Internetmanie

Internetsucht und schwere psychische Störungen sollen nach einer psychiatrischen Studie eng zusammenhängen

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Internetsucht geistert schon des längeren durch die Medien. Die Sucht, von der angeblich 5 bis 10 Prozent der Internetnutzer befallen seien, hat auch bereits eine Reihe von Experten hervorgebracht, die Diagnosen, Therapien und Belege für eines der Übel der Informationsgesellschaft entwickeln. Aufsehen erregte kürzlich eine Studie, die wachsende Einsamkeit und Zerfall der sozialen Beziehungen bei steigender Internetnutzung diagnostizierte (Zuhause, allein und anonym).

Erst unlängst haben Wissenschaftler eine neue Variante ins Spiel gebracht: die Sucht nach Cybersex. Grundlage war eine nicht repräsentative Online Befragung von mehr als 13000 Menschen (Warum das Web wirklich so verführerisch ist). Wer sich länger als 11 Stunden wöchentlich auf Pornoseiten aufhalte, so die Autoren der Studie, die in der Zeitschrift Sexual Addiction and Compulsivity veröffentlicht wurde, sei gefährdet. Das wiederum sind ein Prozent der amerikanischen Benutzer, woraus sich theoretisch durch Hochrechnung eine Zahl von 200000 amerikanischen Cybersex-Süchtigen ergibt.

Psychiater der University of Florida und der University of Cincinnatti haben jetzt eine neue Studie Caught in the Web nachgeschoben, die belegen soll, dass Internetsüchtige unter teilweise schweren psychischen Krankheiten leiden. Allerdings wurden für die Studie lediglich 20 Menschen (11 Männer und 9 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren) befragt, deren Internetnutzung in den letzten drei Jahren zu Problemen geführt hat. 15 der Befragten wurden überdies bereits psychiatrisch behandelt. Durchschnittlich waren die Befragten wöchentlich außerhalb der Arbeitszeiten 30 Stunden im Internet, vornehmlich um sich in Chat-Räumen oder MUDs zu beteiligen, über EMails zu kommunizieren oder im Web zu surfen. Als anregend empfanden viele, sich gleichzeitig auf mehreren Sites zu bewegen, also Multitasking auszuführen.

Folgen der Internetnutzung waren etwa Beziehungsprobleme bis hin zur Scheidung, Schul- oder Arbeitsprobleme, Verschuldung und Isolierung von der Familie und von Freunden. Dazu gesellten sich mangelnder Schlaf, häufiges Zuspätkommen zur Arbeit, Vernachlässigung der Familie und finanzielle oder juristische Probleme. Zu all diesen Problemen kommen psychische Krankheiten wie manische Depression oder Angststörungen, Durchschnittlich habe jeder der Befragten fünf weitere psychische Störungen. "Wenn man über psychische Krankheiten spricht", so der Psychiater Nathan Shapira von der University of Florida, "haben manche das Stereotyp von einem fremdartigen oder seltsamen Menschen. Doch die Menschen, die wir untersuchten, waren alle intelligent, sehr nett und in ihrer sozialen Umgebung angesehen, und sie hatten einen Job und eine Familie."

Unerwartet für die Wissenschaftler sei gewesen, dass alle Befragten mit ihren Symptomen in die Diagnose von Störungen der Impulskontrolle passten, zu denen etwa Kleptomanie gehört. Um gleich eine allgemeine Bezeichnung zu finden, die dann eine Krankheit definieren soll, hat Shapira dafür den Begriff der Intermanie erfunden. Bei Störungen der Impulskontrolle bauen sich immer wieder Ängste oder Zwänge im Zusammenhang mit einer Handlung auf, die nur dann vorübergehend verschwinden, wenn man sie ausführt.

Natürlich wird das Ergebnis der Studie trotz der geringen Aussagekraft wegen der kleinen, keinesfalls repräsentativen Stichprobe von "Internetsüchtigen", bei denen ein Zusammenhang von psychischen Störungen mit der Sucht nachgewiesen wurde, wieder zu neuen Diskussionen führen und Kritiker in der Ansicht bestätigen, dass das Internet schädlich sei. Immerhin betont Shapira, dass ihre Studie keinen Beleg dafür biete, ob nun die Internetsucht kausal zu schweren psychischen Störungen führe und sie eine eigenständige Krankheit sei. schließlich könne die "Internetsucht" nur ein Ausdruck für eine bereits bestehende psychische Erkrankung sei: "Diese Menschen zeigten ein signifikantes Ausmaß an psychischen Krankheiten, die man behandeln muss, meint Shapira. "Die entscheidende Frage ist: Gefährdet das Internet die Menschen? Kann das Internet psychische Krankheiten verschlimmern? Konnten die Menschen ihre Internetnutzung nicht steuern, weil sie bereits psychische Krankheiten hatten, oder wurden sie krank, weil sie das Internet benutzten?" Da lässt sich also noch viel forschen - und die Sozialwissenschaftler und Psychologen haben ein neues Arbeitsfeld gefunden, das gleichzeitig auch medienwirksam ist.