Israel-Gaza: USA müssen Waffenstillstand fordern, um regionalen Krieg zu verhindern

Seite 2: Was ist das Endgame?

Obwohl auf fast allen Seiten eindeutige Interessen gegen einen regionalen Krieg bestehen, verhalten sich alle Seiten in einer Weise, die einen solchen Krieg immer wahrscheinlicher macht. Wenn Israels Invasion in Gaza die Hamas erfolgreich dezimiert, könnte sich die Hisbollah gezwungen sehen, zu intervenieren – nicht unbedingt, um die Hamas zu retten, sondern um sich selbst zu retten.

Ein erfolgreicher israelischer Feldzug gegen die Hamas wird das Gleichgewicht in der Region verschieben, sodass Israel mehr Spielraum erhält, um gegen die Hisbollah vorzugehen. Ein Angriff der Hisbollah aus dem Norden kann die Hamas wohl nicht retten. Aber auf der anderen Seite wird es für die Netanjahu-Regierung zu kostspielig sein, den Krieg auf den Libanon auszudehnen, nachdem die Hamas besiegt ist.

Die Hisbollah ist vielleicht nicht in der Lage, einen israelischen Sieg zu verhindern, aber sie wird ein zwingendes Interesse daran haben, diesen zu einem Pyrrhussieg zu machen.

Die Beteiligung der Hisbollah wiederum wird den Iran viel direkter in den Konflikt hineinziehen. Der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian hat zwar erklärt, er sei gegen eine Ausweitung des Kriegs. Aber er hat auch gewarnt, dass der Krieg ausgeweitet wird, wenn Israel seine Angriffe nicht einstellt, und Israel "ein großes Erdbeben" erleiden wird.

Da der Iran und die Hisbollah in den Konflikt hineingezogen werden, steht die Biden-Regierung unter enormem Druck, militärisch einzugreifen, obwohl die USA eindeutig daran interessiert sind, sich herauszuhalten. Wenig in Bidens bisherigem Verhalten deutet darauf hin, dass er in diesem Szenario den langfristigen strategischen Interessen der USA Vorrang vor dem geben wird, was für ihn kurzfristig politisch zweckmäßig ist.

Ein direktes US-amerikanisches militärisches Eingreifen in Gaza oder gegen die Hisbollah und den Iran wird mit ziemlicher Sicherheit zu größeren Angriffen auf US-Truppen und -Interessen im gesamten Nahen Osten durch bewaffnete Gruppen führen, die von Teheran unterstützt werden. Die Milizen im Irak und im Jemen haben bereits eindringlich vor einer Mehrfrontenreaktion auf ein Eingreifen der Vereinigten Staaten gewarnt.

Das Weiße Haus ist sich dieser Eskalationsrisiken durchaus bewusst. Bei einem Treffen zweier hochrangiger US-amerikanischer Beamter mit einem hochrangigen Vertreter der iranischen Regierung zu Beginn dieses Jahres warnte einer der US-Repräsentaten Teheran, dass die USA den Iran militärisch angreifen würden, wenn dieser Uran auf 90 Prozent anreichern würde.

Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete der iranische Beamte, dass der Iran sofort mit der Zerstörung von vierzehn US-Stützpunkten in der Region reagieren würde, indem man innerhalb von 24 Stunden Tausende von Raketen auf sie abfeuert.

In diesem Zusammenhang ist die Weigerung der Biden-Administration, zur Deeskalation und zu einem Waffenstillstand aufzurufen – oder Israel praktisch unter Druck zu setzen, damit es sein Recht auf Selbstverteidigung innerhalb der Grenzen des Völkerrechts wahrnimmt – so problematisch.

Es ist nicht nur der moralische Bankrott des Biden-Weißen Hauses, der den Bemühungen um eine Beendigung der Krise im Wege steht (schockierende interne E-Mails haben enthüllt, dass es Beamten des Außenministeriums verboten wurde, Begriffe wie Deeskalation, Waffenstillstand, Beendigung des Blutvergießens und Wiederherstellung der Ruhe zu verwenden). Also eine eklatante Missachtung von Menschenleben, die das Weiße Haus an den Tag legt, wenn sein Sprecher demokratische Abgeordnete, die sich für einen Waffenstillstand einsetzen, als "widerwärtig" bezeichnet.

Es ist auch ein strategisches Fehlverhalten, Israel einen Freibrief zu geben, so zu handeln, wie man will, obwohl die USA das enorme Risiko kennen und verstehen, dass Israels unkontrollierte Aktionen in Gaza Washington in einen größeren regionalen Krieg hineinziehen können, der weder den Interessen der USA noch Israels dient.

Die Kombination aus Warnungen an die Hisbollah und den Iran, Zurückhaltung zu üben, und der gleichzeitigen Aufforderung an Israel, sich nicht zurückzuhalten, mag für Biden politisch zweckmäßig sein, führt aber wahrscheinlich zu genau dem Albtraumszenario, das Biden vermutlich vermeiden will.

Wie Ben Rhodes vom Weißen Haus Obamas in seinem Podcast in der vergangenen Woche sagte, sind die Ratschläge zur Zurückhaltung und die Aufforderung, "die Gesetze des Kriegs zu befolgen, kein Zeichen von mangelnder Achtung für das, was Israel durchgemacht hat. Im Gegenteil, ich wünschte, jemand hätte das nach dem 11. September für die Vereinigten Staaten getan".

Aber Biden gibt Israel nicht nur einen schlechten Ratschlag. Er forciert damit das Risiko, dass Tausende von US-Amerikanern in einem weiteren sinnlosen und vermeidbaren Krieg im Nahen Osten getötet werden. Wenn ihm schon die Menschlichkeit fehlt, einen Waffenstillstand zu fordern, um das Töten von Tausenden von Palästinensern zu verhindern, dann sollte er sich wenigstens nicht seiner Verantwortung als Präsident der Vereinigten Staaten entziehen, die US-Amerikaner aus der Tötungszone herauszuhalten.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Trita Parsi ist Mitbegründer und Präsident des Quincy Institute for Responsible Statecraft sowie ein vielfach ausgezeichneter Buchautor, Experte für die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran, die iranische Außenpolitik und die Geopolitik des Nahen Ostens. Er hat mehrere Bücher über die US-Außenpolitik im Nahen Osten verfasst, mit besonderem Schwerpunkt auf Iran und Israel. Das Washingtonian Magazine wählte ihn sowohl 2021 als auch 2022 zu einer der 25 einflussreichsten Stimmen zur Außenpolitik in Washington DC, der renommierte Intellektuelle Noam Chomsky bezeichnet Parsi als "einen der bedeutendsten Gelehrten zum Thema Iran". Parsi wird häufig von westlichen und asiatischen Regierungen in außenpolitischen Fragen konsultiert. Er hat in zahlreichen Medien veröffentlicht wie der Washington Post, dem Wall Street Journal, der New York Times, der Financial Times oder der Jerusalem Post. Er ist häufig zu Gast bei CNN, BBC und Al Jazeera und schreibt regelmäßig Kolumnen auf MSNBC.com.