Israelische Raketenabwehr und Bundestag: Kaffeefahrt mit Sprengkraft
Arrow-3-Start, hier 1996. Bild: United States Missile Defense Agency
Auf Einladung einer Lobbygruppe ließen sich Verteidigungspolitiker in Tel Aviv das Arrow-3-System vorführen. FDP-Abgeordnete wurde für Verkaufstour eingespannt
Im Bundestag sorgt der erwogene Kauf eines israelischen Raketenabwehrsystems für Unmut. Grund dafür ist auch eine Reise von zehn Abgeordneten mehrerer Fraktionen nach Israel Ende März. Dort hätten sich die Parlamentarier über das Raketenverteidigungssystem Arrow 3 [1] informiert, so die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP).
Tatsächlich war die Reise schon Anfang Februar [2] von einer proisraelischen Lobbyorganisation mit besten Verbindungen zur Regierung in Jerusalem anberaumt worden. Über die Rolle von Strack-Zimmermann gab es im Vorfeld Unklarheiten, die nachwirken.
Neben der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses haben zuletzt vor allem Abgeordnete der Unionsfraktion einen möglichen Kauf des israelischen "Arrow 3" ins Gespräch gebracht. Dabei gibt es keinen unmittelbaren Grund für die Initiative: Das Verteidigungsministerium jedenfalls konnte auf Telepolis-Anfrage nicht bestätigen, dass es Analysen oder Risikoabschätzungen gebe, die den Kauf eines solchen Waffensystems rechtfertigen würden. Auf Nachfrage von Journalisten vermieden Regierungsvertreter auch in der Bundespressekonferenz klare Aussagen dazu.
Israel und die USA haben laut einem Zeitungsbericht indes einem Verkauf des Raketenabwehrsystems Arrow 3 nach Deutschland zugestimmt. Die israelische Tageszeitung Jerusalem Post berichtete dies am Dienstag [3] unter Berufung auf Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz. Sollte der Deal zustande kommen, würde das System erstmals an ein Drittland verkauft werden.
Die Lobbyorganisation Elnet hatte für die Reise [4]der zehn deutschen Parlamentarier öffentlich erstmals Anfang Februar in einem Schreiben an Abgeordnetenbüros geworben. Neue Brisanz bekam die Initiative durch den russischen Angriff auf die Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in der ARD-Sendung Anne Will unlängst, die Bundesregierung erwäge die Errichtung eines Raketenschutzschilds für ganz Deutschland nach israelischem Vorbild.
Strack-Zimmermann sieht Handlungsbedarf
Während des Besuchs in Israel begründete Strack-Zimmermann als Delegationsleiterin die Notwendigkeit des Rüstungsdeals ebenfalls mit einer Bedrohung aus Russland: "Wir haben die Situation in Deutschland und Europa, dass wir seit vier Wochen einen Krieg im Herzen Europas erleben." Nach dem Besuch in Israel müsse man nun "in Ruhe gemeinsam in Berlin überlegen, was kommt überhaupt in der nächsten Zeit auf uns zu".
Die FDP-Politikerin nannte es kein Geheimnis, dass Deutschland Lücken in der Boden- und Luftabwehr habe: "Auch angesichts des Krieges in der Ukraine sehen wir, dass wir diese Schwäche kompensieren müssen."
Jedes neue Abwehrsystem müsse aber kompatibel sein "mit dem, was wir schon in Europa haben, was die Nato hat", zitiert die Nachrichtenagentur dpa die Ausschussvorsitzende. Die kündigte an, jeden Kauf auch mit den Partnern in der EU abzustimmen: "Es geht darum, den bestmöglichen Schutz zu organisieren, für Deutschland, für Europa, für die Nato."
Man sei zwar "nicht auf Einkaufstour" gewesen, so Strack-Zimmermann. Entscheiden will die dennoch rasch: "Wir haben keine Zeit zu verlieren, wir haben schon sehr viel Zeit verloren."
In Israel sieht man – ungeachtet der demonstrativen Zurückhaltung Strack-Zimmermanns – offenbar gute Chancen für den Milliardendeal. Die Bild am Sonntag berichtete, "Arrow 3" würde rund zwei Milliarden Euro kosten und ab 2025 einsatzbereit sein.
Der Lobbygruppe Elnet, die derzeit ähnliche Werbetouren für das System von drei israelischen Rüstungskonzernen auch für Parlamentarier aus anderen Nato-Mitgliedsstaaten organisiert, gelang es, hochrangige Gesprächspartner zu vermitteln. Die Bundestagsmitglieder trafen sich nicht nur mit dem israelischen Verteidigungsminister Benny Ganz, sondern laut dem Besuchsprogramm, das Telepolis vorliegt, auch mit dem stellvertretenden Generalstabschef Herzi Halevy und Brigadegeneral Shlomi Binder, Kommandeur der 91. Division der israelischen Armee.
Obwohl Elnet diese Reise als "Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags" präsentierte und das so auch von Medien übernommen wurde, handelte es sich nicht um einen offiziellen Besuch. Das zeigt sich auch darin, dass alle Kommunikation über Elnet lief; das Sekretariat des Verteidigungsausschusses leitete nach Angaben von Fachpolitikern keine Informationen zu der Initiative weiter.
Offenbar keine belastbaren Studien zum Kaufbedarf
Dass der Kauf des israelischen Systems ernsthaft in Erwägung gezogen wird, ist an sich erstaunlich, denn offenbar gibt es über ein diffuses Bedrohungsgefühl hinaus keine adäquaten Studien, die im Ergebnis eine solche milliardenteure Anschaffung rechtfertigen würden.
Auf die Frage nach entsprechenden Analysen erklärte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums gegenüber Telepolis:
Die Bundesregierung hat (…) die Entwürfe der gesetzlichen Regelungen zum Sondervermögen beschlossen und die Gesetzentwürfe in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingebracht (BR-Drs. 123/22 und 124/22). Die relevanten Zweckbestimmungen werden sich aus dem Wirtschaftsplan zum Sondervermögen Bundeswehr ergeben. Der Entwurf dieses Wirtschaftsplans wird derzeit erstellt und in das laufende parlamentarische Verfahren eingebracht. Zu dessen Inhalt kann daher zurzeit keine Auskunft erfolgen.
Eine Nachfrage dieser Redaktion, ob das bedeute, dass keine Studien vorliegen, ließ die Sprecherin unbeantwortet. In der Bundespressekonferenz versuchte Regierungssprecher Steffen Hebestreit indes, die Ankündigungen von Kanzler Scholz zu relativieren:
Sie wissen, dass wir im Moment über das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr diskutieren, zum einen mit Blick auf eine Grundgesetzänderung und zum anderen dann innerhalb der Regierung, wenn es darum geht, welche Waffensysteme und was angeschafft werden soll. Man nimmt sich die Zeit, die es dafür braucht, um zu klugen Entscheidungen zu kommen.
Steffen Hebestreit
Generalinspekteur Eberhard Zorn hatte der Welt am Sonntag gegenüber erklärt, es gehe bei dem Vorhaben um "den Schutz vor Raketen, die etwa in Kaliningrad stehen, die berüchtigten Iskander". Sie könnten fast alle Ziele in Westeuropa erreichen, und es fehle ein Abwehrschirm. Zorn weiter: "Die Israelis und die Amerikaner verfügen über die entsprechenden Systeme. Welchem von beiden geben wir den Vorzug? Schaffen wir es, ein Gesamtsystem in der Nato aufzubauen? Diese Fragen müssen wir nun beantworten."
Befremden über Zuschriften von Elnet-Chef Ovens
Die neue sicherheitspolitische Debatte kommt den israelischen Rüstungskonzernen und ihren Lobbyisten in Berlin zupasse. Die Grenzen von Lobbyismus und Parlamentarismus verschwimmen dabei schon einmal. Darauf weisen Zuschriften von Elnet an Bundestagsbüros hin, die dort für Befremden sorgten.
Anfang Februar sandte der Programmkoordinator der proisraelischen Lobbyorganisation, Marius Strubenhoff, ein vom Organisationsvorsitzenden Carsten Ovens [5] unterzeichnetes Schreiben an Bundestagsbüros. Die Einladung zur Delegationsreise, hieß es darin, erfolge "auf Vorschlag der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses (…). Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann (…) wird die Delegation (…) leiten", so Ovens, ein ehemaliger CDU-Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft.
Gut zwei Wochen später ruderte Ovens zurück: Tatsächlich finde die Reise "auf unsere eigene Initiative als gemeinnütziger Verein statt", hieß es in einer weiteren Mail. Strack-Zimmermann habe sich "im Laufe der Planungen dankenswerterweise bereiterklärt, vor Ort als Head of Delegation zu fungieren". Hatte die FDP-Politikerin interveniert?
Zugleich bot Cheflobbyist Ovens den gewählten Abgeordneten des Bundestags an, "dass Elnet die Kosten der Reise übernimmt. Sollten Sie eine (anteilige) Kostenübernahme durch Ihre Fraktion präferieren, ist auch dies selbstverständlich möglich."
Für Żaklin Nastić, Obfrau der Linken im Verteidigungsausschuss, ist diese Vermischung der Lobby-Reise mit dem parlamentarischen Mandat der Teilnehmer ein Unding: "Ich fordere jede und jeden, der oder die an der Reise teilgenommen hat, auf, jetzt offenzulegen, wer für die jeweiligen Reisekosten aufgekommen ist", sagte sie gegenüber Telepolis.
Auch gehe sie davon aus, dass die Bundesregierung bereits im Vorfeld über die geplante Reise und deren Inhalt informiert gewesen sei: "Bundeskanzler Olaf Scholz muss zugeben, dass die massive Aufrüstung Deutschlands sowie auch die Anschaffung von 'Arrow 3' schon lange und völlig unabhängig vom Ukraine-Krieg geplant worden ist", so Nastic.
Für die Verteidigungsausschussvorsitzende könnte die Sache unangenehm werden. Nachdem Linke und AfD unabhängig voneinander auf eine Debatte im Ausschuss gedrängt hatten, wurde das Thema an diesem Mittwoch an hinterste Stelle auf die Tagesordnung gesetzt und am Ende erwartungsgemäß aus Zeitgründen gestrichen. Strack-Zimmermann beantragte erfolgreich eine schriftliche Behandlung.
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.ishitech.co.il/0203ar2.htm
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/israel-arrowdrei-verteidigung-101.html
[3] https://www.jpost.com/israel-news/article-703266
[4] https://elnet-deutschland.de
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Carsten_Ovens
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