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Ist Ruslan Kotsaba preiswürdig?

Ruslan Kozaba. Foto (2013): Mykola Vasylechko / CC BY-SA 4.0

Noch wurde dem ukrainischen Pazifisten der Aachener Friedenspreis nicht aberkannt, was Zeit lässt, seine Positionierung zum Antisemitismus zu klären

Der ukrainische Pazifist Ruslan Kotsaba ist in seiner Heimat wieder mit Gefängnis bedroht [1]. Bereits 2015 wurde er verhaftet und saß bis Juni 2016 im Gefängnis. Wegen seiner pazifistischen Haltung wurde Kotsaba Landesverrat und Behinderung der Arbeit der Armee vorgeworfen. Er hatte in einer Videobotschaft aufgerufen, den Kriegsdienst zu verweigern und die Menschen in der Ostukraine animiert, den gleichen Schritt zu tun.

Dabei ist Kotsaba nicht etwa prorussisch, wie Kritiker der ukrainischen Politik gerne bezeichnet werden. Der Mann war in der Maidan-Bewegung aktiv und hatte für den kürzlich abgewählten Präsidenten Poroschenko gestimmt. Seine Kriegsgegnerschaft ist religiös bestimmt. Die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner, die Kotsaba unterstützte hat seine Motivation so charakterisiert [2]:

Der bekennende Christ gehört der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche an. Im griechisch-katholischen Bevölkerungsteil in der West-Ukraine ist traditionell der ukrainische Nationalismus am stärksten verankert. Die griechisch-katholische Kirche entstand 1596 unter polnischer Herrschaft aus der Union von Teilen der Orthodoxen Kirche mit der Katholischen Kirche. Liturgisch und kulturell ist diese Unierte Kirche orthodox geprägt, sie gehört aber zur Katholischen Kirche.

Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Mainz

Zu den Bestandteilen dieser Frömmigkeit gehört oft auch ein christlich geprägter Antisemitismus, der den Juden vorwirft, für die Kreuzigung von Jesus verantwortlich gewesen zu sein und ihnen die Schuld an ihrer Verfolgungsgeschichte gibt. Von solchen antisemitischen Zuschreibungen scheint auch eine Rede nicht frei gewesen zu sein, die Kotsaba am 22. Juni 2011, dem Jahrestag des Angriffs Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion, auf dem jüdischen Friedhof seiner westukrainischen Heimatstadt Iwano-Frankiwsk gehalten hat.

Er spricht dort über Kriegsopfer, Schuld und Versöhnung. Besonders problematisch aus Sicht der Kritiker ist die Passage in dem Video, in der Kotsaba den Juden eine Mitschuld am Holocaust unterstellt. Aus einer YouTube- Fassung wurde diese Passage herausgeschnitten. Auf anderen Videoportalen ist sie jedoch noch zu finden. So wurde sie etwa 2018 mitsamt einer deutschen Übersetzung auf der Videoplattform Rutube publiziert. Kotsaba hat mittlerweile erklärt, er habe damals solche Auffassungen vertreten, würde sich aber heute davon distanzieren.

Der Antisemitismus wird in der Regel nur bei den politischen Gegnern gesehen

Dass die fast 8 Jahre alte Rede heute wieder bekannt wurde, liegt daran, dass Kotsaba der Aachener Friedenspreis 2019 zuerkannt werden sollte, dem aber ein Vorstandsbeschluss des Aachener Friedenspreises [3] folgte, dem gemäß Kotsaba den Preis doch nicht erhalten sollte. Doch diese Entscheidung ist noch nicht endgültig. Entscheiden wird eine Mitgliederversammlung des Aachener Friedenspreises am 14.Juni 2019.

Der Vorstand des Aachener Friedenspreis e.V. hat sich nach den Vorwürfen gegen Ruslan Kotsaba zu dessen antisemitischen Äußerungen gegen eine Preisverleihung an den ukrainischen Pazifisten entschieden. Die Vereinssatzung sieht jedoch nicht vor, dass der Vorstand Entscheidungen der Mitgliederversammlung außer Kraft setzt. Diese hatte sich am 03. Mai, vor Bekanntwerden der Vorwürfe, noch für Kotsaba als Preisträger ausgesprochen. Es wird daher für den 14. Juni eine Mitgliederversammlung des Aachener Friedenspreis e.V. einberufen werden, mit dem Ziel, den Vorstandsbeschluss von den Mitgliedern bestätigen zu lassen.

Vorstandsbeschluss [4] des Aachener Friedenspreis e.V. zu Ruslan Kotsaba

"Der Preis ist nicht zurückgenommen, bis die Mitgliederversammlung am 14.06. dies bestätigt. Der Vorstand kann dies nicht entscheiden, sondern nur eine Empfehlung abgeben und das Vorgehen ist kontrovers", erklärte die Pressesprecherin des Aachener Friedenspreises Lea Heuser gegenüber Telepolis. Er sollte ja genau für seine politische Wandlung vom Nationalisten zum Pazifisten geehrt werden. Die Schwere der antisemitischen Entgleisung überzeugte den Vorstand aber mehrheitlich davon, den Preis bis zum Mitgliederentscheid auszusetzen, da die Äußerungen trotz Kotsabas zwischenzeitlicher Distanzierung "zu extrem und damit unvertretbar sind", erklärt Heuser.

Bisher sei der Kontakt zu Kotsaba auch nur über Mittelsmänner erfolgt. Während also eine Klärung Zeit braucht, verlangt die Empörungsmaschinerie durch das Internet befeuert, schnelle Entscheidungen. Hier war auch der Aachener Friedenspreis im Dilemma, wie Heuser bestätigt.

"Der Shitstorm im Internet und einige Zuschriften übten in der Tat Druck aus, der den Vorstand bewogen hat, sich Sorgen um das Ansehen des Vereins zu machen. Wie gesagt - entscheiden werden letztlich die Mitglieder Mitte Juni", stellte Heuser klar.

Es ist gut, dass der Verein durch diese Entscheidung sich die Zeit nimmt, um die Angelegenheit zu überprüfen. Bedauerlich ist, dass viele Medien vorschnell die zurzeit falsche Meldung verbreiten [5], dass Kotsaba den Preis nicht bekommt, ohne darauf hinzuweisen, dass darüber erst am 14. Juni entschieden wird.

Darauf haben auch viele pazifistische Gruppen und Einzelpersonen hingewiesen, die sich seit Jahren für Kotsaba wegen seines pazifistischen Engagements einsetzen und auch wissen, dass er in anderen Fragen rechtskonservative bis reaktionäre Positionen vertreten hat.

Der langjährige Politiker der Grünen und mutige Streiter gegen jeden Antisemitismus, Volker Beck, hat via Twitter die Verleihung des Friedenspreises an Kotsaba kritisiert [6]. Doch zu den Kritikerinnen der Preisentscheidung gehört auch Rebecca Harms, die in vergangenen Jahren mit einer unkritischen Haltung zur Post-Maidan-Ukraine aufgefallen ist und gegen alle Stellung bezogen hat, die die innen- und auch außenpolitische Orientierung dieses Staates kritisieren.

Von Rebecca Harms [7] ist nicht bekannt, dass sie die rechten Elemente in der aktuellen Ukraine kritisiert. Auch die Ehrung von ausgewiesenen Antisemiten wie Stephan Bandera in der Ukraine hat Harms bisher kaum öffentlich kritisiert.

Wenn sie sich nun gegen die Ehrung von Kotsaba einsetzt, muss man schon annehmen, dass es bei ihr eher darum geht, einen Kritiker der gegenwärtigen Politik in der Ukraine, den man nicht in die Nähe von Putin rücken kann, zu diskreditieren. Das kann man auch dem Zentrum Liberale Moderne [8] unterstellen, das ebenfalls zum Lobbyclub der gegenwärtigen Ukraine gehört und von der nicht bekannt ist, dass sie mit gleicher Verve gegen Antisemitismus auftritt, wenn er von den Protagonisten dieses Staates geäußert wird.

Doppelstandards bei der Beurteilung reaktionärer Ansichten

Nun ist es keine Besonderheit des Ukrainekonflikts, dass dort reaktionäres Gedankengut immer nur bei den politischen Gegnern gesehen wird. Der russische Oppositionelle Nawalny, der auch ein ausgewiesener Nationalist ist, wird von den Kritikern des Putins-Regimes höchst selten für seine wenig emanzipatorischen Ansichten kritisiert, von den Verteidigern des Putin-Regimes dafür umso mehr.

Auch in der deutschen Geschichte können wir immer wieder den Doppelstandard bei der Beurteilung emanzipatorischer oder reaktionärer Grundsätze feststellen. Wenn man den Maßstab zur Grundlage nimmt, der heute in der Regel beim kommunistischen Widerstand bei der Beurteilung von antisemitischen oder nationalistischen Elementen angesetzt wird, dürfte wohl der größte Teil der Protagonisten des 20. Juli 1944 vollkommen durchfallen.

Schließlich bestand der zentrale Teil der späten Widerständler gegen Hitler aus oft überzeugten Nazis, die nur nicht mit in den Strudel der totalen Niederlage gezogen werden wollten. Viele von ihnen hatten ein ständestaatliches oder völkisches Gedankengebäude und nicht wenige waren direkt an der Vernichtung der Juden Europas beteiligt.

Trotzdem gelten die Protagonisten des 20. Juli nicht nur für neueren Rechten als Vorbilder, sie sind auch fester Bezugspunkt der offiziellen Gedenkpolitik.

Das entschuldigt freilich nicht antisemitische Auslassungen wie sie Kotsaba vor 8 Jahren getätigt hat. Doch es lädt dazu ein, über seine Preiswürdigkeit nicht via Internet und Shitstorm zu entscheiden, sondern sich die Zeit zu nehmen, sich mit ihm selbst auseinanderzusetzen und dann nach dieser Einzelfallprüfung am 14. Juni endgültig zu befinden, ob Kotsaba preiswürdig ist.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.dfg-vk-mainz.de/aktuell/ruslan-kotsaba/
[2] http://www.dfg-vk-mainz.de/aktuell/ruslan-kotsaba/
[3] https://www.aachener-friedenspreis.de/vorstandsbeschluss-des-aachener-friedenspreis-e-v-zu-ruslan-kotsaba/
[4] https://www.aachener-friedenspreis.de/vorstandsbeschluss-des-aachener-friedenspreis-e-v-zu-ruslan-kotsaba/
[5] https://www.focus.de/politik/ausland/kein-aachener-friedenspreis-fuer-ruslan-kotsaba_id_10696256.html
[6] https://twitter.com/an_topnews/status/1126805497523294208
[7] https://rebecca-harms.de/post/wahlen-in-der-ukraine-rebecca-harms-leitet-wahlbeobachtungsmission-des-europaeischen-parlaments-46370
[8] https://libmod.de