Ist der Irak auf dem Weg zum Failed State?

Baghdad Firdaus Platz, 9. April 2003. Zerstörung des Saddam-Hussein-Denkmals; Foto: US-Verteidigungsministerium/gemeinfrei

Das Erbe der US-Militärintervention: Mit einem modernen System der Regierungsbildung wollten die USA dem Irak den Weg zur Demokratie ebnen. Der Versuch scheint gescheitert.

Inmitten der streng bewachten "Grünen Zone" in Bagdad steht die größte US-Botschaft der Welt. Einst arbeiteten hier bis zu 16.000 Diplomaten und Vertragsangestellte; heute ist es in der 42 Hektar großen Anlage stiller geworden. Mit dem US-Militär wurden auch viele der Mitarbeiter abgezogen.

Rund um die, die geblieben sind, herrscht in diesen Tagen Chaos. 19 Jahre, nachdem das US-Militär in den Irak einmarschiert war, Diktator Saddam Hussein stürzte und ein Regierungssystem nach westlichem Vorbild schuf, stürmen immer wieder Demonstranten die "Grüne Zone", den Regierungspalast, das Parlament und den Sitz der Justiz, während sich die politischen Fraktionen seit fast einem Jahr über die Bildung einer neuen Regierung streiten.

Im Oktober 2021 war das bisher letzte Mal ein neues Parlament gewählt worden. Bei einer Wahlbeteiligung von offiziell gerade einmal 43 Prozent gewann das Saairoun-Bündnis unter Führung des schiitischen Predigers Muktada al Sadr 73 der 329 Parlamentssitze. Die restlichen Mandate teilen sich auf 33 weitere Listen und 43 unabhängige Politiker auf.

Ein wirklich demokratisches Parlament, das alle Bevölkerungsgruppen abbildet, mag man sagen. Doch tatsächlich herrscht allumfassendes Chaos. Das Prozedere der Regierungsbildung ist kompliziert. Zunächst muss sich das Parlament auf einen Parlamentssprecher einigen und diesen wählen. Der Verfassung nach soll dieser Posten zudem mit einem Sunniten besetzt werden. Als Nächstes wird dann der Präsident gewählt, der Kurde sein soll. Und erst dann kann der Präsident einen Abgeordneten, der Verfassung nach einen Schiiten, mit der Regierungsbildung beauftragen.

Die Vereinigten Staaten hatten nach dem Einmarsch mit diesen Regelungen sicherstellen wollen, dass alle drei großen Bevölkerungsgruppen an der Führung des Landes beteiligt sind und keine Gruppe die anderen dominieren kann. Doch einfach war dieser Prozess nie. Um die erforderlichen Mehrheiten zu beschaffen, schoben sich die einzelnen Fraktionen gegenseitig staatliche Gelder zu, mit dem Ergebnis, dass die Finanzen aus politischen Gründen an Stellen verwendet wurden, wo sie nicht gebraucht wurden und an anderen Orten fehlten.

Eine völlig marode Infrastruktur war die Folge, und nun sind die Probleme des Landes schier überwältigend geworden: Häufige Stromausfälle, Wassermangel. Stark gestiegene Nahrungsmittelpreise, weil der Irak heute viele Grundnahrungsmittel importieren muss. In der Gegend um Basra im Süden des Landes; in der Autonomen Region Kurdistan im Norden können die Menschen die Ölfelder sehen, während sie im Internet von hohen Rohstoffpreisen lesen.

Doch das Geld ist nicht da.

Rekordeinnahmen beim Öl, exorbitante Nahrungsmittelpreise

Es ist eine widersprüchliche Situation: Die gestiegenen Rohstoffpreise, der erhöhte Bedarf an nicht aus Russland stammenden fossilen Brennstoffen hat dem irakischen Staatshaushalt Rekordeinnahmen eingebracht. Nach Angaben des Finanzministeriums wurden allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 100 Milliarden Euro eingenommen.

Gleichzeitig sind die Preise für Nahrungsmittel allerdings exorbitant gestiegen, während die überwiegend aus Kleinunternehmen bestehende Wirtschaft am Boden liegt. Sie ist traditionell eng mit der iranischen Wirtschaft verwoben, regelrecht von ihr abhängig.

Doch im Mai 2018 setzte US-Präsident Donald Trump die US-Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft und forderte von der irakischen Regierung, dass sie auch in ihrem Land für die Einhaltung der Sanktionen sorgt. Und auch die Russland-Sanktionen soll der Irak nun einhalten – eine schwere Last, die dadurch erschwert wird, dass Teile des Landes in Trümmern liegen, mindestens aber eine Kernsanierung brauchen.

In der US-Botschaft, bei der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, den Vereinten Nationen ist man sehr besorgt, warnt davor, dass der Irak zum "gescheiterten Staat" werden könnte. Und auch: Als Energielieferant ausfallen könnte, wenn das passiert.

Paradox ist aber auch dies: Die Unzufriedenheit trieb al-Sadr zunächst so viele Wähler zu, dass sein Bündnis um 13 Sitze zulegte, und gibt der Protestbewegung Auftrieb, die sich um seine Person formiert hat. Längst sind es nicht mehr nur Schiiten, die unter seinem Banner auf die Straße gehen, die "Grüne Zone" stürmen. Für viele ist der Prediger, der zu Zeiten der US-amerikanischen Besatzung mit anti-amerikanischer Rhetorik zu Gewalt gegen die US-Truppen aufstachelte, nun zum Saubermann geworden, der mit den politischen Ränkespielen hinter Stacheldraht aufräumen will.

Dabei ist es vor allem al-Sadr, der für die nun fast ein Jahr währende Blockade mitten in einer schweren Krise verantwortlich ist. Während der sich gegen Korruption ausspricht, sein Bündnis als diejenigen anpreist, die damit aufräumen werden, versucht er, seinen Cousin Jaafar al-Sadr, derzeit Botschafter in London, koste, was es wolle, auf den Posten des Ministerpräsidenten zu heben. Für die Präsidentschaft besteht er auf den kurdischen Politiker Rebar Ahmed.

Und während die politische Blockade andauert, kann der amtierende Regierungschef Mustafa al-Kasimi, seit 2020 im Amt, auch nicht auf die immensen Einnahmen aus der Ölförderung zugreifen.