Israel im Angriffsmodus: Steht der Nahe Osten vor einem Flächenbrand?
Israel intensiviert Angriffe im Nahen Osten. Luftschläge treffen Libanon, Gaza und Jemen. Was auf eine regionale Eskalation hindeutet.
Massive Bombardements, Truppenvorstöße am Boden, martialische Drohungen ... Beobachter sind sich zu Beginn dieser Woche sicher. Israels dritter Krieg gegen den Libanon hat begonnen – und er könnte sich auf die gesamte Region ausweiten.
Nach der gezielten Tötung des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah durch einen israelischen Luftangriff stehe die neue Entwicklung, schreibt die liberale israelische Tageszeitung Haaretz, am Beginn einer "Periode erhöhter Spannungen in der Region".
Krieg in Gaza, Angriffe auf Libanon und Jemen
In einem beispiellosen Akt der Machtdemonstration hat das israelische Militär am Sonntag Angriffe gegen seine Feinde in zwei Ländern sowie im Gazastreifen geflogen.
Gemeldet wurde auch ein Langstrecken-Luftangriff im Jemen, der die Spannungen zwischen Israel und seinen vom Iran unterstützten Gegnern im Nahen Osten weiter verschärft. Die jüngsten Aktionen rücken die Konfliktparteien näher an den Rand eines umfassenden regionalen Krieges, befürchtet die New York Times.
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Die israelischen Militäroperationen erstreckten sich vom Libanon, wo die israelischen Streitkräfte die Hisbollah ins Visier nahmen, bis in die Provinz Hodeidah im Jemen. Dort flogen israelische Kampfflugzeuge mehr als tausend Meilen, um Kraftwerke und Marineinfrastrukturen anzugreifen.
In der libanesischen Hauptstadt Beirut behauptete die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), drei ihrer Mitglieder seien bei einem israelischen Angriff im überwiegend sunnitisch-muslimischen Stadtteil Kola getötet worden.
Der Angriff traf das obere Stockwerk eines Wohnhauses, wie Augenzeugen von Reuters berichteten. Das israelische Militär gab zunächst keinen Kommentar ab.
Auch in Gaza geht der Krieg weiter
Diese Angaben konnten bisher nicht von unabhängiger Seite verifiziert werden. Sollten sie sich bestätigen, wäre dies der erste bekannte israelische Angriff auf das Zentrum der libanesischen Hauptstadt seit dem Krieg mit der Hisbollah 2006. Beobachter sprechen bereits von einem dritten Libanon-Krieg Israels nach den Feldzügen in den Jahren 1982 und 2006.
Parallel zu den neuen Angriffen setzt die Armee ihren Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen fort. Bewegungen der israelischen Armee entlang der Nordgrenze deuteten am Wochenende auf Vorbereitungen für eine mögliche Bodeninvasion im Gazastreifen hin.
Luftangriffe auf Beirut
Schon am Samstag waren Rauchsäulen über dem Stadtteil Shiyah im Süden Beiruts aufgestiegen, nachdem israelische Kampfflugzeuge Angriffe geflogen hatten. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden dabei 33 Menschen getötet.
Die israelische Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu sieht in der Ermordung Nasrallahs einen Wendepunkt, um inhaftierte Israelis zurückzuholen, so Haaretz. In der UN-Generalversammlung lösten die Angriffe mahnende Worte und Kritik aus.
Reaktionen auf die Eskalation
Die Reaktionen auf die Ereignisse sind weltweit zu spüren. Der russische Außenminister Sergei Lawrow äußerte am Samstag in New York die Befürchtung, dass Israel versuchen könnte, "einen totalen Krieg in der gesamten Region auszulösen" und bezeichnete die Tötung Nasrallahs als zynischen Akt. Auch China bezog Stellung und sprach sich gegen jegliche Verletzung der libanesischen Souveränität aus.
US-Präsident Biden forderte ein Ende der Feindseligkeiten und betonte, dass die USA auf Raketenangriffe auf US-Kriegsschiffe im Roten Meer reagieren würden.
Saudi-Arabiens Haltung
In einer anderen Entwicklung berichtete das Magazin The Atlantic über ein Gespräch zwischen dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und US-Außenminister Antony Blinken.
Demnach sei der israelisch-palästinensische Konflikt für Bin Salman persönlich von geringem Interesse, er erkenne aber die Bedeutung für sein Volk. Ein saudischer Beamter bezeichnete diese Darstellung jedoch als "nicht korrekt".
Irans Reaktion
Der Iran, der enge Beziehungen zur Hisbollah unterhält, äußerte sich zurückhaltend. Parlamentssprecher Mohammad Baqer Qalibaf betonte, die sogenannten Widerstandsgruppen würden mit iranischer Hilfe die Konfrontation mit Israel fortsetzen.
Der oberste iranische Führer Ayatollah Ali Chamenei hingegen sei "tief erschüttert", so iranische Quellen, er behalte aber eine besonnene und pragmatische Haltung bei. Chamenei deutete an, dass die Hisbollah und nicht der Iran über die Art der Reaktion entscheiden werde.
Zeichen stehen auf Krieg
In Israel selbst wurden die Bewohner mehrerer nördlicher Gemeinden aufgefordert, in der Nähe von Schutzräumen zu bleiben und Menschenansammlungen zu vermeiden. Aus Tiberias wurde gemeldet, dass acht Raketen aus dem Libanon in offenen Gebieten der Stadt eingeschlagen seien, dort aber offenbar ohne Verletzte und Todesopfer.
Die New York Times berichtete, dass bei dem Angriff, bei dem Nasrallah getötet wurde, innerhalb weniger Minuten mehr als 80 Bomben abgeworfen wurden. Ein Video der israelischen Streitkräfte zeigt Kampfflugzeuge, die an dem Angriff in Beirut beteiligt waren, mit Bomben, die eine Tonne wiegen – sogenannte "Bunker Buster".
Früher in diesem Jahr hatte die Biden-Regierung die Lieferung solcher Bomben an Israel aufgrund von Bedenken über die Sicherheit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen gestoppt.