blick auf "Feiyu", das größte Internetcafe Chinas. Es befindet sich direkt neben der Pekinger Universität Beida und hat 1.200 Computerplätze, welche die große Halle in schmale Korridore teilen, und empfängt durchschnittlich jeden Tag 15.000 Besucher. Selbst um 23 Uhr sind die Sitze im "Cafe" oft noch zu 70% besetzt. Ein Student der Peking Universität kommentierte neulich: "Surfen im Kosmos ("Feiyu" heißt in der Tat: "fliegen / im Kosmos"), das ist inzwischen schon ein Bestandteil des Lebens vieler Studenten der Pekinger Universität Beida. Obwohl wir im Studentenwohnheim auch Netzverbindung haben, ist es hier weder laut noch ruhig. Eine besondere Atmosphäre!"
Etwas besonderes ist natürlich auch dieser Stadtteil mit dem Namen "Zhongguanchun", den man auch das chinesische Silicon Valley nennt. Herr Yang, der hier tagsüber in einer Firma arbeitet und den ich spät abends im "Kosmos" antreffe, schickt gerade seinem Freund in Amerika eine Email. Er meint: "Ich komme fast jeden Tag hierher. Da sieht man Studenten, Firmenangestellte oder auch Einwohner aus der Gegend. Also insgesamt nicht wenige gebildete Menschen. Arbeiten, Lernen, Austausch mit Freunden in der Ferne, ab und zu mal ein Online-Spiel - das ist mein Nachtleben. Was gibt's daran auszusetzen?" Den letzten Satz sagte er natürlich nicht ohne Grund.
Die 59,1 Millionen Internetnutzer, die es in China gegen Ende des Jahres 2002 gab, machen nur 4,6% der Gesamtbevölkerung aus. Für die öffentliche Meinung, welche die Auffassung der großen Masse der Bevölkerung zu reflektieren vorgibt, sind die Wangba seit einiger Zeit inzwischen fast nur ein Synonym für Online-Spielen, Zeitvertrieb, Schulvernachlässigung, Erotik und ähnliches. Und dies nicht ohne Grund. Denkt man, dass überall nur Wangba wie das fast mustergültige "Feiyu" Internetcafe oder einige andere Internetcafes des Pekinger "Silicon Valley" zu finden sind, so irrt man gewaltig.
VIP-Karte für Internetcafe
Stellen wir kurz eine andere Art Internetcafe vor: Es ist 40 Quadratmeter groß, 30 Computer befinden sich darin. Die meisten Nutzer sind ungefähr 14 oder 15 Jahre alt. Der Raum voller Zigarettenqualm riecht nach Schweiß. Es ist laut, da viele gerade interaktiv vor dem PC "kämpfen". Die Freundin auf dem Schoß, beschäftigt sich einer gerade mit einem erotischen Spiel.
Das war zum Beispiel eine Szene aus einer Wangba in der Yuanxi-Straße der Stadt Kunming, dokumentiert von einem lokalen Reporter. Zeit: 15. August 2002 um 23 Uhr (Sommerferien). Die werden noch bis 2 oder 3 Uhr spielen, manche sogar die ganze Nacht hindurch. Zahlreiche Berichte können solche Situationen anhand von Szenen aus anderen Städten nur bestätigen. Spielsalons sind inzwischen rarer geworden, dafür sind die Internetcafes wie Pilze aus dem Boden geschossen, seufzen viele Eltern. In einem Artikel aus der offiziösen Pekinger Jugendzeitung vom 4. November 2001 heißt pädagogisch besorgt: "Mütter haben Angst, dass ihre Kinder in Wangba gehen!"
Am 30. April 2001 erließ das für die Informationsindustrie zuständige Ministerium gemeinsam mit drei anderen Ministerien die "Verwaltungsvorschriften für Internet-Geschäftsstellen". § 10 Art. 13 sieht vor, dass Kinder unter 14 Jahren ohne Begleitung von Erwachsenen nicht in Internetcafes gehen dürfen. Und Jugendliche unter 18 dürfen auch nur zwischen 8 und 21 Uhr während der Feiertage eine Internetcafe betreten. Im allgemeinen werden jedoch diese geltenden "Regeln zum Schutz der Jugend" nicht beachtet, weil "Internetcafes" eine richtige Geldquelle sind.
2001 fing die Regierung mit einer sogenannten 'Ausrichtungsbewegung' für die Internetcafes an. Vor der Überprüfung, die dies bedeutete, gab es landesweit mehr als 94.000 Internetcafes; bis Ende November wurden davon 48.390 neu registriert, 17.488 vollständig geschlossen. Die anderen 28.272 Wangba wurden verpflichtet, ihre Geschäfte fristgemäß ins rechte Gleis zu bringen.
Was besagt es aber über die Dunkelziffer, wenn Ende März 2002 folgende Tatsache an das Licht der Öffentlichkeit kommt? In Peking gibt es Ende März insgesamt 1.921 Internetcafes, unter denen nur 301 über eine vom "Amt für öffentliche Sicherheit" ausgestellte 'Sicherheitsurkunde' verfügen. Neben den Internetcafes, die gerade so eine Urkunde beantragen, sind das also noch mindestens 800 'schwarze' Betriebe, wo es dann normalerweise bei Tag und Nacht von Schülern wimmelt. Viele von ihnen haben wegen der damit verbundenen Ermäßigung sogar eine guibing ka, eine VIP-Karte, erworben.
Dunkelziffer: unbekannt
Peking. Am 16. Juni 2002, um 2 Uhr in der Nacht, in einem schwarz betriebenen Internetcafe mit dem Namen "Lan Ji Su", also dem "blauen Supertempo", brach ein großer Brand aus. Bei weitem die meisten der 25 Todesopfer waren Schüler, die in diesem Internetcafe ihre Zeit vertrödelten. Mit "Supertempo" ging auch die Nachricht von dem Brand um die Welt. Danach fing die Regierung wieder mit einer 'Ausrichtungsbewegung' bezüglich der Internetcafes an. Bis Ende 2002 wurden wiederum landesweit 3.300 Internetcafes geschlossen, 12.000 mussten wiederum ihre Geschäfte fristgemäß ins rechte Gleis bringen. Bis Ende Februar 2003 hieß es offiziell, dass die Zahl der Internetcafes um 45% reduziert worden sei: also gäbe es im Moment nur noch ca. 110.000 Internetcafes in China. Diesen offiziellen Zahlen steht jedoch nach wie vor eine erhebliche Dunkelziffer inoffizieller Internetcafes gegenüber.
In einigen Städten hat man inzwischen sogar den Eindruck: je mehr man 'ausrichtet', desto mehr ungenehmigte "Internetcafes" sind entstanden. Im Volkmund heißt es sogar: shang you zhengce, xia you duice ("Von oben Maßnahmen, von unten Gegenmaßnahmen"). Von einer derartigen Gegenmaßnahme wurde vor kurzem berichtet: Ende Februar sind zwei Beamten von der Steuerfahndung Peking in ein schwarz betriebenes Internetcafe eingedrungen, das sich am Stadtrand, in einem Gebiet von Kuhweiden befand - ausgerüstet mit Überwachungsinstrumenten, natürlich gegen unerwarteten Besuch.
In der tiefen Nacht, wenn man durch die Straßen von Peking fährt, sind die Häuser, in denen noch Licht brennt, meistens rund um die Uhr geöffnete Internetcafes. Die Polizeistunde für Kinos, Spielsalons oder andere öffentliche Vergnügungsstätten ist 2 Uhr nachts. Das gilt aber nicht für Internetcafes, da es schriftlich festgelegt ist, dass in Wangba kein Online-Spiel angeboten werden darf. Der Witz dabei ist, dass eben das Online-Spiel nicht zu kontrollieren ist und die Nachteulen oft wegen der faszinierenden Spiele nicht an Heimkehr denken.
Ein Fenster zur Welt
Pao Wangba ("seine Zeit vertrödeln in der Internetcafe"): das ist im Moment ein Modewort. Wer vertrödelt dort die Zeit? Natürlich vor allem die Jugendlichen. Jetzt müssen viele Wangba-Besitzer schon ein bisschen darauf aufpassen, dass den Schülern unauffällige Plätze in einer Ecke oder in einem Hinterraum zugewiesen werden.
Gleichgültig, wo man sitzt, hat das Internet den chinesischen Nutzern ein Fenster zur Welt geöffnet. Es gibt nicht nur "frische Luft", sondern etwa auch ein ganzes Kaleidoskop von nackten Körpern und Cyber-Sex. Die Zeit, in der Chinesen nur in den osteuropäischen Filmen Frauenbeine zu sehen bekamen, ist ein für allemal vorbei. Doch erotische Videofilme kursieren nur in einem begrenzten Kreis, während in den Zeitungen oder im Fernsehen allenfalls Bikinis erlaubt sind. Für viele Neugierige ist das Internet in der Tat eine 'Schatztruhe'. Obwohl in vielen Internetcafes den Vorschriften entsprechend Schilder wie "Internetspiele und Erotik verboten" zu sehen sind, hoffen nicht wenige Wangba-Besitzer, dass ihre Besucher die gut versteckten Links ohne Problem finden können. Wer will, findet natürlich noch mehr!
Weigui Fang ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des medienwissenschaftlich-sinologischen Forschungsprojekts "Das Internet in China" an der Universität Trier.