Ist das Kunst, oder kann das weg?

Alfred Paschek

Bild: AACAA DGA / CC-BY-SA-4.0

Das Aufbewahren von Artefakten wirkt konservativ, birgt aber einen progressiven Kern. Pro Quadratmeter fällt eine achtbare Menge Archivgut an

Dass auch Marmor, Stein und Eisen brechen, wusste schon der Schlager. Doch wenn auch der letzte Tonträger hin ist, wird von der angeblich unverbrüchlichen Liebe niemand mehr erfahren können. Tatsächlich unternehmen wir große Anstrengungen, um Dinge vor dem Verfall zu bewahren. Welche eigentlich, wie lange und wozu?

Die längste Zeit ging der Großteil dessen, was Menschen herstellen, unbemerkt in Naturprozesse zurück. Und was länger überdauerte – meist aufgrund von Materialeigenschaften –, bereitete keine größeren Probleme. Doch die kulturelle Produktion hat begonnen, die Verdauungsleistung des Erdsystems zu überfordern. Der Name "Anthropozän", dessen Einführung eigentlich für Feststimmung hätte sorgen können, klingt heute überwiegend nach Bedrohung und riesenhaften Problemen.

In einem Artikel zur Größenordnung der globalen Technosphäre, veröffentlicht in der Zeitschrift The Anthropocene Review, kommen die Autoren zu der Schätzung, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts rund 50 Kilogramm Artefakt auf jedem Quadratmeter Erdoberfläche lagen.

Dies umfasste die Gesamtheit der globalen Kunstmasse, ob sie als intakte Infrastruktur Verwendung fand, in Wetter und Wellen dahinrottete oder auf sonstige Art Teil dieser Welt war.

Einige Produkte erfahren besondere Zuwendung. Sie werden in Verwahrstationen gebracht, um sie den zerstörerischen Prozessen zu entziehen und möglichst lange zu erhalten. Die in Archiven, Museen, Bibliotheken und Sammlungen untergebrachten Dinge harren nicht einer späteren Verwendung in anderen Funktionszusammenhängen – wie etwa beim Lager oder dem Versteck –, sondern sollen an ihre letzte Stelle gerückt sein.

Aufbewahrung und Fortschritt

Die Metaphern, die für diese Orte zum Einsatz kommen, deuten auf eine Dominanz zeitlicher Rückbezüglichkeit hin: "Gedächtnisinstitutionen" sind mit einem "Erbe" oder einer "Überlieferung" befasst und tragen dabei dem Umstand Rechnung, dass Gewesenes nur im Überdauernden präsent gehalten werden kann.

Die in den Konservierungsstätten versammelten Dinge fungieren als "Speicher" für reaktualisierbare Inhalte. Sie bewahren Bedeutungen und Sinnhorizonte, um sie erschließungsfähig zu halten. Es ist damit vor allem sein Beitrag zur allgemeinen Wissensakkumulation, der ein Objekt als erhaltenswürdig erscheinen lässt.

Robert Spaemann hat in dieser Praxis der selektiven Anhäufung von Artefakten die Voraussetzung für einen universellen Fortschritt gesehen. Dieser ereigne sich in der Realisierung jener Möglichkeiten, die in den wachsenden Beständen bereitliegen und fortwährend hinterlegt werden.1

Der Charme dieser Idee von Aufbewahrung liegt in der eröffneten Fortschrittsperspektive, die konservative und progressive Momente zusammenbringt. Nicht die bloße Rückschau ist es, die den Sinn der Institutionen einseitig bestimmt, sondern Bewahrung wird hier stets vorgenommen mit Blick auf das Zukünftige.

Auf der Kehrseite allerdings droht die lähmende Überfrachtung. Zwar vermag keine Gegenwart allein aus sich heraus leben, doch ein Erbe anzutreten kann auch lästig sein. Tradition verpflichtet, Überlieferung überfordert und wird zum Hemmnis. Offenbar kommt es auch in Fragen der Aufbewahrung auf das rechte Maß an.

Während im privaten Bereich gegen kuriose Sammelwut prinzipiell nichts einzuwenden ist, müssen Gemeinwesen zu einer Aufbewahrungspraxis finden, die im allgemeinen Interesse liegt und mit plausiblem Mitteleinsatz vollzogen werden kann.

Die Medien zugänglich machen oder wegschließen?

Die Synthese aus Konservierung und Zukunftsorientierung prägt auch Zweck und Auftrag von "Gedächtnisinstitutionen". Sie dienen in der Regel nicht bloß der Verwahrung von Objekten, sondern sind auch Forschungsorte und Bildungsstätten.

In diesen Einrichtungen tritt jedoch ein prinzipieller Konflikt in die Praxis, der in der fortschrittsorientierten Aufbewahrungsidee bereits angelegt ist: Weil für die Verwirklichung der in den Beständen bereitliegenden Potentiale die Begegnung mit dem Material nötig ist, sind Abnutzungserscheinungen unumgänglich.

Sicherung und Erhalt erfordern Statik, Unverfügbarkeit, stabile Verhältnisse. Für Bildungs- und Vermittlungsabsichten bedarf es hingegen eines möglichst uneingeschränkten Zugriffs auf die Speichermedien.

Dieses Dilemma wurde vor einigen Jahren exemplarisch greifbar, als die Deutsche Nationalbibliothek im November 2016 ihre Benutzerordnung änderte. Mit Verweis auf den Bestandsschutz wurde den Bibliotheksbesuchern die Aushändigung gedruckter Werke verweigert, wenn entsprechende Exemplare auch als elektronische Datensätze verfügbar waren.

Für betroffene Nutzer der Einrichtungen in Leipzig und Frankfurt am Main bedeutete dies im Regelfall, dass sie ihre Lektüre an eigens bereitgestellten Bildschirmen vornehmen mussten, damit die Bände unberührt in den Magazinen verbleiben konnten.

Bei den sich anschließenden Kontroversen ging es vorwiegend um ökonomische, ökologische sowie um wissenschaftspolitische Aspekte dieser umstrittenen Maßnahme. Auch der erzwungene Medienwechsel bei der Rezeption der Werke war Gegenstand der Kritik.

Denn obgleich dem Lesepublikum de facto keine Inhalte vorenthalten wurden, hatte es sich doch mit einer in mehrfacher Hinsicht nachteiligen Ersatzlösung zu arrangieren. Mindestens ebenso schwerwiegend wie die praktischen Konsequenzen vor Ort – unergonomische Handhabung, Erschwerung oder Verunmöglichung wissenschaftlichen Arbeitens – mag jedoch die Tatsache gewesen sein, dass den Besuchern die Rolle des zersetzenden Schädlings zufiel, vor dem die Wissensspeicher zu schützen waren.

Die Frage, wozu diese Objekte und das darin enthaltene Wissen überhaupt aufbewahrt werden sollen, kam im Verlauf der Debatte allerdings kaum zur Sprache. Ebenso der Umstand, dass der Vorzug des archivarischen Prinzips vor dem bildenden die subtile Tendenz hat, Aufbewahrung zum Selbstzweck zu machen und sie nicht mehr als Mittel zur universell-humanen Fortentwicklung zu begreifen. Nichtsdestotrotz wurde die Regelung nach der öffentlichen Auseinandersetzung wieder kassiert.

Unter den publiken Aufbewahrungsorten ist die Bibliothek ein Spezialfall, weil der Konflikt zwischen Aufbewahrung und Nutzung hier in besonderer Schärfe auftritt. Denn anders als beispielsweise in einem klassischen Museum erfordert die Art der gesammelten Medien einen unmittelbar taktilen Objektbezug der Besucher. Die Bücher lesen oder schützen? Zu dieser Grundfrage hat Umberto Eco in einem Essay2 eine Antwort gefunden, die rigide Einseitigkeiten ebenso meidet wie die in solchen Lagen gern beschworenen "Mittelwege":

Ich sage gar nicht, daß man sich entscheiden muß, sie schutzlos zur Lektüre freizugeben, aber man muß sie auch nicht so schützen, daß niemand sie lesen kann. Und ich sage auch nicht, daß man einen Mittelweg finden muß. Man muß sich entscheiden, welchem der beiden Ideale man Priorität geben will, danach wird man den Realitäten Rechnung tragen und überlegen, wie man das sekundäre Ideal verteidigt.

Umberto Eco

Statt einem indifferenten "Ausgleich" das Wort zu reden, ermutigt der Kommentar zur Stellungnahme und mahnt zugleich Rücksichtnahme beim Schutz des für zweitrangig erklärten Prinzips an. Keinen Zweifel lässt Eco indes an seiner persönlichen Vorliebe. Er gibt ein temperamentvolles wie kluges Plädoyer für die offene, am Menschen orientierte Bibliothek, ohne die Kosten und Risiken dieser Entscheidung zu unterschlagen.

Neue Speicher setzen sich durch

Die Möglichkeit, Wissensbestände unabhängig von ihrer mentalen Präsenz bei lebendigen Zeitgenossen zu bewahren und nahezu beliebig vermehren zu können, ist der wohl entscheidende Vorteil der Verwendung von Speichermedien gegenüber einer Wissensorganisation, die auf oralem Transfer beruht.

Allen Vorbehalten gegenüber dem fixierten Logos seit Platon zum Trotz hat die medienbasierte Aufbewahrung als externalisierte Erinnerung mit ihren Möglichkeiten der Wiederaneignung den Siegeszug angetreten. In den letzten fünf Jahrhunderten war es das gedruckte Buch, das zum Erfolgsmodell für das Ineinander von Materialität und Idealität wurde.

Michael Hagner hat in einer Monografie, die ganz der Sache des Buches gewidmet ist, prunkvolle Würdigungsformeln für dieses Medium gefunden: Was als "Leitgestirn des Wissens" und "Leitmedium des Geistes" über lange Zeit unschätzbare zivilisatorische Dienste erwiesen habe3, scheint nunmehr jedoch an das Ende seiner dominanten Rolle gekommen.

Die Praxis der planmäßigen Verschränkung von Sinn und Sinnlichkeit bediente sich die längste Zeit vergleichsweise robuster Träger wie Stein, Ton, Holz, Pergament, Papyrus, Metall oder Papier.

Seit kaum mehr als einem Jahrhundert etabliert ein dynamischer Ergänzungs- und Ersetzungsprozess fortwährend Neue Medien und Aufbewahrungsformen, die sich besonders durch ihre Speicherkapazitäten von den alten Verfahren absetzen: Langspielplatten, Mikrofilme, Lochkarten, CDs, Magnetbänder, Festplattenlaufwerke und elektronische Halbleiterspeicher – um nur die geläufigsten Beispiele zu nennen – wurden zu den Gedächtnissen der technischen Zivilisation.

Doch die Steigerung der Aufnahmefähigkeit hat ihren Preis. Die jeweiligen Mitteilungen, nun in maschinenlesbarer Kodierung verfasst, sind menschlichen Lesern nicht mehr ohne Weiteres zugänglich. Es bedarf zusätzlicher technischer Vermittlung durch mechanische oder elektronische Geräte, um Inhalte in eine für Menschen verständliche physische Form zu transferieren.

Die vergleichsweise überschaubare Konstellation aus Beschreibstoff, Mitteilung und Rezipient ist einem komplizierten, für den Einzelnen kaum noch durchschaubaren Funktionskomplex gewichen.

Stumme Speicher und Tendenz zur Fragilität

Aus dieser Abhängigkeit, und vor dem Hintergrund einer raschen technischen Entwicklung, ergibt sich ein Problem für die Aufbewahrung. Denn die für einen Informationsträger passenden Lesegeräte sind womöglich bereits nach wenigen Jahren nicht mehr gebräuchlich und aus der technischen Infrastruktur verschwunden, weil das Medium nunmehr überholt ist.

Zwischen uns und den verstummten Speichern liegen dann Aneignungshürden, nur noch überwindbar mit Hilfe von Dachbodenfunden und Exponaten aus dem Technikmuseum. Diese Schwierigkeit besteht auch prospektiv. Man darf skeptisch sein, ob für die Dekodierung der gegenwärtig erhobenen, produzierten und eingelagerten Informationen in Zukunft noch die erforderliche Technik zur Verfügung stehen wird.

Regelmäßige Kopieraktionen auf jeweils aktuelle Trägermedien sind schon aufgrund der Menge der insgesamt zu vervielfältigenden Inhalte allenfalls eine Verlegenheitsstrategie für ausgewählte Fälle.

Ein weiteres Problem besteht in der Fragilität der Speichermedien selbst. Wartet die steinerne Inschrift mit einer mittleren Überlieferungsdauer von etwa 10.000 Jahren auf, verliert Pergament seine Speicherfähigkeit nach durchschnittlich 1.000 Jahren, die Filmrolle nach 100, und die Vinylplatte mag ihre Tongebilde – abhängig von Nutzung, Qualität und Lagerung – nach rund 50 Jahren auf ewig preisgeben. Als besonders kurzlebig erweisen sich die Datenträger des "digitalen Zeitalters".

Nicht nur unsere Rechner-Festplatten mit ihrer hochpräzisen Mechanik, auch die in zahllosen Kontexten installierten Speicherkarten sind allenfalls einige Jahrzehnte haltbar und bedrohen ihre Daten zudem durch die Möglichkeit von Löschungen.

Die Bemühungen, sämtliche Inhalte durch wiederkehrende Reproduktion auf fabrikneue Träger über jene Lebenszyklen hinaus zu retten, stößt ebenfalls auf das Problem, dass kaum jemand willens oder gar in der Lage wäre, für ein solches Unterfangen dauerhaft die erforderlichen Ressourcen aufzubringen.

Suche nach neuen Lösungen

Wenn auch die Anfertigung von Kopien in ihrer Bedeutung für das, was man das "kulturelle Gedächtnis" nennt, kaum zu überschätzen ist, hat dieses Prinzip nunmehr aufgehört, allgemein praktikable Lösungen für das Erhaltungsproblem zu bieten. Die Suche nach Materialien für neue Aufbewahrungsmöglichkeiten wird also fortgesetzt.

Im Experimentalstadium befinden sich etwa Speicher, die auf molekularer oder atomarer Ebene arbeiten und den hohen Anforderungen vor allem an Lebensdauer und Aufnahmekapazität genügen sollen. Das archivarische Personal wird ergänzt um völlig neue Typen: Bioinformatiker wollen sich synthetisch hergestellter DNA als Speichermedium bedienen, um mithilfe der Lebensbausteine Informationen zu verschlüsseln und über Jahrtausende zu sichern.

Der Begriff der "Erbinformation" wäre damit nicht länger von bloß biologischem Gehalt. Wenn zukünftig vom "kulturellen Genom" die Rede wäre, würde keine Metapher aufgerufen. Denn das Leben in seiner uns bekannten Form und die geschichtliche Welt des Menschen würden tatsächlich in dem gleichen Medium fortgetragen.

Nun ist auch eine Abfolge von Basen keine Inschrift, kein Buch. Die Bemühungen um ein praktikables Aufbewahrungsverfahren kommen darum auch hier nicht ohne einen grundständigen Optimismus aus: In nahen wie fernen Zukünften werden potenzielle Rezipienten über die nötige Lesetechnik und Entschlüsselungskompetenz verfügen müssen, um einen Zugang zu den Hinterlassenschaften bekommen zu können.

Sinnhorizonte und gedankliche Inhalte markieren indes nicht mehr das Zentrum der heutigen Speicherpraxis, denn bewahrt werden zunehmend Vermessungsresultate, aufbereitete Gegebenheiten, "Daten", gewonnen und generiert in nahezu unbeschränkten Zusammenhängen.

Ob Wetterlage, Konsumverhalten, Bewegungsmuster oder Partnerwahl, es sind kaum noch Bereiche der öffentlichen und privaten Sphären denkbar, in denen keine Informationen gewonnen und der global exponentiell wachsenden Datenmenge hinzugefügt werden. Bibliotheken werden weiterhin gebaut, Museen eröffnet, und doch findet ein erheblicher und wachsender Teil der Sicherungspraxis inzwischen nicht mehr in den hergebrachten Institutionen statt.

Aufbewahrung als digitale Datenspeicherung, die fortlaufend vernetzte Infrastrukturen mit Informationen anreichert, ist ein ubiquitärer Vorgang geworden, in zahllosen lokalen Einheiten ebenso wie in Rechenzentren, festungsähnlichen Bauten außerhalb urbaner Räume.

Drohende Gedächtnisverluste

Schon ohne exponentielles Wachstum der zu sichernden Bestände ist Langzeitarchivierung nicht nur ein technisches Problem, sondern auch eine politische und organisatorische Herausforderung.

Vorausgesetzt, die Handhabung aller Schwierigkeiten gelänge, ergäbe sich angesichts der erreichten und prognostizierten Zunahme des weltweiten Aufbewahrungsvolumens jedoch noch ein Hindernis ganz anderer Art: Das Interesse an den Archivalien, das zukünftigen Generationen nicht selten großzügig unterstellt wird, könnte sich als Illusion derer erweisen, denen an der Legitimierung ihrer eigenen Sammelpraxis gelegen ist.

Auch die Annahme, dass zukünftige Lebensweisen die Pflege und den weiteren Ausbau der Speicherkammern überhaupt zulassen, gehört zu den eher selten hinterfragten Voraussetzungen heutiger Aufbewahrungsaktionen.

Allerdings ist auch zu sehen, dass die informationstechnisch gestützte Massendatenspeicherung gar nicht primär auf finale Verwahrung in weit zurückgreifenden Gedächtnisräumen und die Möglichkeit der Aneignung von einst Gedachtem abzielt. Eher geht es um Zusammenführung und Synchronnutzung von Meldungen über gegenwärtige Zustände. Die Fortschrittsidee einer solchen Ingenieurspraxis ist – soweit vorhanden – eine andere.

Das derzeitige Verhältnis von sich verkürzenden Sicherungsperspektiven und immer höheren Aufbewahrungsmengen bietet keine schlechten Voraussetzungen für Amnesien. Von steinzeitlicher Stabilität ist das "digitale Zeitalter" Jahrzehntausende entfernt.

Was in seinen Gangsystemen an Bedeutungsträgern für weit entfernte Tage erhalten bleibt, könnte am Ende mehr dem Zufall unterworfen sein als allen konservatorischen Bemühungen. Unerfindlich, ob die Maler von Lascaux ihre Höhenbilder mit einer Idee von Aufbewahrung schufen.

Höhlenzeichnung in Lascaux. Bild: Codex / CC-BY-SA-4.0

Daran, dass ihre Werke erhalten blieben und im 20. Jahrhundert entdeckt wurden, hatten sie so wenig Anteil wie am weiteren Umgang mit dem Fund. Nach einigen Jahren der Öffnung für Besucher musste der Ort für das allgemeine Publikum jedenfalls wieder geschlossen werden. Die Bilder hatten Schaden genommen, die Wände zu schimmeln begonnen.

Seit 2016 ist ein (analoger) Nachbau weiter Teile der Höhle mit nahezu sämtlichen Bildern und Zeichen zugänglich. Anders als in Frankfurt am Main und Leipzig einigte man sich auf die Nutzung eines Abbildes. Die mikrobiologische Bedrohung des Originals dauert derweil an.

Am Ende nur Staub

Jede Aufbewahrung kommt auch dann an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wenn die erreichte Konservierungsdauer menschliche Maßstäbe übersteigt. Zwar richten sich zeitgenössische Sondervorhaben zur Langzeitarchivierung durchaus noch an humane Rezipienten unbestimmter Zukünfte.

Doch ob die Sicherungszeit für Informationen auf Nickelscheiben, Glas- und Keramikplatten 50.000 oder 500.000 Jahre beträgt, könnte für die menschliche Lebensform letztlich ganz unerheblich sein. Um Bewahrung und die Möglichkeit der Erinnerung ginge es dann nicht mehr, wenn Hinterlassenschaften in eine Zukunft gerettet würden, in der sie für niemanden mehr etwas bedeuten könnten.

Ganz andere Zeiträume erschließen sich der Aufbewahrung in jener Leere, die die vergoldeten Artefakte an Bord von Raumsonden umgibt – jenseits irdischer Verfallsbedingungen. Die "Pioneer-Plaketten" der Flugkörper 10 und 11 sowie die "Golden Records" auf Voyager 1 und 2 sind winzige Splitter menschlicher Ausdruckswelt, die mit dem Anspruch und in der Hoffnung geschaffen wurden, weit draußen im All einst nicht nur etwas über den Ort ihrer Herkunft, sondern auch Wesentliches über ihre Schöpfer erzählen zu können.

Goldene Platte der Voyager-2-Sonde. Bild: Nasa/JPL

Dass diese Objekte in den Fängen einer fremden Entität, die wir mit unseren begrifflichen Mitteln als intelligent, womöglich sogar als selbstbildfähig, mithin "geistig", qualifizieren könnten, nicht bloß Zeugniswert haben, sondern darüber hinaus sogar einen kommunikativen Prozess initiieren könnten, mag die höchste Erwartung ihrer Konstrukteure gewesen sein.

Obwohl auch diese Informationsträger als Botschaften konzipiert wurden, folgen sie nicht dem Ziel der Gedächtnisbewahrung, sondern ziehen ins schlechthin Ungewisse, ohne realistische Aussicht, jemals wieder in humanen Bezügen zu stehen. Während die metallenen Datenplatten auf ihren Sonden sich mit etlichen Kilometern pro Sekunde von der Erde entfernen, wird die Erinnerung an sie erlöschen und sie werden – nach aller Voraussicht – ihren Weg noch fortsetzen, wenn die Erde längst wieder ein menschenleerer Ort geworden sein wird.

Doch immerwährend aufgehoben sind auch sie nicht. Der physische Raum, den diese Artefakte durchqueren, ist nicht der Ort für absolute Unversehrtheit. Vagen Schätzungen zufolge werden sie nach einigen Milliarden Jahren durch Kontakt mit interstellaren Partikeln und kosmischer Strahlung selbst zu Staub zerfallen sein. Als ultimative Relikte könnten es dann Radiowellen sein, die letzte Fragmente menschlichen Daseins durch den Kosmos tragen.

Am Ende jedenfalls steht der Verlust. Man müsste schon die Dinge aus der Welt schaffen, um diese existenzielle Zumutung, die Bedrohung durch fundamentale Sinnlosigkeit, abzuwenden. Erst die Transzendenz verspricht jenen Anteil am Bleibenden, den alle Diesseitigkeit versagt.

Da sich die Wirklichkeit dieses ontologischen Fluchtpunktes bekanntlich weder zur Evidenz bringen noch im strengen Sinne beweisen lässt, ist er ohne Vertrauen oder Glaube nicht zu haben. Das absolute Gedächtnis ist eine religiöse Angelegenheit, Ewigkeit ein weltfremder Begriff.

Das absolute Archiv

In einem Vortrag über "Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott" hat Robert Spaemann ein Argument für diesen Glauben formuliert4: Die Dinge in ihrer sinnlichen Gestalt oder auch die bloße Erinnerung an sie mögen unwiederbringlich vergehen. Die Tatsache ihrer einstigen Wirklichkeit als physisches Objekt oder als Gegenstand der Erinnerung aber bleibe unantastbar und damit für immer wahr.

Wenn gegenwärtige Wirklichkeit einmal nicht mehr gewesen sein wird, dann ist sie gar nicht wirklich. Wer das Futurum exactum beseitigt, beseitigt das Präsens. […] Wir müssen ein Bewusstsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewusstsein.

Robert Spaemann

Der Weg zum Vertrauen in eine vergänglichkeitsresistente Aufbewahrungsinstanz für Tatsachenwahrheiten führt hier über das Regelsystem unserer Sprache. Es handelt sich gleichsam um eine Sicherung zweiter Ordnung, eine Bewahrung der Bewahrung, bei der es darum geht, die Möglichkeit unvergänglicher Geborgenheit zu retten. Im Glauben an das absolute Archiv erfüllt sich ein Grundanliegen von Religion: Trotz aller erlebten Vergänglichkeit bleibt ein letzter Sinngrund unverbrüchlich bewahrt.

Nun sind für die Theorie und Praxis innerweltlicher Verwahrstationen diese Fragen freilich ganz unerheblich. Nicht Unvergänglichkeit und Vertrauen, sondern Unwiederbringlichkeit und Erkenntnis sind die leitenden Kategorien einer in weiten Teilen auf Wissensmehrung gerichteten Aufbewahrungsmoral. Dem modernen Skeptiker letzter Sinngründe bleiben nur die Museen, Bibliotheken und sonstigen Welt-Speicher.

Gleichwohl sind Bildung, die Anhäufung von Erkenntnissen und damit verbundene Fortschrittsentwürfe nicht der einzige Beweggrund für die gemeinwohlorientierte Sicherung von Artefakten. Bisweilen geht es auch um individuelles Wohlgefallen, um Trost als eine Form der stillen Selbstermutigung oder um die Reizthemen kollektiver Identitäten.

Von der geteilten Erinnerung hängt indes nichts weniger ab als unsere Lebensfähigkeit. Nicht im biologischen Sinne. Sondern verstanden als genuin menschliche Daseinsqualität innerhalb eines symbolischen Universums. Und dieses Universum dehnt sich aus. Das Meer ist aus Plastik. Der Orbit, eine Schrotthalde. Die Landschaft, ein Warenlager. Was sollen wir aufbewahren? Und wie lange und wozu?

Den Klassiker von Drafi Deutscher gibt es jedenfalls auch auf Youtube. Wo der Server steht, ist unklar.

Fußnoten

[1] Vgl. Spaemann, Robert: Unter welchen Umständen kann man noch von Fortschritt sprechen?, in: ders., Philosophische Essays, Stuttgart 1983, S. 130–150, hier S. 136 f.

[2] Eco, Umberto: Die Bibliothek, in: Höfer, Candida, Bibliotheken. München 2005, S. 5–13, hier S. 12.

[3] Vgl. Hagner, Michael: Zur Sache des Buches. Göttingen 2015, S. 17, 21.

[4] Spaemann, Robert: Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott, in: ders., Der letzte Gottesbeweis, München 2007, S. 9–32, hier S. 32.