Ist China auch bei der Raumfahrt auf der Überholspur?

Chinas Tiangong-Raumstation. Bild: Shujianyang / CC BY-SA 4.0 Deed

Dutzende Raketenstarts, eine permanente Raumstation und abhörsichere Quantensatelliten. Beijing setzt zunehmend auf den Weltraum, kooperiert dabei mit Russland. Worum geht es?

Chinas Raumfahrt entwickelt sich rasant – sowohl qualitativ als auch quantitativ. Der folgende Abriss soll einen Überblick über wichtige Entwicklungen geben. Er erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit – dazu sind die chinesischen Raumfahrtaktivitäten mittlerweile viel zu umfänglich.

Schon am 12. Januar 2023 titelte die Asia Times: "Chinas Raketenstarts sind eine Warnung an die USA und Japan". Denn nicht nur die chinesische Weltraumagentur (China Aerospace Science and Technology Corporation, CASC) hatte bereits ihren ersten Start im neuen Jahr erfolgreich absolviert. Auch die chinesische Privatfirma Galactic Energy konnte fünf Satelliten in den Orbit befördern.

China hatte im Jahr 2022 schon 64 Lift-offs melden können (ohne einen einzigen Fehlstart), davon 53 mit verschiedenen Modellen der Baureihe Langer Marsch. 2023 soll ein neuer Rekord aufgestellt werden, denn allein die CASC hat in diesem Jahr fast 70 Starts in ihrem Terminkalender.

Die Raumstation Tiangong

Das klingt nach Routine und normal ist mittlerweile auch die seit Mitte 2022 ständig besetzte chinesische Raumstation Tiangong (Himmelspalast) geworden. Die der Kommunistischen Partei Chinas nahestehende Global Times wartet inzwischen mit schicken Grafiken auf, die die Erfolge der Mission aufzählen.

Doch auf diesen Lorbeeren ruht sich die Chinesische Akademie für Raumfahrttechnologie (China Academy of Space Technology, CAST) nicht aus. Für den jüngsten Versorgungsflug hat man das Transportmodul Tianzhou optimiert, mit dem jetzt sieben Tonnen Nutzlast in den erdnahen Orbit gebracht werden können. Tianzhou-6 sei damit "das weltweit größte aktive Frachtsystem in Bezug auf die Frachttransportkapazität und das Verhältnis von Fracht zu Gewicht", freuen sich die CAST-Leute.

Und obwohl die Internationale Raumstation ISS die Erde höchstens noch bis 2030 umkreisen wird, hat die EU beschlossen, keine Astronauten zum Tiangong fliegen zu lassen. "Als Grund werden knappe Finanzen genannt, doch die politischen Motive dürften eindeutig sein. Ob sich die Europäer damit einen Gefallen tun, ist allerdings mehr als fraglich", kommentierte Telepolis seinerzeit diese bedauerliche Entwicklung.

Dagegen wurde die russisch-chinesische Zusammenarbeit im Weltall für weitere vier Jahre vertraglich geregelt. Ob allerdings die ambitionierten Ziele eingehalten werden können, die vor zwei Jahren in einer bis 2035 reichenden "Roadmap" vereinbart worden sind, ist wohl nicht sicher.

Mond- und Marsmissionen

Denn die 2023 gestartete russische Mondmission Luna 25 scheiterte, was dem russischen Raumfahrprogramm einen Dämpfer erteilt hat. Das russische Mondprogramm geht dennoch weiter. Der gemeinsame Start von Luna 26 und Luna 27 ist für 2027 vorgesehen.

Dagegen konnte Indiens Mondmission Chandrayaan-3 trotz eines offensichtlich unvorhergesehenen "Hüpfers" sanft auf der Mondoberfläche landen und unter anderem Schwefel auf der Mondoberfläche nachweisen. Allerdings war der indische Rover nicht für die 14-tägige Mondnacht gerüstet und der Kontakt zu dem Gerät riss – wie erwartet - bald ab.

Wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse über den inneren Aufbau des Mondes lieferte auch Chinas Mondrover Chang'e-4, der auf der erdabgewandten Seite des Trabanten unterwegs ist.

Chinas Marsprogramm musste dagegen einen kleinen Rückschlag verkraften. Der 240 Kilogramm schwere Zhurong-Marsrover ist wohl dem Marswetter zum Opfer gefallen und mittlerweile so stark von Staub bedeckt, dass er nicht mehr mit dem chinesischen Marsorbiter Tianwen-1 kommunizieren konnte. Heise Wissen stellte dazu allerdings klar, dass der Rover bereits sämtliche vorgesehenen Aufgaben schon lange absolviert hatte, weshalb die Forschungsmission als Erfolg gelte.

Rüstung und Dual Use

Eine Weltraumfahrt-Umschau ist nicht vollständig, wenn nicht auch Rüstungsprojekte und Projekte benannt werden, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken (Dual-Use) dienen können. Das Reich der Mitte ist schon seit Längerem führend in abhörsicherer Quantenkommunikation.

Nachdem Peking letztes Jahr einen Quantensatelliten in eine niedrige Umlaufbahn (500 km Höhe) gestartet hatte, geht es jetzt in mittlere Höhen (etwa 10.000 km über der Erdoberfläche). Die neue Plattform, die dieser fliegende Computer an Bord hat, soll gewährleisten, dass die exotischen, für die Kommunikation benötigten Quantenverschränkungen über diese doch ziemlich gewaltige Entfernung aufrechterhalten und ausgelesen werden können.

Nach 276 Tagen im All kehrte im Mai 2023 Chinas Mini-Raumgleiter zurück. Heise Wissen berichtete seinerzeit, dass der Flieger "in der Erdumlaufbahn nicht nur einen Satelliten platziert, sondern ihn wieder eingefangen und Wochen später wohl erneut ausgesetzt" hat.

Details zu dieser Mission sind nicht bekannt. Klar ist nur, dass der Gleiter wie ein Flugzeug in Kosmodrom Jiuquan gelandet ist – genau wie der US-amerikanische Mini-Raumgleiter X-37 und früher die US-Space Shuttles.

Die Zukunft

Weiterentwickelte Schwerlastraketen anderer Bauart sollen schon ab 2027 Nutzlasten von bis zu 70 Tonnen Gewicht in erdnahe Umlaufbahnen befördern können. Als Zeitpunkt für den ersten Start einer bemannten chinesischen Mondmission wird weiterhin das Jahr 2030 avisiert.

Allerdings soll dazu zunächst noch nicht die superschwere "Langer Marsch-9" genutzt werden, sondern zwei "Langer Marsch-10" Modelle, auf die die Nutzlasten dann verteilt würden. Denn die Inbetriebnahme der "Langer Marsch – 9" wurde auf 2035 verschoben.

Deren Antrieb soll mit Methan befeuert werden, was das Recycling der Bauteile leichter macht, da Methan vergleichsweise sauber abbrennt. Im Juli 2023 startete China seine erste mittelschwere Rakete, die Methan und Flüssigsauerstoff in den Tanks hatte.

Spannend ist auch eine gemeinsame Untersuchung von zehn chinesischen WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Instituten, die eine Neptun–Mission vorschlagen. Sie analysieren verschiedene technische Hürden für ein solches Forschungsprojekt und befürworten eine nuklear betriebene, thermoelektrische Stromquelle für eine solche Sonde.

Untersucht werden soll auch der Neptunmond Triton. Bisher ist nur Voyager 2 an diesem ziemlich weit entfernten Planeten und seinen Monden vorbeigeflogen, und das war im Jahr 1989.

Die fernere Zukunft nimmt eine "vorläufige" Space Road Map für 2100" in den Blick. In dem Konzept geht es um einen systematischen Ansatz, der "darauf abzielt, Wassereis und mineralische Ressourcen im Sonnensystem bis 2100 wirtschaftlich zu erforschen, abzubauen und zu nutzen".

Vorgesehen ist etwa, Lagrange-Punkte für ein Netz von Relaisstationen zu nutzen und solch es schrittweise zu erweitern.

Um kommerziell bestehen zu können, sollen Infrastrukturen wie Transportrouten, extraterrestrischer Bergbau und Verarbeitungsstationen aufgebaut werden. Ob Weltraumbergbau allerdings jemals preiswert genug wird, um den Bedarf auf der Erde zu angemessenen Preisen zu decken, muss allerdings stark bezweifelt werden.