Ist die Elektromobilität wirklich eine Mogelpackung?

Seite 2: Ein E-Auto ist kein Handy

Nächster Vorwurf: Die Akkus halten nicht ewig. Diese hätten wie Smartphone- und Notebookakkus nur eine begrenzte Lebensdauer. Als Beweis dient ein Test der Auto-BILD, die einen einzelnen BMW i3 einem Langzeittest unterzogen hat. Dieser hatte angeblich von ehemals 167 km Reichweite nach 100.000 km Fahrt nur noch 107 Kilometer Reichweite übrig.

Daran sind gleich mehrere Dinge fragwürdig: Erstmal verschleißen Akkus in Smartphones und Notebooks deutlich schneller als heutige E-Auto-Batteriepacks, denn letztere verfügen mittlerweile über ein Thermo- und Lademanagement. Die Batterien der Autos werden so bei idealen Temperaturen betrieben und gleichmäßig ge- und entladen, was die Lebensdauer deutlich erhöht. Das getestete BMW-Modell ist hingegen von 2014, das ist in Akkutechnologie gerechnet Äonen her.

Zudem vergleicht Tomasz Konicz die maximal gefahrenen Strecke von 167 Kilometern bei Idealtemperaturen von 30 Grad mit dem schlechten Wert von 107 Kilometern bei kühlen sieben Grad. Das ist für sich schon keine sonderlich objektive Herangehensweise, aber es ist eben auch nur ein einzelner Test mit einem einzelnen Modell. Rechnet man diesen einen Wert nun auf die Millionen anderen, viel neueren E-Autos hoch, ist das Risiko für statistische Verzerrung erdrückend.

Konicz verlinkt sogar selbst noch den Artikel der SZ, laut dem mehrere Tesla Model S einer kalifornischen Verleihfirma bereits 800.000 km mit einer einzelnen Batterie gefahren sind und der auch das besagte Lademanagement erwähnt. So lange Reichweiten seien aber nur Glück der "betuchten Käufer der Spitzenmodelle", argumentiert Konicz. Naja, dann könnte ich ja auch behaupten, die schlechte Reichweite des BMW-Modells sei einfach Pech – zudem war der i3 mit einem Kaufpreis von 46.000 Euro auch nicht gerade ein Schnäppchen.

Glück und Pech spielen hier aber keine Rolle, sondern wie gut die Technik funktioniert. Wenn man sich die Auswertungen der realen Fahrdaten von mehr als einem Auto ansieht, dann verlieren selbst nach 250.000 km nur ganz wenige Ausreißer mehr als 20 Prozent Akkukapazität. Dennoch spricht Konicz von einem "raschen Verschleiß", dem die Batterien grundsätzlich ausgeliefert seien – basierend auf einem Auto-BILD-Test mit einem Modell von 2014 und Autoren, die witzeln, das sei gar kein echtes Auto.

Interviews mit führenden Batterieforschern deuten für die nächste Generation von Batterien übrigens auf Reichweiten von deutlich über einer Million Kilometer hin.

Ich halte kurz fest: Moderne E-Autos haben laut aktuellen Studien bei der Produktion bereits einen geringeren CO2-Impact als in "Mogelpackung Elektromobilität" angenommen wird. Sie haben den Klimanachteil der Produktion deutlich schneller wieder eingefahren (mit Ausblick auf die kommenden Jahre mit klimafreundlicherem Strommix umso mehr) und die Batterien haben eine deutlich höhere Lebensdauer. Eine klimapolitische Sackgasse oder Greenwashing sehen für mich anders aus.

Deutsche Autoindustrie wehrte sich jahrelang gegen E-Autos

Ich kann aber verstehen, dass Tomasz Konicz diesen Eindruck gewann, nachdem die Auswahl seiner Quellen das nahelegte. Er kommt zum Urteil, dass E-Autos für die Industrie ein großer Vorteil seien, da der scheinbar hohe Verschleiß eine lukrative Nachfrage für die Zukunft garantiert. Logisch, ein Auto, das viel schneller kaputtgeht, muss man auch wieder schneller wieder ersetzen. Unternehmerisch eine tolle Sache, global betrachtet in der Tat kapitalistischer Wahnsinn.

Gegen diese These spricht allerdings, dass die deutsche Autoindustrie sich jahrelang erbittert dagegen gewehrt hat, nennenswert E-Autos auf den Markt zu bringen. Sie begann damit erst, nachdem Tesla die Marktbühne betrat und die etablierten Hersteller, die er ja selbst "innovationsfaule Autoindustrie" nennt, das Fürchten lehrte. Aber wenn E-Autos höhere Renditen durch schnelleren Verschleiß versprechen, warum haben dann nicht alle Hersteller gleichzeitig begonnen, welche herzustellen?

Aus BWLer-Sicht stellt es sich eigentlich genau andersrum dar: Die Autoindustrie hatte ein paar gut laufende Marken etabliert, sogenannte Cashcows: Wenig Risiko, moderates Wachstum, hohe Umsätze. Der Umstieg auf einen ganz anderen Antrieb bedeutet für solche Firmen in erster Linie Unsicherheit und Risiko. Warum sollte man ohne Not den Markt aufs Spiel setzen, den man so schön untereinander aufgeteilt hatte?

Dazu kommt eben das aus kapitalistischer Herstellersicht riesige Problem, dass E-Autos das Potential zu viel höheren Lebensdauern haben. In Verbrennungsmotoren befinden sich dutzende bewegliche Teile, die wunderbar verschleißen und kaputt gehen können. Wenn das eintritt, muss man sich entweder neue Teile kaufen und einbauen lassen oder – noch besser – gleich ein neues Auto kaufen. Eine Menge Vertriebsmenschen im Management von VW, Daimler und Porsche dürften den Trend zu Batterieautos daher eher besorgt sehen, könnte diese Technologie nachhaltig ihre Bonuszahlungen gefährden.

Nun kommt der Teil, in dem ich mit dem Kollegen übereinstimme: "Eine massive Reduzierung der CO2-Emissionen ist aber nicht in vielen Jahren, sondern möglichst rasch notwendig".

Ganz genau, und deswegen brauchen wir auch mehrere Maßnahmen gleichzeitig. Ich halte seine Vorschläge auch für sinnvoll: Ausbau des ÖPNV, Verkehrsvermeidung etc., das sind ja alles klassische Ziele der Verkehrswende. E-Autos gehören aber strenggenommen eher zur Energiewende, sie dekarbonisieren schlicht einen Wirtschaftssektor.

Wir können gerne darüber reden, wie wir den Autoverkehr an sich verringern, aber wieso schließt sich das mit einer Elektrifizierung des verbleibenden Verkehrs aus? Ich setze mich selbst für besseren Rad- und Fußverkehr in Städten ein, was meistens auch bedeutet, die Flächen zu deren Gunsten umzuverteilen - aber es wird auch weiterhin Autos geben, gerade außerhalb von Städten. Was spricht dagegen, den PKW-Bestand zu reduzieren und gleichzeitig elektrisch zu machen?

Klar, am klimafreundlichsten ist der Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad, dicht gefolgt vom ÖPNV. Dann kommen elektrische Fahrzeuge und dann erst, weit abgeschlagen, Benzin- und Dieselautos. Wir können die CO2-Emissionen nicht ausreichend reduzieren, wenn wir weiter im großen Stil Erdöl und Palmöl in Verbrennungsmotoren in Energie und CO2 verwandeln. Selbst wenn wir den PKW-Bestand um radikale 80 Prozent reduzieren, wären das immer noch zehn Millionen Autos allein in Deutschland. Für Klimaneutralität wären das immer noch zehn Millionen zu viele.

Nein, natürlich lösen E-Autos nicht alle Verkehrsprobleme, aber ein paar lösen sie:

  • Sie produzieren keine giftigen Abgase;
  • Sie sind leise;
  • Sie können klimaneutral betrieben werden.

Sie verbrauchen aber leider genauso viel Platz wie ein herkömmliches Auto und so müssen wir uns auch mit E-Autos die Frage stellen, wie wir unseren öffentlichen Raum aufteilen wollen. Vor dem Hintergrund, dass deutsche Autos im Schnitt 23,5 Stunden am Tag nur irgendwo abgestellt werden, kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass eine Umverteilung dringend notwendig ist.

Und selbst im extrem unwahrscheinlichen Fall, dass wir in kurzer Zeit keine PKW mehr in Deutschland haben, brauchen wir umso mehr Busse, Lieferwagen und so weiter. Selbst in einem post-kapitalistischen Staat mit regionaler Produktion in Genossenschaften brauchen Menschen Mobilität und Warenverkehr. Im Sinne einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad sollte auch das ohne Verbrennungsmotoren funktionieren.

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