Ist Wahnsinn ansteckend?
Japanische Forscher haben einen Mechanismus aufgedeckt, über den gängige Viren die Gehirnaktivität beeinflussen können
Nachdem sie lange tot gesagt waren, sind Infektionskrankheiten wieder "in" in der medizinischen Forschung, nicht erst seit die amerikanische Regierung nach dem 11. September 2001 ihre Ausgaben für mikrobiologische Forschung stark angehoben hat. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie reichen von der AIDS-Seuche bis zu so genannten "neuen" Infektionen wie Ebola oder SARS. Vor allem aber hat die Mikrobiologie einem Keim viel zu verdanken, der es sich in der menschlichen Magenschleimhaut bequem macht. Er heißt Helicobacter pylori und verursacht Magenschleimhautentzündungen, Magengeschwüre und Magenkrebs.
Seit Anfang der Neunziger Jahre entdeckt wurde, dass dieser Keim eine bis dato als psychosomatisch oder einfach nur "psychisch" angesehene Erkrankung, die Magenschleimhautentzündung, (mit) verursacht, werden auch viele andere Krankheiten mit neuen Augen gesehen. Immer wieder mit Bakterien oder Viren in Verbindung gebracht werden unter anderem die Arteriosklerose mit ihren Folgeerscheinungen Herzinfarkt und Schlaganfall, die rheumatoide Arthritis (das klassische "Rheuma"), die multiple Sklerose und einige Krebserkrankungen.
Verführerische Hypothese: Depression als Virusinfektion
Potenzielle Kandidaten für eine infektiöse Ursache sind auch einige psychiatrische Erkrankungen, allen voran die Depression. Die Depression wird von einer ganzen Reihe medizinischer Disziplinen für sich beansprucht. Es gibt gute Gründe für die Annahme einer genetischen Komponente. Es gibt exzellente Hinweise darauf, dass das psychosoziale Umfeld eine entscheidende Rolle spielt. Und es gibt ein Tiermodell, in dem eine Infektion mit so genannten Bornaviren bei Mäusen Symptome verursacht, die denen der Depression ähneln. Es gibt außerdem andere Viren, vor allem HIV, die ebenfalls psychische Symptome verursachen können.
Bornaviren sind äußerst weit verbreitete Krankheitserreger. Sie bekamen ihren Namen nach der Garnisonsstadt Borna, in der im 19. Jahrhundert eine Pferdeepidemie ausbrach, die durch ein sehr eigentümliches Verhalten der Tiere gekennzeichnet war. Bei etwa einem Drittel der Menschen lassen sich im Blut Hinweise auf eine Bornavirusinfektion finden, die fast immer unbemerkt bleibt. Dieser Anteil ist bei psychiatrischen Patienten und insbesondere bei Depressiven interessanterweise entscheidend höher, wie bereits in den achtziger Jahren festgestellt wurde. In einer Studie aus dem Jahr 2001 waren sogar alle untersuchten Depressiven infiziert. Doch auch bei Menschen mit chronischem Müdigkeitssyndrom, multipler Sklerose und Zwangsstörungen wurden Bornaviren häufiger gefunden als im Bevölkerungsdurchschnitt.
Epiphänomen oder mehr? Möglicher molekularer Mechanismus macht Bornaviren zu heißeren Kandidaten
Inwieweit zwischen einer Bornavirusinfektion und der Depression wirklich kausale Zusammenhänge bestehen, war bisher völlig unklar. Eine japanische Forschergruppe hat jetzt in einer in den Proceedings der National Academy of Sciences veröffentlichten Studie ein wenig Licht in dieses Dunkel gebracht. Die Wissenschaftler haben einen molekularen Mechanismus aufgedeckt, der erklären könnte, wie Bornaviren depressionsähnliche Symptome verursachen könnten. Wie groß die Bedeutung ist, die den Viren bei der Ausbildung von Depressionen zukommt, ist damit freilich noch lange nicht geklärt. Die Arbeit dürfte aber das Forscherinteresse an der Hypothese stimulieren.
Für ihre Untersuchungen haben Kamitani und seine Kollegen durch den "Einbau" eines Gens eine so genannte transgene Maus erzeugt, die in den Versorgungszellen des Gehirns, also nicht in den Nervenzellen, das Phosphoprotein P erzeugt. Die Substanz lässt sich in hohen Konzentrationen in den Gehirnen von Tieren nachweisen, die mit Bornaviren infiziert wurden. Die Forscher konnten nun zeigen, dass diese Substanz alleine tatsächlich ausreicht, um bei den Mäusen einige, wenn auch nicht alle jener Symptome zu erzeugen, die auch bei einer echten Bornavirusinfektion auftreten, insbesondere eine Neigung zu aggressivem Verhalten, körperliche Unruhe und eine eingeschränkte geistige Leistungsfähigkeit.
All das sind nicht gerade klassische Symptome der Depression beim Menschen, doch ging es in dem Experiment ja auch um Mäuse. Besser passt allerdings die Beobachtung, dass die transgenen Tiere deutlich weniger Serotoninrezeptoren aufwiesen als ihre nicht manipulierten Artgenossen. Dem gegenwärtigen Forschungsstand nach steht ein Mangel an Serotonin oder Serotoninrezeptoren bei der Depression an zentraler Stelle des Krankheitsprozesses.
Besteht also Hoffnung für Depressive? Keine schnelle jedenfalls, und ganz so einfach kann die Sache schon deswegen nicht sein, weil Bornavirusinfektionen bei Weitem häufiger sind als manifeste Depressionen. Trotzdem: Wenn sich herausstellen sollte, das Bornaviren wie auch immer an der Entstehung einer Depression beteiligt sind, dann sollte es im Prinzip möglich sein, eine Impfung zu entwickeln. Kamitani uns seine Kollegen haben den Weg gewiesen.