Israel, Palästina und die arabische Welt: Katastrophe mit Ansage
Seite 2: "Land gegen Frieden": Alles andere ist Zeitverschwendung
- Israel, Palästina und die arabische Welt: Katastrophe mit Ansage
- "Land gegen Frieden": Alles andere ist Zeitverschwendung
- Auf einer Seite lesen
Seit langem besteht in der internationalen Staatengemeinschaft Einigkeit, dass der Nahostkonflikt nur auf der Basis der Zweistaatlichkeit zu lösen sei: Die Palästinenser brauchen ihren eigenen, lebensfähigen, unabhängigen Staat, Israel die Anerkennung des Existenzrechtes und Sicherheitsgarantien. So lauten auch die Kernpunkte der "Road Map" der internationalen Gemeinschaft. "Land gegen Frieden" – diese Formel, wie auch immer variiert, bietet den Schlüssel zur Lösung des Konfliktes. Alles andere ist Zeitverschwendung.
Für alle bedrängten Juden dieser Welt einen sicheren Hafen zu schaffen – spätestens seit dem Holocaust versteht sich dieses Ziel von selbst und bedeutet für Deutschland eine immerwährende Verpflichtung. Einen eigenen Staat Israel zu gründen, der alle die aufnehmen will, die aus der jüdischen Diaspora in die biblische Heimatregion zurückkehren wollen – auch dieses politische Ziel, lange vor der Shoah formuliert, hat sein Recht. Aber es bedingt auch völkerrechtliche Pflichten.
Denn was bedeutet es für die palästinensische Seite, für die Menschen, denen dieselbe Region seit über zweitausend Jahren ebenfalls Heimat ist?
Die Formel der deutschen Außenpolitik nach der Staatsgründung Israels lautete: Deutschland hat eine historisch begründete besondere Verantwortung für den Staat Israel. Das war und bleibt richtig. Blendet aber die andere Seite aus, die palästinensische. Nicht allein Bundespräsident Herzog empfand hier ein Defizit. Zahlreiche Außenpolitiker aller Parteien denken ähnlich, wollen aber öffentlich nicht darüber sprechen. Ich bemühte mich in meiner Zeit, die Verantwortungsformel zu erweitern: Deutschland hat eine besondere Verantwortung für den Staat Israel – und die Folgen seiner Gründung.
Ein palästinensischer Staat aus israelischem Sicherheitsinteresse?
In mehrere Resolutionen des Bundestages floss diese Formel ein. Sie hieß nicht weniger, als dass wir uns auch um das Schicksal der Palästinenser zu kümmern hätten. (Heute, 2023, ist die Formel vergessen.) Manch ein politischer Kopf leitete die Idee eines eigenen Palästinenserstaates nicht aus genuinem palästinensischem Recht ab, sondern aus den Sicherheitsinteressen Israels.
Israel könne langfristig nur überleben, wenn ein friedliches Palästina an seiner Seite existiere. Das hieß Zweistaatlichkeit, das hieß Palästinenserstaat. Das schien den Konsens wiederzugeben, doch perspektivisch gesehen war es einseitig. Denn die Palästinenser wollten ihren eigenen Staat nicht als Zugeständnis Israels, als rationales Kalkül dortiger Sicherheitspolitik, sondern als eigenen völkerrechtlichen Anspruch.
Sie wollten nicht abhängig sein von den innenpolitischen Stimmungsschwankungen in Israel, vom dortigen Wechsel der Strategien. Auch wenn der Endstatus gleich aussah, Weg und Begründung waren unterschiedlich. Ein Staat aus eigenem Recht oder ein Staat als Geschenk des Nachbarn? Das ist nicht weniger als der Unterschied zwischen Emanzipation und Kolonialismus. Wer den arabischen Stolz kennt, auch das tiefe Minderwertigkeitsgefühl der Palästinenser wegen der vergeudeten Jahre, der weiß, dass dieser Unterschied entscheidend ist.
Im Februar 2004 war ich als Leiter einer Delegation wieder in Israel. Staatschef Ariel Sharon ließ gerade die Mauer bauen. Auf dem Weg von Tel Aviv nach Jerusalem hörten wir im Autoradio von einem entsetzlichen palästinensischen Selbstmordattentat auf einen israelischen Bus. Zahlreiche Fahrgäste, unter ihnen Schulkinder, waren ermordet worden.
Wir fuhren sofort zum Tatort, den wir zwei Stunden später erreichten. Die Spuren waren schon fast völlig beseitigt. Wir legten einen Kranz neben die Blumengebinde. Wer das getan hatte, durfte nicht mit der geringsten Sympathie rechnen und sei sein politisches Anliegen noch so berechtigt. Mir fiel der Philosoph Ernst Bloch ein: "Im Weg muss das Ziel schon durchscheinen", hatte er von den Reformern und Revolutionären gefordert, die von der "Dunkelheit des Augenblicks" in die "offene Adäquatheit" fortschreiten wollten.
Ein ausgebrannter Bus als "sinnstiftendes" Zeichen
Das hieß im Umkehrschluss: Was im Weg durchscheint, ist das Ziel. Wer Terror verbreitet, dem kann man nicht abnehmen, dass er eine humane Zukunft anstrebt. Ein terroristischer Weg weist in eine Gesellschaft, die auf Terror gründet. Die Palästinenser verspielten die Sympathie, die ihr Elend ihnen eingebracht hat.
Dann fuhren wir weiter zur Mauer. Ein martialischer Anblick. Die Assoziation an Berlin war unvermeidlich. Die Israelis hatten den ausgebrannten Bus bewusst vor der Mauer drapiert – als "sinnstiftendes" Zeichen. Diese Mauer sollte Selbstmordattentäter abhalten. Vielleicht erfüllt sie diesen Zweck. Zu wünschen wäre es. Aber vielleicht schürt sie auch nur mehr Hass und mehr Unverständnis.
Denn sie zerschneidet palästinensische Siedlungen, schneidet Häusern den Garten und Kindern den Schulweg ab, umzingelt Siedlungen wie Bethlehem fast rundum. Sie folgt nicht der Grenze von 1967, der grünen Line, die in den internationalen Diskussionen als Grenzlinie eines eigenen Palästinenserstaates figuriert. Sie verläuft auf palästinensischem Gebiet, gemeindet illegale jüdische Siedlungen in den israelischen Staat ein.
Diese Mauer mag schützen, aber sie ist ein Monument aggressiver Vorwärtsverteidigung, die der anderen Seite die Luft zum Atmen nimmt. Kurzfristig mag sie für Israel ein Sicherheitsgewinn sein, aber prinzipiell bildet sie ein weiteres Hindernis im Friedensprozess und einen Stein des Anstoßes.
Wir ließen uns die Strategie der Regierungsseite erklären, sprachen mit der israelischen Opposition. Und wir reisten nach Palästina, trafen Jassir Arafat in seinem Bunker in Ramallah – einer der letzten internationalen Kontakte vor seinem Tod.
Wir waren keine Anhänger Arafats, obwohl auch er den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Wir wussten, zu welchen Winkelzügen er fähig war. "In Englisch, nach Westen, redet er als Taube, in Arabisch Richtung Osten als Falke", warfen seine Gegner ihm vor. Aber man brauchte nur nach Bethlehem zu fahren oder in den von Israel besetzten Gazastreifen, um die verzweifelte Lage der Palästinenser zu erkennen.
Und wenn Arafat mit seinem doppelten Gesicht sich nicht durchsetzte? Konnte er eindeutig einen Verständigungsfrieden propagieren, wenn Israel es nicht dankte? Musste er nicht durch Rhetorik versuchen, ein Überlaufen der frustrierten Massen zur radikalen Hamas zu verhindern? Heute sind seine früheren Kritiker klüger.