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Irland stimmt gegen EU-Vertrag

Ersten Hochrechnungen zufolge haben die Mehrheit der irischen Wähler den Vertrag von Lissabon abgelehnt

Wie die Irish Times berichtet [1], haben 54 Prozent gegen das Vertragswerk [2] gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben des irischen Rundfunksenders RTE [3] bei ca. 45 Prozent. Umfragen hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Gegnern und Befürwortern vorausgesagt.

Als einziges von 27 Mitgliedstaaten der EU hat Irland seine volljährige Bevölkerung um ein direktes Votum für oder gegen den Vertrag gebeten. In Irlands Verfassung ist bei einem Eingriff in die Souveränitätsrechte der Bevölkerung ein Referendum vorgesehen. Von 490 Millionen Europäern hatten also nur 2,8 Millionen die Gelegenheit, in einer Abstimmung über das Reformwerk zu befinden.

In Irland unterstützten die meisten Parteien das Vertragswerk, von der regierenden Fianna Fail über die größten Oppositionspartei, die konservative Fine Gael, der Labour Party bis zu den Grünen. Auch Unternehmens- und Bauernverbände wie einige Gewerkschaften gaben eine Wahlempfehlung für den Kontrakt ab. Nur kleinere Parteien wie die Sinn Fein und die Socialist Workers Party und mitgliederstarke Gewerkschaften wie UNITE lehnten es ab. Gründe [4] für die Ablehnung in der Bevölkerung waren weniger die Politik der aktuellen Regierung oder Ressentiments gegen Europa als die Unübersichtlichkeit und Unverständlichkeit des Lissabon-Vertrages und die Befürchtung, Irland würde dadurch militärisch weiter an Neutralität verlieren. Mit der Entscheidung der Iren gegen den Vertrag kann dieser auch nicht wie geplant am 1.1. 2009 ratifiziert werden.

Das Inkrafttreten der EU-Verfassung war 2005 durch Referenden in Frankreich (Zwei zu Eins gegen die EU-Verfassung [5]) und den Niederlanden (Das NON triumphiert [6]) verhindert worden. Seinerzeit war vor allem die unterschiedliche Gewichtung der unterschiedlichen Rechte innerhalb des Verfassungsvertrages moniert worden: Während der Ansprüche der Wirtschaft in konkrete Rechtsnormen formuliert wurden, blieben soziale Rechte abstrakte Verfassungsziele.

Der Vertrag von Lissabon, über den die Iren abstimmten, stellt eine überarbeitete Version der abgelehnten EU-Verfassung dar. Kritiker des neugefassten Vertrages halten den Verfassern jedoch vor, dass es sich dabei in der Substanz um das alte mit ein paar notdürftigen kosmetischen Veränderungen versehene neoliberale und –koloniale Vertragswerk von 2005 handelt – mit der gleichbleibenden Dominanz von Wirtschafts- und Unternehmensrechten über Sozial- und Gewerkschaftsrechte und dem Zwang zur militärischen Aufrüstung Laut Attac [7] ist der neue Text zu neunzig Prozent mit dem alten Verfassungsvertrag identisch (Betrug am Bürger [8]).


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3418963

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.ireland.com/newspaper/breaking/2008/0613/breaking1.htm
[2] http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/showPage.asp?id=1317&lang=de&mode=g
[3] http://www.rte.ir/
[4] https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-Holland-Irland-3418513.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Zwei-zu-Eins-gegen-die-EU-Verfassung-3401231.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Das-NON-triumphiert-3401192.html
[7] http://www.attac.de/lissabon
[8] https://www.heise.de/tp/features/Betrug-am-Buerger-3414563.html