Irdischer Bruder noch in weiter Ferne?
Während sich das Gros der Planetenjäger auf der Suche nach einem erdähnlichen Planeten in Optimismus übt, zeigen sich drei Kollegen höchst pessimistisch - zu Unrecht
Während eines "Live Google Hangout" unterhielten sich letzte Woche drei Astronomen über die Vielfalt der bisher entdeckten extrasolaren Planeten und die Aussichten, den ersten erdähnlichen Vertreter zu finden. Obwohl die meisten Planetenjäger zuversichtlich sind, noch in dieser Dekade einen Bruder der Erde zu finden, sieht das Forscher-Trio erst in frühestens zehn Jahren Chancen auf Erfolg. Sie schlagen vor, sich vorerst auf eine neue Klasse von Exoplaneten zu konzentrieren. Dabei könnten schon in vier Jahren die drei Wissenschaftler eines Besseren belehrt werden - dank TESS.
Eine zweite Erde, einen planetaren Zwilling in unserem Universum zu finden, der unserer Welt Eins zu Eins gleicht, ist per definitionem schon ein exoplanetares Ding der Unmöglichkeit. Unser blauer Planet ist und bleibt ein Unikat, eine singuläre planetare Randerscheinung im kosmischen Meer der Sterntrabanten. Eine Spiegelwelt, die ihrem Namen gerecht wird, existiert allenfalls in den Fantasiewelten und Paralleluniversen der Science-Fiction-Autoren, im realen Kosmos freilich nicht.
Kein Mangel an erdähnlichen Welten
Dass erdähnliche Exoplaneten im Universum hingegen im Überfluss vorhanden sind, spiegeln die Computersimulationen und mathematisch-statistischen Extrapolationen der Astronomen eindrucksvoll wider. Zwar haben die Planetenjäger bis heute mit unterschiedlichen Observationstechniken und Bodenteleskopen und Weltraumobservatorien nur 1832 wissenschaftlich bestätigte Exoplaneten detektiert, die sich auf 1145 Planetensysteme verteilen.
Dennoch deuten die empirischen Daten allesamt darauf hin, dass fast jedes Sternsystem im All - und hiermit sind auch jene in den 200 bis 500 Milliarden anderen Galaxien im Universum gemeint - eigene Planeten besitzen, viele von ihnen sogar erdartige Welten.
Kepler-Datenberg und Kepler-Kandidaten
Immerhin ebnete der beste Planetenjäger, das NASA-Weltraumteleskop Kepler, seit 2009 unzähligen extrasolaren Himmelskörpern den Weg und Aufstieg in den exoplanetaren Olymp. Er fand Gasplaneten (Hot Jupiters), große Gesteinsplaneten (Supererden), Neptunwelten, kleinere Gasplaneten, die auch große Felsenplaneten sein können und etwas massereichere Exoplaneten als die Erde, die meist außerhalb der habitablen Zone treiben, in der Planeten flüssiges Wasser halten können. Aber einen kompakten Himmelskörper von der Größe der Erde, gelegen im stellaren Grüngürtel, lokalisierte der Satellit bis dato nicht.
Somit ist es verständlich, dass sich die Hoffnungen vieler Exoplanetenforscher auf den noch immer nicht vollends abgetragenen Kepler-Datenberg richten - und insbesondere auf die 4234 Kepler-Kandidaten, die nach wie vor im Rahmen von Nachfolgebeobachtungen auf ihre Bestätigung warten. Unter ihnen könnten nach Ansicht zahlreicher Astrobiologen einige echte erdähnliche Planeten sein, die ihr Muttergestirn in bewohnbaren Zonen umkreisen und auf denen biologisches Leben eher die Regel als die Ausnahme ist.
Nicht vor zehn Jahren
Diesen Optimismus teilen die drei Planetenforscher Zachory Berta-Thompson, Bruce Macintosh und Marie-Eve Naud jedoch nicht. In einem am 15. Oktober initiierten "Google Hangout live", einer Videochatkonferenz im sozialen Netzwerk Google+, üben sich die drei Protagonisten in Pessimismus und warnen vor allzu großen Erwartungen. Ein erdähnlicher Planet, ein erdgroßer in einem habitablen Gürtel eingebetteter Felsenplanet, werde wohl erst frühestens in zehn Jahren entdeckt. Noch sei die Teleskop-Technik nicht ausgereift genug, um kleine Welten dieser Couleur zuverlässig zu lokalisieren, so die Planetenforscher.
"Um etwas zu sehen, das wirklich wie die Erde einen sonnenähnlichen Stern umkreist, selbst in einer Distanz von nur 20 Lichtjahren, brauchen wir Teleskope, die jetzt noch nicht existieren, die hoffentlich aber in den nächsten 10 bis 20 Jahren zur Verfügung stehen", betont Bruce Macintosh, ein Mitglied des "Kavli Institute for Particle Astrophysics and Cosmology" und der Projektleiter des Gemini Planet Imager (GPI).
Neue Exoplanetenklasse im Fokus
Vielmehr sollte man den Fokus auf eine neue Klasse von Exoplaneten richten, die im Weltraum nach Auswertung der neuesten Daten sehr stark vertreten zu sein scheinen, erklärt Zachory Berta-Thompson vom "Torres Fellow for Exoplanetary Research at the MIT Kavli Institute for Astrophysics and Space Research":
Ich denke, dass die aufregendsten Planeten, die wir gerade beobachten, jene sind, die weder ganz felsig noch ganz gasförmig sind. Es gibt in der Tat eine sehr interessante Klasse von Planeten, die wir nicht näher zu bestimmen wissen. Manche Leute nennen diese Super-Erden, weil sie größer als die Erde sind, andere nennen sie Sub-Neptuns, weil sie kleiner als Neptun sind. Es ist eine sehr aufregende Sache, die Zusammensetzung dieser Welten zu verstehen.
Marie-Eve Naud von der University of Montreal, die zu der Forschergruppe zählte, die GU Pisces b entdeckte, sieht dies ähnlich. GU Pisces b ist ein höchst ungewöhnlicher Exoplanet, der die zehnfache Masse des Jupiter hat, ist jedoch von seinem Gestirn 2000-mal weiter entfernt als der größte Planet unseren Systems zur Sonne.
Aber genau diese Kategorie von Planeten, die es in unserem Sonnensystem nicht gebe, seien im All weit verbreitet, so Naud. "Wir sind uns noch nicht sicher, woraus diese Planeten bestehen. Handelt es sich bei ihnen um kleine Gasplaneten oder wirklich um große Felsenplaneten? Wir Astronomen sind sehr an diesem neuen Planetentyp interessiert."
JWST
Ob die schwarzmalerische Einstellung der Astronomen angemessen und der erste erdähnliche Exoplanet wirklich so fern ist, wie die drei Wissenschaftler vermuten, darf indes bezweifelt werden. Schließlich nehmen die ersten Vertreter der neuen Generation der Weltraumobservatorien bereits in den nächsten Jahren ihre Arbeit auf. Sie sind jederzeit in der Lage, erdähnliche Welten im Grüngürtel ihrer Sternsysteme zu lokalisieren, in einem Radius von bis zu 100 Lichtjahren.
Wenn das James Webb Space Telescope (JWST) in vier Jahren auf Mission geht und mit seinem 6,5-Meter-Durchmesser großen Primärspiegel das schwache Infrarotlicht erdnaher Exoplaneten einfängt, könnte mit etwas Glück das Husarenstück gelingen. Denn das JWST kann dank seiner Sensibilität kosmische Objekte ausspähen, die nur ein Hundertstel so hell sind wie jene, die das NASA-ESA-Weltraumteleskop Hubble bislang untersucht hat. Selbst Wasserdampf könnte der Hubble-Nachfolger in den Atmosphären erdgroßer Exoplaneten analysieren.
TESS
Noch gezielter nach erdähnlichen Planeten wird TESS fahnden. TESS steht für "Transiting Exoplanet Survey Satellite". Der Name ist Programm. Denn der im Dienste der US-Raumfahrtbehörde NASA stehende Weltraumsatellit soll bereits ab August 2017 zwei Jahre lang nach erdgroßen Felsenplaneten in habitablen Zonen suchen.
Dabei wird TESS im Gegensatz zu Kepler, der nur einen kleinen Himmelsausschnitt im Sternbild Leier beobachtete und dort 160.000 Sterne nach Planetentransits untersuchte, den kompletten Himmel nach Exoplaneten absuchen. Wie das Kepler-Observatorium lokalisiert TESS Exoplaneten auf Basis der Transit-Technik. Hierbei misst die Sonde die Helligkeitsschwankungen eines ausgewählten Sterns. Kreuzt ein dort vorkommender extrasolarer Planet die Sichtlinie des observierten Muttersterns, registrieren die Astronomen für die Dauer des Transits einen Amplitudenabfall in der Lichtkurve.
Läuft alles nach Plan, nimmt TESS mehr als 500.000 Sterne in bis zu 100 Lichtjahren Entfernung ins Visier. Die Astronomen gehen davon aus, dass TESS mehr als 3000 Transits von Exoplaneten nachweist. Ausgehend von den bisherigen Erfahrungswerten und Computersimulationen besagen deren Extrapolationen, dass hierunter ungefähr 500 erdgroße Planeten sein werden. Und ein würdiger Bruder der Erde sollte sich fraglos unter ihnen finden lassen.
Das "Live Google Hangout" kann hier abgerufen werden.
Youtube-Video über TESS.