Inzidenz Deutschland: 216, Inzidenz London: 2.016
Omikron: Heute treten in Deutschland verschärfte Corona-Maßnahmen in Kraft. England verzichtet auf neue Beschränkungen, Bars und Clubs bleiben zum Beispiel geöffnet
Heute treten in Deutschland "auch in den letzten Bundesländern" verschärfte Kontaktbeschränkungen in Kraft. Die aktuellen RKI-Fallzahlen zeigen eine Abwärtstendenz: weniger Neuinfektionen, weniger Neuaufnahmen in Hospitäler, weniger Tote (bei allerdings einem hohen aktuellen Wert von 372 binnen 24 Stunden).
Richtig zu trauen sei dem Bild aber nicht, da es durch Test- und Meldeverzüge über die Weihnachtstage verzerrt sei, so der Corona-Zahlenanalytiker Olaf Gersemann. Die aktuellen Zahlen-Infos kämen aus einer "Corona-Nebelwand".
Aber auch im Nebel zeigen sich Unterschiede. So liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland bei aktuell 216. In London stieg sie über Weihnachten auf 2.016. Und doch bleibt der britische Premierminister Boris Johnson dabei, vor Januar 2022 keine neuen Corona-Maßnahmen zu verhängen. Er appelliert an die Eigenverantwortung und an die Impfbereitschaft.
Wir werden die Daten weiterhin sorgfältig überwachen, aber vor dem neuen Jahr werden in England keine neuen Beschränkungen eingeführt. Ich möchte jedoch alle auffordern, angesichts der steigenden Zahl von Omikron-Fällen weiterhin Vorsicht walten zu lassen.
Vor allem aber möchte ich alle auffordern, sich unverzüglich die erste, zweite oder Auffrischungsimpfung geben zu lassen, um sich und ihre Lieben zu schützen.
Boris Johnson
Die englischen Gastronomie-Vertreter freut es sehr, dass Nachtclubs, Bars, Discotheken weiter geöffnet bleiben, sie unterstützen den Premier. Die Geschäftsführerin des Branchenverbands UKHospitality spricht von einem "pragmatischen und angemessenen Ansatz". Für viele, die in der Vorweihnachtszeit über schlechte Geschäfte machten, sei dies eine "echte Rettungsleine" (siehe 09:26).
Umstrittener Sonderweg
Die Sichtweise wird im Vereinigten Königreich nicht unbedingt geteilt. Wie der Guardian herausstellt, beschreitet England einen Sonderweg in Großbritannien. In Schottland, Wales und Nordirland gebe es keine solche "Erlaubnis für Massenveranstaltungen und offene Nachtclubs".
Wissenschaftler, die nicht namentlich genannt werden, zeigen sich laut der Zeitung besorgt über "die größte Abweichung zwischen wissenschaftlichem Rat und Gesetzgebung" seit Beginn der Pandemie. Aus Regierungskreisen in London berichtet der Guardian über andere Auffassungen.
Drei Minister hätten Zweifel an der Notwendigkeit neuer Maßnahmen bis zum Jahreswechsel geäußert, Gesundheitsminister Sajid Javid appelliere wie sein Premier auch an die Vorsicht der Bevölkerung – und der Zeitungsbericht selbst stellt den hohen Infektionszahlen vergleichsweise niedrige Zahlen der Hospitalisierungen entgegen.
"Keine Notwendigkeit jetzt aufs Gaspedal zu steigen"
So heißt es in dem Bericht vom 27. Dezember: "In England wurden am ersten Weihnachtsfeiertag 1.281 Personen ins Krankenhaus eingeliefert - die letzte verfügbare Zahl - gegenüber 1.020 am Vortag. Obwohl dies die höchste Zahl seit Mitte Februar ist, liegt sie deutlich unter dem Höchststand während der Pandemie, als im Januar letzten Jahres 4.134 Einweisungen erfolgten."
Von einer ungenannten Quelle aus dem Sitz des Premiers in der Downingstreet Nummer zehn wird zitiert, dass die Hospitalisierungsdaten zeigen würden, dass es "keine Notwendigkeit" gebe, jetzt "aufs Gaspedal zu steigen". Die Zahlen würden nicht so schnell steigen wie befürchtet.
Dazu gibt es Mitteilungen – ebenfalls aus ungenannten offiziellen Quellen –, die behaupten, dass sich die Krankenhausaufenthalte laut jüngsten Zahlen verkürzt hätten und dass eine Analyse der UK Health Security Agency andeute, dass Omikron zu milderen Verläufen führe. Angemerkt wird von einem leitenden Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde (NHS Trust), dass derzeit im Gegensatz zum Januar dieses Jahres, als die Delta-Variante dominierte, keine solch hohen Fallzahlen mit "einem massiv erhöhten Sauerstoffverbrauch" aus den Krankenhäusern berichtet werde.
Diese Einschätzungen sind wohlgemerkt im Guardian zu lesen, einer liberalen Zeitung, die, wie viele Leserinnen und Leser wissen, sehr darauf achtet, sich deutlich von Kommentaren und Weltsichten abzugrenzen, die die Corona-Epidemie verharmlosen. Die Zeitung plädiert sehr für die Impfung.
Schaut man sich die Kurven zu den Infektionen und Hospitalisierungen an, die die Zeitung in ihrem heutigen Corona-Liveblog präsentiert (siehe 08:28), so wird ein Unterschied sofort ersichtlich.
Die Kurve der täglichen Neuinfektionen steigt sehr steil an und ist an der 100.000 Marke. Die Grafik ist eindeutig. So einen Anstieg gabs zuvor noch nie. Dagegen zeigt sich bei den Hospitalisierungen ein Wellenkamm, der mit dem Wert von 8.240 weit unterhalb der Spitzenmarken von Januar und Februar dieses Jahres liegt.
Eine aktuell bei medRxiv als Preprint eingereichte Arbeit vom angesehenen Sigallab aus Südafrika weist darauf hin, dass eine Infektion mit der Omikron-Variante nicht nur milder ist, sondern sogar neutralisierende Antikörper gegen Omikron & Delta verstärken könnte.
Wenn sich diese Daten bestätigen sollten, könnte eine Infektion mit Omikron eventuell sogar einen Weg aus der Pandemie weisen.