Islamexperte Lüders: Nahost vor dem Kollaps – Zweistaatenlösung illusorisch
Plant Israel Vertreibung der Palästinenser? Lüders sieht düstere Zukunft. Passivität westlicher Regierungen werde Folgen haben.
Zehn Wochen nach der Eskalation des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern sieht der Nahost-Experte Michael Lüders keine Chance mehr für eine Zwei-Staaten-Lösung. Das Ziel der israelischen Regierung, die Hamas zu zerschlagen, bezeichnete er im Deutschlandradio als illusorisch.
Selbst bei einer Ausschaltung der Führungsebene sei mit genügend Nachwuchs für die militante Organisation zu rechnen. Das Kernproblem - die ungelöste Palästina-Frage - bleibe bestehen. Zu ihrer Lösung sei militärische Gewalt ungeeignet.
Seit nunmehr zehn Wochen hält der Dauerkonflikt im Nahen Osten die Weltöffentlichkeit in Atem. Nach einem Massaker, für das die Hamas maßgeblich verantwortlich ist, setzt die israelische Armee ihre Offensive gegen die Organisation fort.
Die Zahl der Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung steigt unaufhörlich. Die internationale Gemeinschaft verfolgt die Entwicklung mit wachsender Sorge.
Für Aufsehen sorgen Berichte, wonach Israel eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen erwägt. Lüders verwies auf konkrete Absprachen mit den USA, wonach Länder wie Ägypten und die Türkei größere Gruppen von Palästinensern aufnehmen sollen. Die Umsetzbarkeit und die geopolitischen Auswirkungen dieser Pläne seien derzeit die drängendsten Fragen, so Lüders.
Die Zwei-Staaten-Lösung hält Lüders für Rhetorik, die in der Realpolitik keine Relevanz mehr habe. Die expansiven Siedlungen im Westjordanland hätten den Raum für einen palästinensischen Staat derart eingeengt, dass diese Option praktisch nicht mehr realisierbar sei.
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Skeptisch äußerte sich Lüders auch zu den Bemühungen Israels, mit Teilen der arabischen Welt zu politischen Vereinbarungen zu kommen. Die unter Donald Trump getroffenen Vereinbarungen seien kosmetischer Natur und hätten die grundlegenden Probleme Palästinas außer Acht gelassen. Die arabischen Herrscher, die mit Israel Frieden geschlossen hätten, fürchteten die explosive Stimmung in der eigenen Bevölkerung.
Lüders warnte eindringlich vor einer weiteren Eskalation und unterstrich die äußerst gefährliche Lage im Nahen Osten. Die Passivität westlicher Regierungen gegenüber den Ereignissen im Gazastreifen könne langfristig negative Folgen haben. Die Europäische Union habe theoretisch die Möglichkeit, diplomatisch als Gegengewicht zu agieren, sei aber bisher kaum aktiv geworden.
Aussichten auf Frieden düster
Die Aussichten auf Frieden schätzte Lüders als düster ein. Es bestehe die reale Gefahr, dass die Palästinenser erneut vertrieben würden. Die passive Haltung der westlichen Regierungen, insbesondere Deutschlands, könne sich als fatal erweisen. Untätigkeit berge das Potenzial, die internationale Politik massiv zu belasten.
Ähnlich hatte sich Lüders in einem Beitrag für Telepolis geäußert: "Bereits unter US-Präsident Trump erfolgte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem jüdischen Staat und Bahrein, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Sudan und Marokko 2020/21", erinnerte er in dem Artikel Mitte Oktober.
Gekrönt werden sollten diese "Abraham Accords" durch einen von Präsident Biden mit Nachdruck angestrebten Friedensvertrag zwischen Saudi-Arabien und Israel. Der saudische Machthaber Mohammed Bin Salman hat allen Grund, dieses Projekt auf unbestimmte Zeit zu vertagen.
Michael Lüders, Westliche Heuchelei: Wollen wir wirklich den "Big Bang" in Nahost?, Telepolis
Arabische Herrscher in Bedrängnis
Die militärische Antwort Israels werde ohne jeden Zweifel dermaßen blutig ausfallen, dass die zu erwartende Empörung in der arabischen und islamischen Welt den dortigen Herrschern gefährlich werden könne, fügte er an: "Sie selbst haben die Palästinenser politisch längst abgeschrieben, wie auch der kollektive Westen – das gilt allerdings nicht für die arabische Straße."
Dies gelte auch für Berlin-Neukölln.