Ist Big-Tech überhaupt regierbar?

Neoliberaler Überwachungskapitalismus: Wie gefährlich ist Facebook und wer will die großen Fünf in die Schranken weisen?

Letzte Woche Dienstag, den 5. Oktober, sagte Frances Haugen als Whistleblower vor dem amerikanischen Senat gegen ihren früheren Arbeitgeber Facebook aus. Haugen gab an, Facebook wisse um die problematische Wirkung, die Apps wie Instagram auf junge Menschen haben kann, würde sich aber aus monetären Gründen dafür entscheiden, nichts dagegen zu unternehmen. Die Senatoren zeigten sich über diese und andere Verfehlungen Facebooks entsetzt.

Inwiefern allerdings die amerikanische Politik in der Lage ist, Druck auf den Plattformbetreiber auszuüben, ist fraglich. Am Ende jedenfalls waren sich sowohl Whistleblower als auch Senatoren einig, Facebook und damit auch Mark Zuckerberg, würde "Profite vor Menschen priorisieren", ja selbst von einem "Big Tabbaco moment" war die Rede, einem Moment also, in dem schändliche Machenschaften einer Großindustrie vom Senat aufgedeckt und geahndet werden.

Nun mag es recht und billig sein, einem Riesen der Tech-Industrie vorzuwerfen, er schade bewusst seinen Nutzern, im Gesamtkontext des US-amerikanischen neoliberalen Systems aber mutet der Vorwurf, Profite über Menschen zu stellen, fast komisch an.

Toxisch

Und was genau wird Facebook vorgeworfen? Die sogenannten Facebook Files, eine Sammlung von Haugens geleakten Dokumenten, zeigen das Innenleben des Tech-Riesen. So kam durch die Dokumente zutage, dass Facebook keineswegs der egalitäre Raum ist, welcher es vorgibt zu sein. Das so genannte X-Check Programm schützt VIP-Nutzer, also eben jene mit großer Reichweite, vor Zensur und Regulierungen durch die Betreiber der Plattform.

Wer also genug Klicks generiert, darf ungestraft posten, belästigen, ja sogar zu Gewalt aufrufen. Facebook sagt, es arbeitet daran, die unvorhergesehenen und unerwünschten Folgen eines Programmes zur Qualitätssicherung zu beheben. Die Mär vom Internet als "freiem", ultimativ demokratischem Raum gehört aber wohl eher in die frühen 2000-er und taugt mittlerweile höchstens zum Werbeslogan.

Außerdem scheinen Facebook seit einiger Zeit Studien vorzuliegen, die zeigen, wie sehr sich Instagram negativ auf die Psyche junger weiblicher Nutzer auswirkt. Die Firma weigerte sich bisher konsequent, diese Studien Wissenschaftler:innen zur weiteren Forschung auszuhändigen. Dass eine App, deren Funktion, die pure Selbstdarstellung durch Bilder, zu einer gewissen Verzerrung von unserem Verhältnis zu anderen, der Wirklichkeit und schließlich dem Selbst führen kann, scheint nicht allzu verwunderlich.

Auch kann davon ausgegangen werden, dass gerade junge Frauen unter den auf Instagram herrschenden Schönheitsnormen zu leiden haben, wahrscheinlich sogar ungleich mehr als zuvor durch die traditionelle Werbeindustrie. Überrascht hat nur, dass sich Facebook überhaupt mit dem Thema beschäftigt, war doch gerade die Mutter-App "Facebook" von Zuckerberg zur Objektifizierung und Bewertung weiblicher Körper geschaffen worden.

Zudem zeigen die geleakten Dokumente, dass Facebook nie wirklich etwas gegen die Nutzung der Plattform durch Kinder unter 13 Jahren unternommen hat, obwohl die technologischen Instrumente für ein solches Unterfangen bereitstünden.

Als Zuckerberg 2018 auf das toxische politische Klima - und vor allem auf die fallenden Interaktionsraten mit seiner Plattform - durch Einführung eines neuen Algorithmus reagieren wollte, ging das Projekt laut interner Studien nach hinten los. Das Gleiche gilt für Zuckerbergs Impfkampagne auf Facebook. Anscheinend reagierten die Impfgegner mit einer weitreichenden Kampagne, im Zuge derer sie die Plattform und ihre Struktur instrumentalisierten, um möglichst viel Zweifel an Pandemie und Impfung zu sähen.

Illegale, brutale, tödliche Machenschaften

In der Peripherie des kapitalistischen Systems wird Facebook sogar zu allerhand offensichtlich illegalen Machenschaften genutzt. Laut "Facebook Papers" haben Angestellte davor gewarnt, Facebook würde im Nahen Osten dazu genutzt, Frauen in ausbeuterische und missbräuchliche Arbeitsverhältnisse zu locken. Des Weiteren dient die App Kriminellen zum Organhandel, zur Verbreitung von Pornografie und als Plattform zum Aufruf zur Verfolgung von Regierungsgegnern.

Zu den bitterst tragischen Geschehnissen in letzter Zeit gehört, dass bewaffnete Gruppen in Äthiopien Facebook nutzen, um zu religiöser und rassistisch motivierter Gewalt aufzurufen. Schon im November 2019 stand Facebook in der Kritik, nicht gegen die Verbreitung von Fake News auf ihrer Plattform vorgegangen zu sein, die zu rassistisch motivierter Gewalt geführt haben sollen.

All diese Probleme sind in den Facebook Files zu finden und beweisen, dass Facebook einerseits die eigene Plattform kaum unter Kontrolle hat und andererseits, kein wirkliches Interesse an Änderungen zeigt, welche die Interaktionsrate mit der Plattform oder die Anzahl der Nutzer verkleinern könnten.

Radikalisierungen von Nutzerinnen und Nutzern

Die Frage, inwieweit Facebook überhaupt in der Lage ist, die Inhalte ihrer Nutzergemeinde zu überwachen, ist kompliziert. Sollte sich Facebook zum Beispiel entschließen, gegen potenzielle Verbreiter von Fake News vorzugehen, fangen diese eben an, sich hinter gewissen Codes in einer Art digitalen Untergrund zu verstecken.

Solche "geheimen Gruppen" und das Gefühl verfolgt zu werden, könnten zu einer weiteren Radikalisierung besagter Nutzer führen. Dennoch ist es sinnvoll, größeren Desinformationskampagnen entgegenzutreten. Schwerer wiegt der Fakt, dass Facebook kaum Kontrolle hat, wie auch? In manchen Ländern ist Facebook die Plattform, über die Nutzer primär auf das Internet zugreifen wie etwa Google in den USA oder Deutschland.

Die fünf Großen

Dies stellt ein Problem dar, denn das Internet ist zwar groß, letztendlich aber nur unter fünf Firmen aufgeteilt. Und auch wenn diese Firmen das Einkommen von Staaten haben, sind ihre Ressourcen und auch ihr Interesse an der Sicherheit ihrer Nutzerinnen und Nutzer ungleich geringer als das der Gesetzgeber.

Facebook hat sicherlich kein Interesse daran, dass über ihre Plattform Menschen, Waffen oder Organe gehandelt werden, aber es hat auch nicht die Ressourcen, daran nachhaltig etwas zu ändern.

Jedoch sollte Facebook zumindest für jene Probleme verantwortlich gemacht werden, für die angeblich schon Lösungen existieren, die aber bewusst ignoriert werden wie beispielsweise die Nutzung der Plattform Instagram durch Kinder.

Auch Studienerkenntnisse zu negativen psychologischen Auswirkung Instagrams auf junge Menschen sollten in Zukunft an Forscher und Medien weitergeleitet werden. Doch würde solch eine Transparenz erst einmal nichts an Inhalt und Wirkung der Plattform ändern. Die Chancen, dass die Gesetzgeber Facebook wirklich beikommen, stehen schlecht, entschuldigen sich diese doch ständig damit, die Gesetzgebung würde der technologischen Entwicklung einfach nicht hinterherkommen.

Mark Zuckerberg jedenfalls wirkte von der Anhörung eher wenig beeindruckt und verbrachte den Tag der Anhörung auf einem Boot mit seiner Familie. Und auch der von den Senatorinnen und Senatoren angebrachte Vergleich mit der Tabakindustrie vermittelte nicht gerade das Gefühl, die Politik habe mittlerweile das nötige technologische "Know-how".

Das Problem ist, dass wir, die Nutzer, hier wirklich auf die Gesetzgeber angewiesen sind, denn die Internet-Infrastruktur der "Big five" nicht zu nutzen, ist praktisch unmöglich. Die "Großen Fünf" der Tech Industrie (Apple, Amazon, Google, Facebook, Microsoft) bestimmen große Teile unseres alltäglichen Lebens, sie organisieren Arbeit, Kommunikation und Mobilität.

Um unser Verhältnis zu diesen "Dienstleistern" besser zu begreifen, sollten wir uns unsere spezielle Rolle als Nutzer dieser Plattformen vor Augen halten. Denn wie Shoshana Zuboff in ihrem Buch "Surveillance Capitalism" anschaulich beschreibt, sind es nicht wir, die Nutzer, die Kunden der Tech-Industrie, sondern die Werbebranche, an die unsere Daten verscherbelt werden.

So erzeugen Nutzer durch ihre Interaktion mit den Plattformen deren Gewinn, im marxschen Sinne könnte hierbei fast von Arbeit gesprochen werden. Im Grunde stehen wir vor einem neoliberalen Phänomen: einer Auflösung der Grenze zwischen Arbeit und Leben. Auch der inhärente Widerspruch von angeblichem Individualismus und der Pflicht zur ständigen Selbstvermarktung, am besten gespiegelt in der App Instagram, ist Merkmal des neoliberalen Systems, auch wenn es durch soziale Medien eine ganz neue Dimension bekommt.

Probleme, die aus dem kapitalistisch neoliberalen System resultieren, verlangen nach antikapitalistischen Maßnahmen. Einige Politiker:innen fordern zum Beispiel eine Aufspaltung der Tech-Giganten. Doch bleibt kaum zu hoffen, dass dies in einer neoliberalen Hegemonie, wie sie in den USA vorherrscht, und wie sie auch von der Biden Regierung aufrechterhalten wird, tatsächlich möglich ist.